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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Italiens Politik auf dem Balkan und in der Tevante

Trotzdem hat Italien die serbischen Aspirationen begünstigt und den gemein¬
samen Gegensatz gegen das spezifisch deutsche Österreichertum betont. Ein serbisch¬
italienisches Komitee entfaltete eine rege Tätigkeit.

Italien hat die Unabhängigkeitsbestrebungen der Balkanvölker stets ge-
fördert, und diese Politik war um so populärer, als man dabei gern des
eigenen Einheitskampfes gedachte. Maßgebend war aber nur die kühle Er¬
wägung, daß Italien eine Machtverstärkung Rußlands oder Österreichs abzu¬
wehren hätte. Für diese beiden Mächte war es eine große Enttäuschung, daß
die Balkanvölker ihre Schicksale in voller Unabhängigkeit gestalteten, weil das
System nationaler Staaten der eigenen Ausdehnung keinen Raum mehr läßt;
gerade aus diesem Grunde mußte jener Vorgang für Italien sehr erwünscht
sein. Der Gedanke eines Balkanbundes hat bei keiner Großmacht so früh
Anklang gefunden wie bei Italien. Schon Mazzini hatte ihn verkündigt, und
Crispi nahm ihn auf: "Die italienische Nationalpartei würde den Abschluß eines
Balkanbundes mit Konstantinopel als Hauptstadt gerne sehen. Aber der Zar
muß in seinen heutigen Besitzungen bleiben, und der Sultan muß nach Asien
hinübergehen." Im Jahre 1889. nach der bulgarischen Krisis, machte Cnspi
einen Versuch, jenen Bundesplan zu verwirklichen; er schlug eine MiUtär-
konvention zwischen Rumänien, Bulgarien und Serbien vor. mit dem Zweck,
dem Einbruch Rußlands auf den Balkan einen Damm entgegenzuwerfen. Während
des serbisch.österreichischen Konflikts 1908 bis 1909 hat Tittoni ähnliche Pläne
verfolgt, und zur Zeit des italienisch-türkischen Krieges sind sie Wirklichkeit
geworden, offenbar mit Italiens Hilfe.

Ein Balkanbund ist. wie wir sehen, für Italien ebensowohl eine Waffe
Hegen Österreich wie gegen Rußland. Österreichs Vormarsch gegen Saloniki,
mochte er auch nur auf wirtschaftlichem Gebiete erstrebt werden, stieß auf die
Gegnerschaft Italiens. Den Ährentalschen Eisenbahnplänen gegenüber wurde
das Projekt einer Donau--Adriabahn unterstützt, das auch von Serbien be¬
vorzugt wurde. Daß Österreich bei der Annexion Bosniens auf den Sandschak
Novibazar und auf die Einschränkungen der Souveränität Montenegros, wie sie
Artikel 29 des Berliner Vertrages bedingte, verzichtete, ist auf die Einwirkungen
des Dreibundsgenossen zurückzuführen. In Macedonien fühlte sich Italien aus¬
geschaltet, solange Rußland und Österreich dort gemeinsam nach dem Mürz-
steger Programm verfuhren, und in dem Grünbuch, das die römische Regierung
1906 über Macedonien veröffentlichte, tritt der Unmut über diese Zurücksetzung
deutlich zutage.

Italiens Stellung verbesserte sich, als das erstarkende Rußland auf dem
Balkan wieder seine eigenen Wege ging. Das russisch italienische Einvernehmen
von 1909 ist mit Jubel begrüßt worden: nun sei man erst ganz unabhängig
von dem deutschen Block. Aber eine russische Übermacht auf dem Balkan wäre
für Italien nicht minder unerwünscht als eine österreichische. Man hat Rußland
zu gelegener Zeit gerne gegen Österreich ausgespielt; aber "das letzte Ziel des


ö-
Italiens Politik auf dem Balkan und in der Tevante

Trotzdem hat Italien die serbischen Aspirationen begünstigt und den gemein¬
samen Gegensatz gegen das spezifisch deutsche Österreichertum betont. Ein serbisch¬
italienisches Komitee entfaltete eine rege Tätigkeit.

Italien hat die Unabhängigkeitsbestrebungen der Balkanvölker stets ge-
fördert, und diese Politik war um so populärer, als man dabei gern des
eigenen Einheitskampfes gedachte. Maßgebend war aber nur die kühle Er¬
wägung, daß Italien eine Machtverstärkung Rußlands oder Österreichs abzu¬
wehren hätte. Für diese beiden Mächte war es eine große Enttäuschung, daß
die Balkanvölker ihre Schicksale in voller Unabhängigkeit gestalteten, weil das
System nationaler Staaten der eigenen Ausdehnung keinen Raum mehr läßt;
gerade aus diesem Grunde mußte jener Vorgang für Italien sehr erwünscht
sein. Der Gedanke eines Balkanbundes hat bei keiner Großmacht so früh
Anklang gefunden wie bei Italien. Schon Mazzini hatte ihn verkündigt, und
Crispi nahm ihn auf: „Die italienische Nationalpartei würde den Abschluß eines
Balkanbundes mit Konstantinopel als Hauptstadt gerne sehen. Aber der Zar
muß in seinen heutigen Besitzungen bleiben, und der Sultan muß nach Asien
hinübergehen." Im Jahre 1889. nach der bulgarischen Krisis, machte Cnspi
einen Versuch, jenen Bundesplan zu verwirklichen; er schlug eine MiUtär-
konvention zwischen Rumänien, Bulgarien und Serbien vor. mit dem Zweck,
dem Einbruch Rußlands auf den Balkan einen Damm entgegenzuwerfen. Während
des serbisch.österreichischen Konflikts 1908 bis 1909 hat Tittoni ähnliche Pläne
verfolgt, und zur Zeit des italienisch-türkischen Krieges sind sie Wirklichkeit
geworden, offenbar mit Italiens Hilfe.

