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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die volkskirchs und ihre vaterländische Sendung

eiserner Zeit steht er heute vor uns, der als guter Christ dennoch das Wort
gesprochen: über den Krieg müsse man männlich denken.

Keiner kennt die Schrecken des Krieges wie er. keiner weiß zugleich so
klar und unedlen über ihn zu reden. Der Krieg ist "ein furchtbares, grausiges
Schrecknis", Teuerung und Pestilenz sind "wie Fuchsschwänze, ja. nicht zu
vergleichen mit dem Kriege. Wer ihn anfängt, der frevelt wider Gott und
soll geschlagen werden." Aber dieser "Kriegslust" steht ein anderes gegenüber:
der "Notkrieg". "Der erste ist des Teufels, dem gebe Gott kein Glück, der
andere ist ein menschlich Unfall, dem helfe Gott. ... Es wird die Zeit selbst
Ernst genug mit sich bringen, daß den zornigen, trotzigen, stolzen Eisenfressern
die Zähne sollen so stumpf werden, daß sie nicht mal frische Butter beißen
können."

Auch die jetzt oft so müßig aufgeworfene und breitspurig behandelte Frage:
wenn es einen Gott gibt, so müsse er der gerechten Sache den Sieg verleihen,
wird von Luther treffend und kernig beantwortet: "Mann, Waffen, und alles,
so zum Streite gehört, soll man haben, so es zu bekommen ist, auf daß man
Gott nicht versuche. Aber wenn mans hat, soll man nicht darauf trotzen, auf
daß man Gott nicht vergesse oder verachte, denn es steht geschrieben: aller
Sieg kommt vom Himmel. . . . Wahr ist es, rechte gute Ursache hast du, zu
kriegen und dich zu wehren, aber du hast darum noch nicht Siegel und Briefe
von Gott, daß du gewinnen werdest."

Aber anderseits verheißt er: "Wer mit gutem, wohlberichtetem Gewissen
streitet, der kann auch wohl streiten, sintemal es nicht fehlen kann, wo gutes
Gewissen ist. da ist auch großer Mut und keckes Herz; wo aber das Herz keck
und der Mut groß ist, da ist die Faust noch desto mächtiger, und beide, Roß
und Mann, frischer, und gelingen alle Dinge besser, und schicken sich auch alle
Fälle und Sachen desto ferner zum Siege, welchen denn Gott auch gibt."

Das ist der männlich deutsche Klang, in dem uns die Verkündigung des
Wortes in dieser Zeit und auch in der kommenden geboten werden muß. Denn
wer kann sich heute, kann sich für eine sehr lange Zukunft eine Predigt vorstellen,
die nicht national gefärbt ist, in der das Deutsche und das Christliche nicht in¬
einander übergehen? Wer will überhaupt noch etwas hören, das mit den gewaltigen
Zeitereignissen nicht in irgendwelchem Zusammenhange steht?

Aber ich gehe weiter. Die vaterländische Aufgabe der Kirche hat noch
andere, ausgesprochen praktische Ziele: ethische und wirtschaftliche Aufklärung
unseres Volkes.

Es ist fraglos und wird jeden Tag durch die Erfahrung aufs neue
bestätigt, daß trotz aller behördlichen Maßnahmen weiten Kreisen der tiefe Ernst
unserer wirtschaftlichen Lage noch nicht aufgegangen ist. Dies liegt sehr oft
weniger am bösen Willen als an mangelnder Aufklärung.

Und hier ist meines Erachtens eine neue hochbedeutende vaterländische
Aufgabe für die Kirche geschaffen. Denn in ihr sammeln sich die Menschen


Die volkskirchs und ihre vaterländische Sendung

eiserner Zeit steht er heute vor uns, der als guter Christ dennoch das Wort
gesprochen: über den Krieg müsse man männlich denken.

Keiner kennt die Schrecken des Krieges wie er. keiner weiß zugleich so
klar und unedlen über ihn zu reden. Der Krieg ist „ein furchtbares, grausiges
Schrecknis", Teuerung und Pestilenz sind „wie Fuchsschwänze, ja. nicht zu
vergleichen mit dem Kriege. Wer ihn anfängt, der frevelt wider Gott und
soll geschlagen werden." Aber dieser „Kriegslust" steht ein anderes gegenüber:
der „Notkrieg". „Der erste ist des Teufels, dem gebe Gott kein Glück, der
andere ist ein menschlich Unfall, dem helfe Gott. ... Es wird die Zeit selbst
Ernst genug mit sich bringen, daß den zornigen, trotzigen, stolzen Eisenfressern
die Zähne sollen so stumpf werden, daß sie nicht mal frische Butter beißen
können."

Auch die jetzt oft so müßig aufgeworfene und breitspurig behandelte Frage:
wenn es einen Gott gibt, so müsse er der gerechten Sache den Sieg verleihen,
wird von Luther treffend und kernig beantwortet: „Mann, Waffen, und alles,
so zum Streite gehört, soll man haben, so es zu bekommen ist, auf daß man
Gott nicht versuche. Aber wenn mans hat, soll man nicht darauf trotzen, auf
daß man Gott nicht vergesse oder verachte, denn es steht geschrieben: aller
Sieg kommt vom Himmel. . . . Wahr ist es, rechte gute Ursache hast du, zu
kriegen und dich zu wehren, aber du hast darum noch nicht Siegel und Briefe
von Gott, daß du gewinnen werdest."

Aber anderseits verheißt er: „Wer mit gutem, wohlberichtetem Gewissen
streitet, der kann auch wohl streiten, sintemal es nicht fehlen kann, wo gutes
Gewissen ist. da ist auch großer Mut und keckes Herz; wo aber das Herz keck
und der Mut groß ist, da ist die Faust noch desto mächtiger, und beide, Roß
und Mann, frischer, und gelingen alle Dinge besser, und schicken sich auch alle
Fälle und Sachen desto ferner zum Siege, welchen denn Gott auch gibt."

Das ist der männlich deutsche Klang, in dem uns die Verkündigung des
Wortes in dieser Zeit und auch in der kommenden geboten werden muß. Denn
wer kann sich heute, kann sich für eine sehr lange Zukunft eine Predigt vorstellen,
die nicht national gefärbt ist, in der das Deutsche und das Christliche nicht in¬
einander übergehen? Wer will überhaupt noch etwas hören, das mit den gewaltigen
Zeitereignissen nicht in irgendwelchem Zusammenhange steht?

Aber ich gehe weiter. Die vaterländische Aufgabe der Kirche hat noch
andere, ausgesprochen praktische Ziele: ethische und wirtschaftliche Aufklärung
unseres Volkes.

Es ist fraglos und wird jeden Tag durch die Erfahrung aufs neue
bestätigt, daß trotz aller behördlichen Maßnahmen weiten Kreisen der tiefe Ernst
unserer wirtschaftlichen Lage noch nicht aufgegangen ist. Dies liegt sehr oft
weniger am bösen Willen als an mangelnder Aufklärung.

Und hier ist meines Erachtens eine neue hochbedeutende vaterländische
Aufgabe für die Kirche geschaffen. Denn in ihr sammeln sich die Menschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/89>, abgerufen am 22.07.2024.