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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Friedensziele von 5355

Vergebens hatte damals Perthes prophezeit, daß die Franzosen auch unter
der weißen Kokarde sich gleich bleiben würden, vergebens hatte Ernst Moritz Arndt
gewarnt: "Mit Bonaparte sterben die Franzosen noch nicht, mit seinem Übermut
und Trotz ist der französische Übermut und Trotz noch nicht gebändigt, noch die
Unruhe des gaukelischen Volkes eingeschläfert. Die Franzosen haben viel durch
ihn gelitten, aber die Welt litt mehr durch die Franzosen als durch ihn, er
hat ihrer Büberei und Treulosigkeit, womit es sie immer nach den Ländern und
Gütern ihrer Nachbarn gelüstete, die Krone aufgesetzt, sie werden auch nach ihm
sein, die sie immer gewesen sind, und von dem vor ihm und mit ihm geraubten
freiwillig auch nicht das geringste herausgeben wollen. Bonaparte wird fallen.
Aber töricht ist die Meinung derer, welche glauben, daß die Franzosen
nach seinem Fall ruhig werden, ja, daß sie, was sie nie waren, ein
mäßiges und gerechtes Volk sein werden. Nein, sie werden bleiben, die
sie sind."

Doch hatten sich damals auch Deutsche gefunden, die politische Gründe
und philosophische Theorien genug wußten, den schmählichen Frieden zu recht¬
fertigen, in dem Preußen, das die meisten Kämpfer gestellt und die größten Opfer
gebracht, "den Großmütigen" hatte spielen müssen, wollte es sich nicht "um die
gnädige Beteiligung am Kongresse" bringen.

Jetzt aber, da Arndts Prophezeiung sich so rasch erfüllt hatte, da selbst die
verbündeten Mächte einzusehen begannen, daß allzu große Milde nicht immer
große Klugheit sei, geht durch das ganze Volk das gleiche und tiefe Verlangen
nach einem Frieden, der die Opfer lohne, der die dauernde Ruhe bringe, der
vor allem dem Deutschen wiedergebe, was des Deutschen ist. Noch ist ja vieles
unklar, noch überwiegt das heiße leidenschaftliche Gefühl die feinen Reflexionen
des Verstandes, noch flutet wahllos alles hin und her, noch hat das Volk
keinen Vertreter, der seine Wünsche und Hoffnungen der Negierung über¬
bringen konnte. Aber doch, wie schön ist diese heilige Erregung der jungen
Nation, die freudig und doch demütig ihre starke Kraft erkennt, und die jetzt
durch die einzige Stimme, die sie besitzt -- die Presse -- ihre Entschlossenheit
und ihren festen, einheitlichen Willen laut der ganzen Welt verkündet! Wieder¬
gewinnung der deutschen Grenzlande, die seit Ludwig dem Vierzehnten verloren
waren, Wiederherstellung der alten Reichsgrenze, Unterdrückung der französischen
Machtbestrebungen und der unmäßigen Ausdehnung des Nachbarstaates, Zurück¬
gabe der geraubten Bilder und Manuskripte, das waren ungefähr die Forde¬
rungen, die die öffentliche Meinung damals stellte.

Schon am 31. Juli diskutierte die "Allgemeine Zeitung", wenn auch noch
mit Vorsicht und Zurückhaltung, wie man am besten dem französischen Über¬
gewichte in Europa ein Ende bereiten könne. "Soviel ist wohl als gewiß
anzunehmen", bemerkte sie, "daß Frankreich diesmal nicht, wie im vorigen
Jahr als ein freundschaftlicher Staat, sondern wie ein Besiegter, dem der
Sieger Gesetze vorzuschreiben das Recht hat, behandelt werden wird, und es


Die Friedensziele von 5355

Vergebens hatte damals Perthes prophezeit, daß die Franzosen auch unter
der weißen Kokarde sich gleich bleiben würden, vergebens hatte Ernst Moritz Arndt
gewarnt: „Mit Bonaparte sterben die Franzosen noch nicht, mit seinem Übermut
und Trotz ist der französische Übermut und Trotz noch nicht gebändigt, noch die
Unruhe des gaukelischen Volkes eingeschläfert. Die Franzosen haben viel durch
ihn gelitten, aber die Welt litt mehr durch die Franzosen als durch ihn, er
hat ihrer Büberei und Treulosigkeit, womit es sie immer nach den Ländern und
Gütern ihrer Nachbarn gelüstete, die Krone aufgesetzt, sie werden auch nach ihm
sein, die sie immer gewesen sind, und von dem vor ihm und mit ihm geraubten
freiwillig auch nicht das geringste herausgeben wollen. Bonaparte wird fallen.
Aber töricht ist die Meinung derer, welche glauben, daß die Franzosen
nach seinem Fall ruhig werden, ja, daß sie, was sie nie waren, ein
mäßiges und gerechtes Volk sein werden. Nein, sie werden bleiben, die
sie sind."

Doch hatten sich damals auch Deutsche gefunden, die politische Gründe
und philosophische Theorien genug wußten, den schmählichen Frieden zu recht¬
fertigen, in dem Preußen, das die meisten Kämpfer gestellt und die größten Opfer
gebracht, „den Großmütigen" hatte spielen müssen, wollte es sich nicht „um die
gnädige Beteiligung am Kongresse" bringen.

