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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante

Italien und Rußland einigenden Kampfes birgt den Keim unentrinnbaren
Gegensatzes zwischen den Kämpfenden in sich. Die Verdrängung Österreichs
von der Balkanhalbinsel würde den russischen und den italienischen Einfluß mit
voller Gewalt aufeinander prallen lassen" (Robert Michels). Daß die Be¬
herrschung der Dardanellen durch Rußland für Italiens Mittelmeermacht einen
schweren Schlag bedeuten müßte, das ist oft wiederholt worden, selten Cavour
mit diesem Satz den Eintritt in den Krimkrieg motivierte. Rußlands Vor¬
herrschaft auf dem Balkan wäre die gefährlichste "Begrenzung", die Italien im
Osten finden könnte.

Die Dinge sind an einem Punkte angelangt, an dem schon die Konkurrenz
der jungen Nationalstaaten des Balkans sich für Italien unliebsam bemerkbar
macht. Seit dem Balkankrieg hat die offizielle italienische Politik vereint mit
der österreichischen die Ansprüche Serbiens auf Nordalbanien bekämpft. Sie
hat es in meisterhafter Geschicklichkeit verstanden, trotzdem den Serben gut Freund
zu bleiben. Aber es ist deutlich, daß ein großserbischer Staat an der Adria für
das Regno ein um so weniger angenehmer Hausgenosse wäre, als er von der
Macht des Panslawismus getragen würde. Man liebt es augenblicklich in
Italiens Presse, diese Gefahr gering anzuschlagen, um von Sorgen ungetrübt
die feindlichen Empfindungen gegen Österreich frei walten lassen zu können.
Daß die flämische Gefahr im Grunde auch von italienischen Politikern klar
erkannt wird, ist aber daraus zu ersehen, daß vielfach geraten wird, die Gegner¬
schaft gegen Griechenland zurücktreten zu lassen, um sich in ihm einen Ver¬
bündeten gegen das Slawentum zu sichern.

Auch Griechenlands Aufkommen hat Italien begünstigt. In der kretischen
Frage hat es schon in den neunziger Jahren die türkenfreundliche Haltung der
anderen Dreibundstaaten nicht unterstützt. Das Großgriechenland von heute
droht aber ein nicht ungefährlicher Rivale im östlichen Becken des Mittelmeeres
zu werden. Die Expansion beider Staaten stößt in Epirus und in der Levante
aufeinander. Im Ägäischen Meer hat Italien während des Tripoliskrieges
den sogenannten Dodekanes, zwölf Inseln an der kleinasiatischen Küste, darunter
Kos und Rhodos, besetzt. Im Friedenschluß versprach es, sie herauszugeben
sobald Lybien von den Türken geräumt sei. Bevor das geschah, brach der
Balkankrieg aus, und Griechenland würde sicherlich wie die anderen türkischen
Inseln auch den Dodekanes besetzt haben, wenn dort nicht noch italienische
Truppen gestanden hätten. Deshalb verlangten die Griechen, daß die zwölf
Inseln an sie, nicht an die Türken herauszugeben wären, um so mehr, als die
fast völlig griechische Jnselbevölkerung Kundgebungen in diesem Sinne unternahm.
Die römische Regierung hat sich bisher mit Erfolg geweigert, eine Entscheidung
in dieser Frage von anderen Großmächten, das heißt vor allem von England,
anzunehmen; sie behält das Faustpfand einstweilen in der Hand und hat damit
auch einen Stützpunkt für jede weitere Aktion. Da Frankreich Griechenlands
Ansprüche unterstützte, sieht sie die Gefahr eines französisch-griechischen Bund-


Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante

Italien und Rußland einigenden Kampfes birgt den Keim unentrinnbaren
Gegensatzes zwischen den Kämpfenden in sich. Die Verdrängung Österreichs
von der Balkanhalbinsel würde den russischen und den italienischen Einfluß mit
voller Gewalt aufeinander prallen lassen" (Robert Michels). Daß die Be¬
herrschung der Dardanellen durch Rußland für Italiens Mittelmeermacht einen
schweren Schlag bedeuten müßte, das ist oft wiederholt worden, selten Cavour
mit diesem Satz den Eintritt in den Krimkrieg motivierte. Rußlands Vor¬
herrschaft auf dem Balkan wäre die gefährlichste „Begrenzung", die Italien im
Osten finden könnte.

Die Dinge sind an einem Punkte angelangt, an dem schon die Konkurrenz
der jungen Nationalstaaten des Balkans sich für Italien unliebsam bemerkbar
macht. Seit dem Balkankrieg hat die offizielle italienische Politik vereint mit
der österreichischen die Ansprüche Serbiens auf Nordalbanien bekämpft. Sie
hat es in meisterhafter Geschicklichkeit verstanden, trotzdem den Serben gut Freund
zu bleiben. Aber es ist deutlich, daß ein großserbischer Staat an der Adria für
das Regno ein um so weniger angenehmer Hausgenosse wäre, als er von der
Macht des Panslawismus getragen würde. Man liebt es augenblicklich in
Italiens Presse, diese Gefahr gering anzuschlagen, um von Sorgen ungetrübt
die feindlichen Empfindungen gegen Österreich frei walten lassen zu können.
Daß die flämische Gefahr im Grunde auch von italienischen Politikern klar
erkannt wird, ist aber daraus zu ersehen, daß vielfach geraten wird, die Gegner¬
schaft gegen Griechenland zurücktreten zu lassen, um sich in ihm einen Ver¬
bündeten gegen das Slawentum zu sichern.

Auch Griechenlands Aufkommen hat Italien begünstigt. In der kretischen
Frage hat es schon in den neunziger Jahren die türkenfreundliche Haltung der
anderen Dreibundstaaten nicht unterstützt. Das Großgriechenland von heute
droht aber ein nicht ungefährlicher Rivale im östlichen Becken des Mittelmeeres
zu werden. Die Expansion beider Staaten stößt in Epirus und in der Levante
aufeinander. Im Ägäischen Meer hat Italien während des Tripoliskrieges
den sogenannten Dodekanes, zwölf Inseln an der kleinasiatischen Küste, darunter
Kos und Rhodos, besetzt. Im Friedenschluß versprach es, sie herauszugeben
sobald Lybien von den Türken geräumt sei. Bevor das geschah, brach der
Balkankrieg aus, und Griechenland würde sicherlich wie die anderen türkischen
Inseln auch den Dodekanes besetzt haben, wenn dort nicht noch italienische
Truppen gestanden hätten. Deshalb verlangten die Griechen, daß die zwölf
Inseln an sie, nicht an die Türken herauszugeben wären, um so mehr, als die
fast völlig griechische Jnselbevölkerung Kundgebungen in diesem Sinne unternahm.
Die römische Regierung hat sich bisher mit Erfolg geweigert, eine Entscheidung
in dieser Frage von anderen Großmächten, das heißt vor allem von England,
anzunehmen; sie behält das Faustpfand einstweilen in der Hand und hat damit
auch einen Stützpunkt für jede weitere Aktion. Da Frankreich Griechenlands
Ansprüche unterstützte, sieht sie die Gefahr eines französisch-griechischen Bund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/80>, abgerufen am 22.07.2024.