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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante

nisses vor sich. Deswegen sind Stimmen laut geworden, man müsse Griechenland
für sich gewinnen, und zwar unter einer antislawifchen Parole. San Giuliano
schrieb schon 1902: "Der Hellenismus ist eine Kraft, die zu Verbündeten zu
haben unter Umständen sehr nützlich sein kann, und welche, wie die Freundschaft
der Rumänen, der Albanier und der Magyaren, uns einmal als Wehr gegen
das auf die Balkanhalbinsel eindringende Slawentum dienen kann."

Man sieht: als der gefährlichste Feind gilt unbefangener Betrachtung eben
doch der Panslawismus. Ihm gegenüber pflegt man auch die Verbindung mit
Rumänien. Daß die vielberufene Stammesverwandtschaft Rumäniens weniger
eine ethnische Tatsache als ein antirussisches politisches Programm bedeutet,
das hat uns ein Italiener (Amadori Virgilj) gelehrt: "Das rumänische
Volk, namentlich das Landvolk ist slawisch geblieben. Die führenden Klassen
sehen aber in dem Latinismus ein ganzes politisches Programm, die Behauptung
einer glücklichen Unabhängigkeit, nicht sowohl gegen die slawischen als gegen
die russischen Mächte, die das Land umgeben; sie erklären sich deshalb für
Lateiner, sie erwärmen sich bei der Erinnerung an Rom, das das opportunistische
Zeichen ihrer Unabhängigkeit ist."

In der Türkei hat Italien in den letzten fünfzehn Jahren seinen Einfluß vor
allem auf Kosten Frankreichs auszudehnen versucht. Die kirchenfeindliche dritte
Republik hat dem "kirchenräuberischen" Italien einen Teil seines Protektorats
über die katholischen Christen im Orient abgetreten. Darüber sind im August
1905 bestimmtere Abmachungen erfolgt, und Italien entfaltet dort seitdem eine
lebhafte wirtschaftliche und kulturelle Energie. Für die Unterstützung religiöser
Werke in der Levante gibt der italienische Staat mehr als eine Million aus,
und durch Schul- und Bankgründungen in Smyrna und Konstantinopel sucht
er seinen Einfluß zu stärken. Der Patriarch von Jerusalem ist ein Italiener.
Das Bestreben, Prestige zu gewinnen, illustriert der kleine Zug, daß die
Italiener in Kreta und in Kleinasien archäologische Ausgrabungen veranstalten,
obwohl doch der heimische Boden der unbehobenen Schätze die Hülle und
Fülle birgt. Der Sieg über die Türkei wurde dazu benutzt, in Kleinasien
wirtschaftliche Vergünstigungen zu gewinnen. Man versuchte in den Vilajets
Brussa und Albin, also im Norden wie im Westen, sich Einfluß zu schaffen.
Im September 1913 wurde einem italienischen Konsortium die Konzession
für die Bahn Adalia--Burdur erteilt, die dem italienischen Handel die Be¬
herrschung des Vilajets Adana im alten Pamphylien ermöglichen soll. Wie
man sieht, richtet sich diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht auf ein bestimmtes
Gebiet, sondern auf ganz Anatolien. Die bisherige italienische Orientpolitik
war keineswegs auf eine Teilung der Türkei berechnet, wie es von der Rußlands
und Englands gesagt werden kann. Seit dem Balkankrieg bestand denn auch
in Rom das aufrichtige Bestreben, die Stellung der Türkei zu kräftigen.
Freilich bedeutete der Eintritt der Türkei in den Weltkrieg für Italiens
Neutralitätspolitik eine Kraftprobe; denn die Erklärung des heiligen Kriegs


Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante

nisses vor sich. Deswegen sind Stimmen laut geworden, man müsse Griechenland
für sich gewinnen, und zwar unter einer antislawifchen Parole. San Giuliano
schrieb schon 1902: „Der Hellenismus ist eine Kraft, die zu Verbündeten zu
haben unter Umständen sehr nützlich sein kann, und welche, wie die Freundschaft
der Rumänen, der Albanier und der Magyaren, uns einmal als Wehr gegen
das auf die Balkanhalbinsel eindringende Slawentum dienen kann."

Man sieht: als der gefährlichste Feind gilt unbefangener Betrachtung eben
doch der Panslawismus. Ihm gegenüber pflegt man auch die Verbindung mit
Rumänien. Daß die vielberufene Stammesverwandtschaft Rumäniens weniger
eine ethnische Tatsache als ein antirussisches politisches Programm bedeutet,
das hat uns ein Italiener (Amadori Virgilj) gelehrt: „Das rumänische
Volk, namentlich das Landvolk ist slawisch geblieben. Die führenden Klassen
sehen aber in dem Latinismus ein ganzes politisches Programm, die Behauptung
einer glücklichen Unabhängigkeit, nicht sowohl gegen die slawischen als gegen
die russischen Mächte, die das Land umgeben; sie erklären sich deshalb für
Lateiner, sie erwärmen sich bei der Erinnerung an Rom, das das opportunistische
Zeichen ihrer Unabhängigkeit ist."