Ein Balkanbund ist. wie wir sehen, für Italien ebensowohl eine Waffe
Hegen Österreich wie gegen Rußland. Österreichs Vormarsch gegen Saloniki,
mochte er auch nur auf wirtschaftlichem Gebiete erstrebt werden, stieß auf die
Gegnerschaft Italiens. Den Ährentalschen Eisenbahnplänen gegenüber wurde
das Projekt einer Donau—Adriabahn unterstützt, das auch von Serbien be¬
vorzugt wurde. Daß Österreich bei der Annexion Bosniens auf den Sandschak
Novibazar und auf die Einschränkungen der Souveränität Montenegros, wie sie
Artikel 29 des Berliner Vertrages bedingte, verzichtete, ist auf die Einwirkungen
des Dreibundsgenossen zurückzuführen. In Macedonien fühlte sich Italien aus¬
geschaltet, solange Rußland und Österreich dort gemeinsam nach dem Mürz-
steger Programm verfuhren, und in dem Grünbuch, das die römische Regierung
1906 über Macedonien veröffentlichte, tritt der Unmut über diese Zurücksetzung
deutlich zutage.

Italiens Stellung verbesserte sich, als das erstarkende Rußland auf dem
Balkan wieder seine eigenen Wege ging. Das russisch italienische Einvernehmen
von 1909 ist mit Jubel begrüßt worden: nun sei man erst ganz unabhängig
von dem deutschen Block. Aber eine russische Übermacht auf dem Balkan wäre
für Italien nicht minder unerwünscht als eine österreichische. Man hat Rußland
zu gelegener Zeit gerne gegen Österreich ausgespielt; aber „das letzte Ziel des


ö-
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[0079] Italiens Politik auf dem Balkan und in der Tevante Trotzdem hat Italien die serbischen Aspirationen begünstigt und den gemein¬ samen Gegensatz gegen das spezifisch deutsche Österreichertum betont. Ein serbisch¬ italienisches Komitee entfaltete eine rege Tätigkeit. Italien hat die Unabhängigkeitsbestrebungen der Balkanvölker stets ge- fördert, und diese Politik war um so populärer, als man dabei gern des eigenen Einheitskampfes gedachte. Maßgebend war aber nur die kühle Er¬ wägung, daß Italien eine Machtverstärkung Rußlands oder Österreichs abzu¬ wehren hätte. Für diese beiden Mächte war es eine große Enttäuschung, daß die Balkanvölker ihre Schicksale in voller Unabhängigkeit gestalteten, weil das System nationaler Staaten der eigenen Ausdehnung keinen Raum mehr läßt; gerade aus diesem Grunde mußte jener Vorgang für Italien sehr erwünscht sein. Der Gedanke eines Balkanbundes hat bei keiner Großmacht so früh Anklang gefunden wie bei Italien. Schon Mazzini hatte ihn verkündigt, und Crispi nahm ihn auf: „Die italienische Nationalpartei würde den Abschluß eines Balkanbundes mit Konstantinopel als Hauptstadt gerne sehen. Aber der Zar muß in seinen heutigen Besitzungen bleiben, und der Sultan muß nach Asien hinübergehen." Im Jahre 1889. nach der bulgarischen Krisis, machte Cnspi einen Versuch, jenen Bundesplan zu verwirklichen; er schlug eine MiUtär- konvention zwischen Rumänien, Bulgarien und Serbien vor. mit dem Zweck, dem Einbruch Rußlands auf den Balkan einen Damm entgegenzuwerfen. Während des serbisch.österreichischen Konflikts 1908 bis 1909 hat Tittoni ähnliche Pläne verfolgt, und zur Zeit des italienisch-türkischen Krieges sind sie Wirklichkeit geworden, offenbar mit Italiens Hilfe. Ein Balkanbund ist. wie wir sehen, für Italien ebensowohl eine Waffe Hegen Österreich wie gegen Rußland. Österreichs Vormarsch gegen Saloniki, mochte er auch nur auf wirtschaftlichem Gebiete erstrebt werden, stieß auf die Gegnerschaft Italiens. Den Ährentalschen Eisenbahnplänen gegenüber wurde das Projekt einer Donau—Adriabahn unterstützt, das auch von Serbien be¬ vorzugt wurde. Daß Österreich bei der Annexion Bosniens auf den Sandschak Novibazar und auf die Einschränkungen der Souveränität Montenegros, wie sie Artikel 29 des Berliner Vertrages bedingte, verzichtete, ist auf die Einwirkungen des Dreibundsgenossen zurückzuführen. In Macedonien fühlte sich Italien aus¬ geschaltet, solange Rußland und Österreich dort gemeinsam nach dem Mürz- steger Programm verfuhren, und in dem Grünbuch, das die römische Regierung 1906 über Macedonien veröffentlichte, tritt der Unmut über diese Zurücksetzung deutlich zutage. Italiens Stellung verbesserte sich, als das erstarkende Rußland auf dem Balkan wieder seine eigenen Wege ging. Das russisch italienische Einvernehmen von 1909 ist mit Jubel begrüßt worden: nun sei man erst ganz unabhängig von dem deutschen Block. Aber eine russische Übermacht auf dem Balkan wäre für Italien nicht minder unerwünscht als eine österreichische. Man hat Rußland zu gelegener Zeit gerne gegen Österreich ausgespielt; aber „das letzte Ziel des ö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/79>, abgerufen am 22.07.2024.