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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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daß es eins gibt, ein Deutschland und Deutsche. Ein Deutschland, welches seine
Art public 8pirit hat."

Was nützte aber diese ganze schöne Entschlossenheit und Einigkeit der
deutschen Fürsten und ihres Volkes? In bitterer Erkenntnis nutzten sie er¬
fahren, daß man zwar ihre Hilfe im Krieg wie im Jahre vorher nicht wohl
hätte entbehren können, daß man aber nach dem Siege durchaus nicht gewillt
war, ihre Politik zu unterstützen. Man hatte in Paris einen Ministerrat
gebildet, der die Friedensbedingungen besprechen sollte und in den jeder der
vier Mächte drei Bevollmächtigte geschickt hatte, England Castlereagh, Wellington
und Sir Charles Stuart, Rußland Capodistrias, Nesselrode, Pozzo ti-Borgo,
Preußen Hardenberg, Humboldt und Gneisenau, Österreich Metternich, Wessen-
berg und Schwarzenberg. Eine Einigung aber zu erzielen war schwer, da die
Ansichten über die Friedensbedingungen und die Behandlung Frankreichs weit
auseinandergingen.

Zar Alexander von Rußland, dieser ständig hin und her schwankende
Monarch, bald liberal, bald pietistisch und mystisch religiös, bald von Reformen
träumend, bald reaktionär, bald überschwenglich sentimental und weich, bald
hart und grausam, war schon längst von seiner romantischen Freundschaft für
Friedrich Wilhelm von Preußen abgekommen, wie von der Idee, der Beglücker
und Beschützer Deutschlands zu sein und gefiel sich nun in der neuen Rolle,
als edelmütiger, selbstloser Erlöser des armen, gedemütigten Frankreichs aus¬
zutreten. Mystische Einflüsse, die in jener Zeit auf seine leicht erregbare Seele
einwirkten, wie die Prophezeiungen der bekannten schönen Frau von Krüdener,
die aus einer umschwärmten Weltdame eine demütig berechnende Büßerin
geworden war, und die Lehren des Münchener Philosophen Franz von Baader,
der von einer neuen und innigeren Vereinigung der Religion und Politik, von
einer Verbrüderung aller Souveräne auf den Grundlagen der Liebe, Freund¬
schaft und der christlichen Religion träumte, trugen dazu bei, ihn den französischen
Wünschen gegenüber allzu nachgiebig zu machen. Bernhardi weist nach, daß die
französische Negierung damals alles daran setzte, durch Frau von Krüdener
und deren Freundin, Frau von Lezay-Marnesia, "die in ihrer Freundschaft
mit Frau von Krüdener (Juliane von Krüdener stammte aus den russischen
Ostseeprovinzen) das Bündnis zwischen Frankreich und Rußland, das die Vor¬
sehung als Weg und Mittel zur Herstellung der Religion wolle, gleichsam
vorbedeutet sah," Alexander in ihrem Interesse zu beeinflussen. Sie habe alle
Mittel und Wege angewandt, "um die Stimme Gottes durch den Mund dieser
erleuchteten Frauen sprechen zu lassen, und diese Stimme ermahnte natürlich
zur christlichen Demut im Siege, zur Großmut, zur Wahrung der heiligsten
Interessen der Menschheit gegen Rachedurst und wilde unchristliche Leiden¬
schaft."

Aber neben diesen mystischen waren es weit mehr weltliche und rein
politische Erwägungen, die den Kaiser leiteten. Es war Capodistrias, der


Die Friedensziele von >s^5

daß es eins gibt, ein Deutschland und Deutsche. Ein Deutschland, welches seine
Art public 8pirit hat."

Was nützte aber diese ganze schöne Entschlossenheit und Einigkeit der
deutschen Fürsten und ihres Volkes? In bitterer Erkenntnis nutzten sie er¬
fahren, daß man zwar ihre Hilfe im Krieg wie im Jahre vorher nicht wohl
hätte entbehren können, daß man aber nach dem Siege durchaus nicht gewillt
war, ihre Politik zu unterstützen. Man hatte in Paris einen Ministerrat
gebildet, der die Friedensbedingungen besprechen sollte und in den jeder der
vier Mächte drei Bevollmächtigte geschickt hatte, England Castlereagh, Wellington
und Sir Charles Stuart, Rußland Capodistrias, Nesselrode, Pozzo ti-Borgo,
Preußen Hardenberg, Humboldt und Gneisenau, Österreich Metternich, Wessen-
berg und Schwarzenberg. Eine Einigung aber zu erzielen war schwer, da die
Ansichten über die Friedensbedingungen und die Behandlung Frankreichs weit
auseinandergingen.

