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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Frieden-ziele von

läßt sich mit beinahe mehr als Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß Frankreich
an seinen Grenzen mehrere Provinzen verlieren wird".

Ebenso fordert die "Minerva" in ihrem Augustheft, daß ein Staat, der
widerrechtlich einen ruhigen durch seine Verfassung in Wohlstand sich befindenden
benachbarten Staat angegriffen, sich eines Teils desselben bemächtigt, zu dem
er gar kein Besitzrecht gehabt, durch Kontributionen und jahrelange Verpflegung
raubsüchtiger Heere und habsüchtiger Anführer das Vermögen und den Erwerb
auch des ärmsten Staatsbürgers in Anspruch genommen habe, daß dieser Staat
den mit Waffengewalt sich zugeeigneten Teil des Landes im ehemaligen
blühenden Zustande herausgeben, alle geforderten Kontributionen und Requi¬
sitionen mit Zinsen ersetzen, alle Kriegskosten erstatten und die Untertanen für
alles, ihnen vom Unterdrücker zugefügte Leid, entschädigen müsse.

Ungestümer und feuriger noch geht Görres vor, der schon seit langem,
ein leidenschaftlicher Gegner Napoleons, in seiner Zeitschrift, "Der rheinische
Merkur", sich zum unerschrockenen Vorkämpfer und hinreißenden, kühnen Redner
der deutschen Patrioten aufgeworfen hatte, in einer Zeit, da es noch gefährlich
war, den Gewaltigen zu reizen. Er, der stolz von sich sagen konnte, er habe
nie Napoleons Brot gegessen, noch aus seinem Becher getrunken, übt nun
Kritik an der von Blücher bei seinem Einmarsch in Paris geforderten Kriegs¬
kontribution von hundert Millionen Franken und verlangt eine weniger
glimpfliche Behandlung der französischen Metropole: "In der Hauptstadt sind
alle Schätze der Welt geborgen, in ihr saßen die Marschälle und andere Sünder,
hudert die Millionen, die sie allen Völkern abgepreßt, und die sie, immer
mißtrauend dem Wechsel des Glücks, größtenteils in Bären aufgehäuft erhalten.
Hier durfte nicht gezagt noch auch gezögert werden, nicht hundert Millionen
mußten gefordert sein, nein fünfhundert mußten sie in kürzester Frist hingeben,
sollte die Buße in einigem Verhältnis zu dem angerichteten Schaden stehen,
und sie waren mit der rechten Miene gefordert, schneller aufgebracht, als die
hundert, halb zweifelnd und verschämt abverlangt. Jetzt hat man die Forderung,
schonend ihre Eitelkeit, bemäntelt, halb geleugnet, halb erlassen, in längeren
Aufständen hinausgeschoben und alles ist für sie gewonnen, indem sie in
langen Fristen und mit leichter Einbuße entrinnen werden. Das flache Land,
größtenteils arm und bettelhaft wird indessen wohl gedrückt und doch in harter,
erbitternder Pressung wenig nur gewonnen, während die reichen Räuber wieder
ihre Schätze sich gerettet sehen, oder höchstens einer oder der andere, im Aus¬
land seinen Reichtum verprassend, den Völkern durch unwiderlegliches Beispiel
die Lehre predigt, daß kein Handwerk mehr geehrt und geschont und geachtet
ist als das des kühnen, unverschämten Gauners. Mag Ostpreußen dann seinem
König den Schuldbrief von achtunddreißig Millionen Talern Hinhalten, Schlesien
und die Marken nicht geringere Verschreibungen, mag Sachsen in kümmerlichster
Not und Armut sich verzehrend sein ganzes verlorenes Kapital, abermals
sechsunddreißig Millionen, verklagen; mag Württemberg sich in Kummer und


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läßt sich mit beinahe mehr als Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß Frankreich
an seinen Grenzen mehrere Provinzen verlieren wird".

Ebenso fordert die „Minerva" in ihrem Augustheft, daß ein Staat, der
widerrechtlich einen ruhigen durch seine Verfassung in Wohlstand sich befindenden
benachbarten Staat angegriffen, sich eines Teils desselben bemächtigt, zu dem
er gar kein Besitzrecht gehabt, durch Kontributionen und jahrelange Verpflegung
raubsüchtiger Heere und habsüchtiger Anführer das Vermögen und den Erwerb
auch des ärmsten Staatsbürgers in Anspruch genommen habe, daß dieser Staat
den mit Waffengewalt sich zugeeigneten Teil des Landes im ehemaligen
blühenden Zustande herausgeben, alle geforderten Kontributionen und Requi¬
sitionen mit Zinsen ersetzen, alle Kriegskosten erstatten und die Untertanen für
alles, ihnen vom Unterdrücker zugefügte Leid, entschädigen müsse.

Ungestümer und feuriger noch geht Görres vor, der schon seit langem,
ein leidenschaftlicher Gegner Napoleons, in seiner Zeitschrift, „Der rheinische
Merkur", sich zum unerschrockenen Vorkämpfer und hinreißenden, kühnen Redner
der deutschen Patrioten aufgeworfen hatte, in einer Zeit, da es noch gefährlich
war, den Gewaltigen zu reizen. Er, der stolz von sich sagen konnte, er habe
nie Napoleons Brot gegessen, noch aus seinem Becher getrunken, übt nun
Kritik an der von Blücher bei seinem Einmarsch in Paris geforderten Kriegs¬
kontribution von hundert Millionen Franken und verlangt eine weniger
glimpfliche Behandlung der französischen Metropole: „In der Hauptstadt sind
alle Schätze der Welt geborgen, in ihr saßen die Marschälle und andere Sünder,
hudert die Millionen, die sie allen Völkern abgepreßt, und die sie, immer
mißtrauend dem Wechsel des Glücks, größtenteils in Bären aufgehäuft erhalten.
Hier durfte nicht gezagt noch auch gezögert werden, nicht hundert Millionen
mußten gefordert sein, nein fünfhundert mußten sie in kürzester Frist hingeben,
sollte die Buße in einigem Verhältnis zu dem angerichteten Schaden stehen,
und sie waren mit der rechten Miene gefordert, schneller aufgebracht, als die
hundert, halb zweifelnd und verschämt abverlangt. Jetzt hat man die Forderung,
schonend ihre Eitelkeit, bemäntelt, halb geleugnet, halb erlassen, in längeren
Aufständen hinausgeschoben und alles ist für sie gewonnen, indem sie in
langen Fristen und mit leichter Einbuße entrinnen werden. Das flache Land,
größtenteils arm und bettelhaft wird indessen wohl gedrückt und doch in harter,
erbitternder Pressung wenig nur gewonnen, während die reichen Räuber wieder
ihre Schätze sich gerettet sehen, oder höchstens einer oder der andere, im Aus¬
land seinen Reichtum verprassend, den Völkern durch unwiderlegliches Beispiel
die Lehre predigt, daß kein Handwerk mehr geehrt und geschont und geachtet
ist als das des kühnen, unverschämten Gauners. Mag Ostpreußen dann seinem
König den Schuldbrief von achtunddreißig Millionen Talern Hinhalten, Schlesien
und die Marken nicht geringere Verschreibungen, mag Sachsen in kümmerlichster
Not und Armut sich verzehrend sein ganzes verlorenes Kapital, abermals
sechsunddreißig Millionen, verklagen; mag Württemberg sich in Kummer und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/120>, abgerufen am 23.07.2024.