Jetzt aber, da Arndts Prophezeiung sich so rasch erfüllt hatte, da selbst die
verbündeten Mächte einzusehen begannen, daß allzu große Milde nicht immer
große Klugheit sei, geht durch das ganze Volk das gleiche und tiefe Verlangen
nach einem Frieden, der die Opfer lohne, der die dauernde Ruhe bringe, der
vor allem dem Deutschen wiedergebe, was des Deutschen ist. Noch ist ja vieles
unklar, noch überwiegt das heiße leidenschaftliche Gefühl die feinen Reflexionen
des Verstandes, noch flutet wahllos alles hin und her, noch hat das Volk
keinen Vertreter, der seine Wünsche und Hoffnungen der Negierung über¬
bringen konnte. Aber doch, wie schön ist diese heilige Erregung der jungen
Nation, die freudig und doch demütig ihre starke Kraft erkennt, und die jetzt
durch die einzige Stimme, die sie besitzt — die Presse — ihre Entschlossenheit
und ihren festen, einheitlichen Willen laut der ganzen Welt verkündet! Wieder¬
gewinnung der deutschen Grenzlande, die seit Ludwig dem Vierzehnten verloren
waren, Wiederherstellung der alten Reichsgrenze, Unterdrückung der französischen
Machtbestrebungen und der unmäßigen Ausdehnung des Nachbarstaates, Zurück¬
gabe der geraubten Bilder und Manuskripte, das waren ungefähr die Forde¬
rungen, die die öffentliche Meinung damals stellte.

Schon am 31. Juli diskutierte die „Allgemeine Zeitung", wenn auch noch
mit Vorsicht und Zurückhaltung, wie man am besten dem französischen Über¬
gewichte in Europa ein Ende bereiten könne. „Soviel ist wohl als gewiß
anzunehmen", bemerkte sie, „daß Frankreich diesmal nicht, wie im vorigen
Jahr als ein freundschaftlicher Staat, sondern wie ein Besiegter, dem der
Sieger Gesetze vorzuschreiben das Recht hat, behandelt werden wird, und es


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[0119] Die Friedensziele von 5355 Vergebens hatte damals Perthes prophezeit, daß die Franzosen auch unter der weißen Kokarde sich gleich bleiben würden, vergebens hatte Ernst Moritz Arndt gewarnt: „Mit Bonaparte sterben die Franzosen noch nicht, mit seinem Übermut und Trotz ist der französische Übermut und Trotz noch nicht gebändigt, noch die Unruhe des gaukelischen Volkes eingeschläfert. Die Franzosen haben viel durch ihn gelitten, aber die Welt litt mehr durch die Franzosen als durch ihn, er hat ihrer Büberei und Treulosigkeit, womit es sie immer nach den Ländern und Gütern ihrer Nachbarn gelüstete, die Krone aufgesetzt, sie werden auch nach ihm sein, die sie immer gewesen sind, und von dem vor ihm und mit ihm geraubten freiwillig auch nicht das geringste herausgeben wollen. Bonaparte wird fallen. Aber töricht ist die Meinung derer, welche glauben, daß die Franzosen nach seinem Fall ruhig werden, ja, daß sie, was sie nie waren, ein mäßiges und gerechtes Volk sein werden. Nein, sie werden bleiben, die sie sind." Doch hatten sich damals auch Deutsche gefunden, die politische Gründe und philosophische Theorien genug wußten, den schmählichen Frieden zu recht¬ fertigen, in dem Preußen, das die meisten Kämpfer gestellt und die größten Opfer gebracht, „den Großmütigen" hatte spielen müssen, wollte es sich nicht „um die gnädige Beteiligung am Kongresse" bringen. Jetzt aber, da Arndts Prophezeiung sich so rasch erfüllt hatte, da selbst die verbündeten Mächte einzusehen begannen, daß allzu große Milde nicht immer große Klugheit sei, geht durch das ganze Volk das gleiche und tiefe Verlangen nach einem Frieden, der die Opfer lohne, der die dauernde Ruhe bringe, der vor allem dem Deutschen wiedergebe, was des Deutschen ist. Noch ist ja vieles unklar, noch überwiegt das heiße leidenschaftliche Gefühl die feinen Reflexionen des Verstandes, noch flutet wahllos alles hin und her, noch hat das Volk keinen Vertreter, der seine Wünsche und Hoffnungen der Negierung über¬ bringen konnte. Aber doch, wie schön ist diese heilige Erregung der jungen Nation, die freudig und doch demütig ihre starke Kraft erkennt, und die jetzt durch die einzige Stimme, die sie besitzt — die Presse — ihre Entschlossenheit und ihren festen, einheitlichen Willen laut der ganzen Welt verkündet! Wieder¬ gewinnung der deutschen Grenzlande, die seit Ludwig dem Vierzehnten verloren waren, Wiederherstellung der alten Reichsgrenze, Unterdrückung der französischen Machtbestrebungen und der unmäßigen Ausdehnung des Nachbarstaates, Zurück¬ gabe der geraubten Bilder und Manuskripte, das waren ungefähr die Forde¬ rungen, die die öffentliche Meinung damals stellte. Schon am 31. Juli diskutierte die „Allgemeine Zeitung", wenn auch noch mit Vorsicht und Zurückhaltung, wie man am besten dem französischen Über¬ gewichte in Europa ein Ende bereiten könne. „Soviel ist wohl als gewiß anzunehmen", bemerkte sie, „daß Frankreich diesmal nicht, wie im vorigen Jahr als ein freundschaftlicher Staat, sondern wie ein Besiegter, dem der Sieger Gesetze vorzuschreiben das Recht hat, behandelt werden wird, und es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/119>, abgerufen am 23.07.2024.