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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

Element der französischen Heer- und Kriegsführung unermeßlichen Schaden
zugefügt habe. i

Ein paar Worte bitteren Spottes fallen noch ab für die Spionenschnüffelei,
welche damals einen wahrhaft ungeheuerlichen Umfang und die burlesksten
Formen annahm*). Dann faßt Gobineau das innere Leben Frankreichs
während der letzten Zeiten des vererdenden Kaisertums zusammen als
"unfruchtbare Aufregungen und Bemühungen ohne Tragweite, verunglückte
Versuche, böser Wille, wuchernd wie das Unkraut, lächerliche Einfälle, die
schließlich in die verrücktesten Tollheiten ausarteten."

Sedan bringt den äußersten Tiefstand der französischen Geschichte und
hätte, nach Gobineau, den Frieden bringen müssen. Aber das Frankreich, das
das Kaisertum gestürzt und sich eine neue Regierungsform mit der Leichtigkeit
geschaffen hatte, mit der ungesunde Frauen ihre Kinder in die Welt setzen, wollt?
es anders. Die Republik glaubte dem falschen Nimbus, den sie sich nach dem
Vorbilde ihrer ersten Vorgängerin begrifflich konstruierte, die Fortführung des
Krieges zu schulden. Man hat diese Fortsetzung zu einem Volkskriege stempeln
wollen. Sie war es nicht. Ein großes heroisches Aufraffen des ganzen
Volkes hat es im zweiten Kriege so wenig wie im ersten gegeben. Die Mittel,
welche die Regierenden anwandten, um jenes aufzustacheln/ waren die denkbar
verwerflichsten: Verleumdungen des Feindes und falsche Siegesherichte. ^ Bei
diesem Lügentreiben bedienten sie sich mit Vorliebe jener dunklen Ehrenmänner>
der Unruhköpfe von Profession, deren Weizen in Zeiten der Revolution zu
blühen pflegt. Diese trieben es zeitweise so arg (Gobineau gibt einige Proben
des damals losgelassenen Schwindelfeuerwerkes), daß die Regierung selbst
dagegen einschreiten zu müssen glaubte. Aber die französische Volksseele blieb
vergiftet, und alles Lärmen schreckte doch schließlich nur, so daß die Herzen
immer mehr erstarrten und sich zusammenzogen. Dabei verliert alle Welt den
Kopf, die unsinnigsten Anordnungen werden getroffen, wie die Massenverwüstungen
und -Zerstörungen im weitesten Umkreise von Paris, eine halb theatralische
Maßregel, bei der wiederum, wie bei der Franktireurserhebung die Volks¬
aufstände der Spanier und Calabresen, so diesmal das russische Beispiel von
1812 die Losung gegeben zu haben scheint. Ein allgemeines Flüchten^
namentlich der Landbevölkerung, beginnt, von der Regierung gar nicht ungern
gesehen, da es die verhaßten Deutschen in das von ihr gewünschte Licht zu
rücken scheint, während Gobineau auch hier wieder keine Gelegenheit versäumt,
ihnen Ehrenerklärungen auszustellen. u

Die letzten Blätter der Schrift sind den lokalen Vorgängen in Gobineaus
engerem Vaterlande, dem Beauvaists, gewidmet. Die Besetzung; von Beauvais
durch die Sachsen schließt das Ganze, sehr unvermittelt und provisorisch, ab>



*) Einmal brachte man Gobineau sogar ein paar Taubstumme als Spione und ließ
sich auch später nicht davon abbringen, daß er von diesen armen Teufeln getäuscht worden sei.
Gobineau über Deutsche und Franzosen

Element der französischen Heer- und Kriegsführung unermeßlichen Schaden
zugefügt habe. i

Ein paar Worte bitteren Spottes fallen noch ab für die Spionenschnüffelei,
welche damals einen wahrhaft ungeheuerlichen Umfang und die burlesksten
Formen annahm*). Dann faßt Gobineau das innere Leben Frankreichs
während der letzten Zeiten des vererdenden Kaisertums zusammen als
„unfruchtbare Aufregungen und Bemühungen ohne Tragweite, verunglückte
Versuche, böser Wille, wuchernd wie das Unkraut, lächerliche Einfälle, die
schließlich in die verrücktesten Tollheiten ausarteten."