Zar Alexander von Rußland, dieser ständig hin und her schwankende
Monarch, bald liberal, bald pietistisch und mystisch religiös, bald von Reformen
träumend, bald reaktionär, bald überschwenglich sentimental und weich, bald
hart und grausam, war schon längst von seiner romantischen Freundschaft für
Friedrich Wilhelm von Preußen abgekommen, wie von der Idee, der Beglücker
und Beschützer Deutschlands zu sein und gefiel sich nun in der neuen Rolle,
als edelmütiger, selbstloser Erlöser des armen, gedemütigten Frankreichs aus¬
zutreten. Mystische Einflüsse, die in jener Zeit auf seine leicht erregbare Seele
einwirkten, wie die Prophezeiungen der bekannten schönen Frau von Krüdener,
die aus einer umschwärmten Weltdame eine demütig berechnende Büßerin
geworden war, und die Lehren des Münchener Philosophen Franz von Baader,
der von einer neuen und innigeren Vereinigung der Religion und Politik, von
einer Verbrüderung aller Souveräne auf den Grundlagen der Liebe, Freund¬
schaft und der christlichen Religion träumte, trugen dazu bei, ihn den französischen
Wünschen gegenüber allzu nachgiebig zu machen. Bernhardi weist nach, daß die
französische Negierung damals alles daran setzte, durch Frau von Krüdener
und deren Freundin, Frau von Lezay-Marnesia, „die in ihrer Freundschaft
mit Frau von Krüdener (Juliane von Krüdener stammte aus den russischen
Ostseeprovinzen) das Bündnis zwischen Frankreich und Rußland, das die Vor¬
sehung als Weg und Mittel zur Herstellung der Religion wolle, gleichsam
vorbedeutet sah," Alexander in ihrem Interesse zu beeinflussen. Sie habe alle
Mittel und Wege angewandt, „um die Stimme Gottes durch den Mund dieser
erleuchteten Frauen sprechen zu lassen, und diese Stimme ermahnte natürlich
zur christlichen Demut im Siege, zur Großmut, zur Wahrung der heiligsten
Interessen der Menschheit gegen Rachedurst und wilde unchristliche Leiden¬
schaft."

Aber neben diesen mystischen waren es weit mehr weltliche und rein
politische Erwägungen, die den Kaiser leiteten. Es war Capodistrias, der


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[0123] Die Friedensziele von >s^5 daß es eins gibt, ein Deutschland und Deutsche. Ein Deutschland, welches seine Art public 8pirit hat." Was nützte aber diese ganze schöne Entschlossenheit und Einigkeit der deutschen Fürsten und ihres Volkes? In bitterer Erkenntnis nutzten sie er¬ fahren, daß man zwar ihre Hilfe im Krieg wie im Jahre vorher nicht wohl hätte entbehren können, daß man aber nach dem Siege durchaus nicht gewillt war, ihre Politik zu unterstützen. Man hatte in Paris einen Ministerrat gebildet, der die Friedensbedingungen besprechen sollte und in den jeder der vier Mächte drei Bevollmächtigte geschickt hatte, England Castlereagh, Wellington und Sir Charles Stuart, Rußland Capodistrias, Nesselrode, Pozzo ti-Borgo, Preußen Hardenberg, Humboldt und Gneisenau, Österreich Metternich, Wessen- berg und Schwarzenberg. Eine Einigung aber zu erzielen war schwer, da die Ansichten über die Friedensbedingungen und die Behandlung Frankreichs weit auseinandergingen. Zar Alexander von Rußland, dieser ständig hin und her schwankende Monarch, bald liberal, bald pietistisch und mystisch religiös, bald von Reformen träumend, bald reaktionär, bald überschwenglich sentimental und weich, bald hart und grausam, war schon längst von seiner romantischen Freundschaft für Friedrich Wilhelm von Preußen abgekommen, wie von der Idee, der Beglücker und Beschützer Deutschlands zu sein und gefiel sich nun in der neuen Rolle, als edelmütiger, selbstloser Erlöser des armen, gedemütigten Frankreichs aus¬ zutreten. Mystische Einflüsse, die in jener Zeit auf seine leicht erregbare Seele einwirkten, wie die Prophezeiungen der bekannten schönen Frau von Krüdener, die aus einer umschwärmten Weltdame eine demütig berechnende Büßerin geworden war, und die Lehren des Münchener Philosophen Franz von Baader, der von einer neuen und innigeren Vereinigung der Religion und Politik, von einer Verbrüderung aller Souveräne auf den Grundlagen der Liebe, Freund¬ schaft und der christlichen Religion träumte, trugen dazu bei, ihn den französischen Wünschen gegenüber allzu nachgiebig zu machen. Bernhardi weist nach, daß die französische Negierung damals alles daran setzte, durch Frau von Krüdener und deren Freundin, Frau von Lezay-Marnesia, „die in ihrer Freundschaft mit Frau von Krüdener (Juliane von Krüdener stammte aus den russischen Ostseeprovinzen) das Bündnis zwischen Frankreich und Rußland, das die Vor¬ sehung als Weg und Mittel zur Herstellung der Religion wolle, gleichsam vorbedeutet sah," Alexander in ihrem Interesse zu beeinflussen. Sie habe alle Mittel und Wege angewandt, „um die Stimme Gottes durch den Mund dieser erleuchteten Frauen sprechen zu lassen, und diese Stimme ermahnte natürlich zur christlichen Demut im Siege, zur Großmut, zur Wahrung der heiligsten Interessen der Menschheit gegen Rachedurst und wilde unchristliche Leiden¬ schaft." Aber neben diesen mystischen waren es weit mehr weltliche und rein politische Erwägungen, die den Kaiser leiteten. Es war Capodistrias, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/123>, abgerufen am 23.07.2024.