In der Türkei hat Italien in den letzten fünfzehn Jahren seinen Einfluß vor
allem auf Kosten Frankreichs auszudehnen versucht. Die kirchenfeindliche dritte
Republik hat dem „kirchenräuberischen" Italien einen Teil seines Protektorats
über die katholischen Christen im Orient abgetreten. Darüber sind im August
1905 bestimmtere Abmachungen erfolgt, und Italien entfaltet dort seitdem eine
lebhafte wirtschaftliche und kulturelle Energie. Für die Unterstützung religiöser
Werke in der Levante gibt der italienische Staat mehr als eine Million aus,
und durch Schul- und Bankgründungen in Smyrna und Konstantinopel sucht
er seinen Einfluß zu stärken. Der Patriarch von Jerusalem ist ein Italiener.
Das Bestreben, Prestige zu gewinnen, illustriert der kleine Zug, daß die
Italiener in Kreta und in Kleinasien archäologische Ausgrabungen veranstalten,
obwohl doch der heimische Boden der unbehobenen Schätze die Hülle und
Fülle birgt. Der Sieg über die Türkei wurde dazu benutzt, in Kleinasien
wirtschaftliche Vergünstigungen zu gewinnen. Man versuchte in den Vilajets
Brussa und Albin, also im Norden wie im Westen, sich Einfluß zu schaffen.
Im September 1913 wurde einem italienischen Konsortium die Konzession
für die Bahn Adalia—Burdur erteilt, die dem italienischen Handel die Be¬
herrschung des Vilajets Adana im alten Pamphylien ermöglichen soll. Wie
man sieht, richtet sich diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht auf ein bestimmtes
Gebiet, sondern auf ganz Anatolien. Die bisherige italienische Orientpolitik
war keineswegs auf eine Teilung der Türkei berechnet, wie es von der Rußlands
und Englands gesagt werden kann. Seit dem Balkankrieg bestand denn auch
in Rom das aufrichtige Bestreben, die Stellung der Türkei zu kräftigen.
Freilich bedeutete der Eintritt der Türkei in den Weltkrieg für Italiens
Neutralitätspolitik eine Kraftprobe; denn die Erklärung des heiligen Kriegs


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[0081] Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante nisses vor sich. Deswegen sind Stimmen laut geworden, man müsse Griechenland für sich gewinnen, und zwar unter einer antislawifchen Parole. San Giuliano schrieb schon 1902: „Der Hellenismus ist eine Kraft, die zu Verbündeten zu haben unter Umständen sehr nützlich sein kann, und welche, wie die Freundschaft der Rumänen, der Albanier und der Magyaren, uns einmal als Wehr gegen das auf die Balkanhalbinsel eindringende Slawentum dienen kann." Man sieht: als der gefährlichste Feind gilt unbefangener Betrachtung eben doch der Panslawismus. Ihm gegenüber pflegt man auch die Verbindung mit Rumänien. Daß die vielberufene Stammesverwandtschaft Rumäniens weniger eine ethnische Tatsache als ein antirussisches politisches Programm bedeutet, das hat uns ein Italiener (Amadori Virgilj) gelehrt: „Das rumänische Volk, namentlich das Landvolk ist slawisch geblieben. Die führenden Klassen sehen aber in dem Latinismus ein ganzes politisches Programm, die Behauptung einer glücklichen Unabhängigkeit, nicht sowohl gegen die slawischen als gegen die russischen Mächte, die das Land umgeben; sie erklären sich deshalb für Lateiner, sie erwärmen sich bei der Erinnerung an Rom, das das opportunistische Zeichen ihrer Unabhängigkeit ist." In der Türkei hat Italien in den letzten fünfzehn Jahren seinen Einfluß vor allem auf Kosten Frankreichs auszudehnen versucht. Die kirchenfeindliche dritte Republik hat dem „kirchenräuberischen" Italien einen Teil seines Protektorats über die katholischen Christen im Orient abgetreten. Darüber sind im August 1905 bestimmtere Abmachungen erfolgt, und Italien entfaltet dort seitdem eine lebhafte wirtschaftliche und kulturelle Energie. Für die Unterstützung religiöser Werke in der Levante gibt der italienische Staat mehr als eine Million aus, und durch Schul- und Bankgründungen in Smyrna und Konstantinopel sucht er seinen Einfluß zu stärken. Der Patriarch von Jerusalem ist ein Italiener. Das Bestreben, Prestige zu gewinnen, illustriert der kleine Zug, daß die Italiener in Kreta und in Kleinasien archäologische Ausgrabungen veranstalten, obwohl doch der heimische Boden der unbehobenen Schätze die Hülle und Fülle birgt. Der Sieg über die Türkei wurde dazu benutzt, in Kleinasien wirtschaftliche Vergünstigungen zu gewinnen. Man versuchte in den Vilajets Brussa und Albin, also im Norden wie im Westen, sich Einfluß zu schaffen. Im September 1913 wurde einem italienischen Konsortium die Konzession für die Bahn Adalia—Burdur erteilt, die dem italienischen Handel die Be¬ herrschung des Vilajets Adana im alten Pamphylien ermöglichen soll. Wie man sieht, richtet sich diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht auf ein bestimmtes Gebiet, sondern auf ganz Anatolien. Die bisherige italienische Orientpolitik war keineswegs auf eine Teilung der Türkei berechnet, wie es von der Rußlands und Englands gesagt werden kann. Seit dem Balkankrieg bestand denn auch in Rom das aufrichtige Bestreben, die Stellung der Türkei zu kräftigen. Freilich bedeutete der Eintritt der Türkei in den Weltkrieg für Italiens Neutralitätspolitik eine Kraftprobe; denn die Erklärung des heiligen Kriegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/81>, abgerufen am 22.07.2024.