Sedan bringt den äußersten Tiefstand der französischen Geschichte und
hätte, nach Gobineau, den Frieden bringen müssen. Aber das Frankreich, das
das Kaisertum gestürzt und sich eine neue Regierungsform mit der Leichtigkeit
geschaffen hatte, mit der ungesunde Frauen ihre Kinder in die Welt setzen, wollt?
es anders. Die Republik glaubte dem falschen Nimbus, den sie sich nach dem
Vorbilde ihrer ersten Vorgängerin begrifflich konstruierte, die Fortführung des
Krieges zu schulden. Man hat diese Fortsetzung zu einem Volkskriege stempeln
wollen. Sie war es nicht. Ein großes heroisches Aufraffen des ganzen
Volkes hat es im zweiten Kriege so wenig wie im ersten gegeben. Die Mittel,
welche die Regierenden anwandten, um jenes aufzustacheln/ waren die denkbar
verwerflichsten: Verleumdungen des Feindes und falsche Siegesherichte. ^ Bei
diesem Lügentreiben bedienten sie sich mit Vorliebe jener dunklen Ehrenmänner>
der Unruhköpfe von Profession, deren Weizen in Zeiten der Revolution zu
blühen pflegt. Diese trieben es zeitweise so arg (Gobineau gibt einige Proben
des damals losgelassenen Schwindelfeuerwerkes), daß die Regierung selbst
dagegen einschreiten zu müssen glaubte. Aber die französische Volksseele blieb
vergiftet, und alles Lärmen schreckte doch schließlich nur, so daß die Herzen
immer mehr erstarrten und sich zusammenzogen. Dabei verliert alle Welt den
Kopf, die unsinnigsten Anordnungen werden getroffen, wie die Massenverwüstungen
und -Zerstörungen im weitesten Umkreise von Paris, eine halb theatralische
Maßregel, bei der wiederum, wie bei der Franktireurserhebung die Volks¬
aufstände der Spanier und Calabresen, so diesmal das russische Beispiel von
1812 die Losung gegeben zu haben scheint. Ein allgemeines Flüchten^
namentlich der Landbevölkerung, beginnt, von der Regierung gar nicht ungern
gesehen, da es die verhaßten Deutschen in das von ihr gewünschte Licht zu
rücken scheint, während Gobineau auch hier wieder keine Gelegenheit versäumt,
ihnen Ehrenerklärungen auszustellen. u

Die letzten Blätter der Schrift sind den lokalen Vorgängen in Gobineaus
engerem Vaterlande, dem Beauvaists, gewidmet. Die Besetzung; von Beauvais
durch die Sachsen schließt das Ganze, sehr unvermittelt und provisorisch, ab>



*) Einmal brachte man Gobineau sogar ein paar Taubstumme als Spione und ließ
sich auch später nicht davon abbringen, daß er von diesen armen Teufeln getäuscht worden sei.
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[0099] Gobineau über Deutsche und Franzosen Element der französischen Heer- und Kriegsführung unermeßlichen Schaden zugefügt habe. i Ein paar Worte bitteren Spottes fallen noch ab für die Spionenschnüffelei, welche damals einen wahrhaft ungeheuerlichen Umfang und die burlesksten Formen annahm*). Dann faßt Gobineau das innere Leben Frankreichs während der letzten Zeiten des vererdenden Kaisertums zusammen als „unfruchtbare Aufregungen und Bemühungen ohne Tragweite, verunglückte Versuche, böser Wille, wuchernd wie das Unkraut, lächerliche Einfälle, die schließlich in die verrücktesten Tollheiten ausarteten." Sedan bringt den äußersten Tiefstand der französischen Geschichte und hätte, nach Gobineau, den Frieden bringen müssen. Aber das Frankreich, das das Kaisertum gestürzt und sich eine neue Regierungsform mit der Leichtigkeit geschaffen hatte, mit der ungesunde Frauen ihre Kinder in die Welt setzen, wollt? es anders. Die Republik glaubte dem falschen Nimbus, den sie sich nach dem Vorbilde ihrer ersten Vorgängerin begrifflich konstruierte, die Fortführung des Krieges zu schulden. Man hat diese Fortsetzung zu einem Volkskriege stempeln wollen. Sie war es nicht. Ein großes heroisches Aufraffen des ganzen Volkes hat es im zweiten Kriege so wenig wie im ersten gegeben. Die Mittel, welche die Regierenden anwandten, um jenes aufzustacheln/ waren die denkbar verwerflichsten: Verleumdungen des Feindes und falsche Siegesherichte. ^ Bei diesem Lügentreiben bedienten sie sich mit Vorliebe jener dunklen Ehrenmänner> der Unruhköpfe von Profession, deren Weizen in Zeiten der Revolution zu blühen pflegt. Diese trieben es zeitweise so arg (Gobineau gibt einige Proben des damals losgelassenen Schwindelfeuerwerkes), daß die Regierung selbst dagegen einschreiten zu müssen glaubte. Aber die französische Volksseele blieb vergiftet, und alles Lärmen schreckte doch schließlich nur, so daß die Herzen immer mehr erstarrten und sich zusammenzogen. Dabei verliert alle Welt den Kopf, die unsinnigsten Anordnungen werden getroffen, wie die Massenverwüstungen und -Zerstörungen im weitesten Umkreise von Paris, eine halb theatralische Maßregel, bei der wiederum, wie bei der Franktireurserhebung die Volks¬ aufstände der Spanier und Calabresen, so diesmal das russische Beispiel von 1812 die Losung gegeben zu haben scheint. Ein allgemeines Flüchten^ namentlich der Landbevölkerung, beginnt, von der Regierung gar nicht ungern gesehen, da es die verhaßten Deutschen in das von ihr gewünschte Licht zu rücken scheint, während Gobineau auch hier wieder keine Gelegenheit versäumt, ihnen Ehrenerklärungen auszustellen. u Die letzten Blätter der Schrift sind den lokalen Vorgängen in Gobineaus engerem Vaterlande, dem Beauvaists, gewidmet. Die Besetzung; von Beauvais durch die Sachsen schließt das Ganze, sehr unvermittelt und provisorisch, ab> *) Einmal brachte man Gobineau sogar ein paar Taubstumme als Spione und ließ sich auch später nicht davon abbringen, daß er von diesen armen Teufeln getäuscht worden sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/99>, abgerufen am 22.07.2024.