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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante

Als das dringendste Interesse Italiens erschien es zunächst, daß in Albanien
keine fremde Macht sich festsetzte. Das Mißgeschick in Tunis war noch in frischer
Erinnerung, und wenn der Kriegshafen von Biserta die militärische Position
Siziliens sehr verschlechtert hat. so wäre von einem feindlichen Valona, das
vierzig Meilen von der Küste Apuliens entfernt ist. noch Schlimmeres zu
fürchten. Der Besitzer von Valona. so wurde gesagt, werde unumschränkter
Herrscher in der Adria sein. Wenn das eine Übertreibung ist, so ist doch klar,
daß der Besitzer von Brindisi und Valona den Kampf um die Vorherrschaft in
der Adria zu seinen Gunsten entschieden hat. Neben den geographischen ver¬
binden auch alte geschichtliche Beziehungen Albanien mit Süditalien. Es gibt
dort große Kolonien eingewanderter Albanier; einer solchen entstammt zum
Beispiel Crispi. Gerade von den Kreisen der Italiener albanischen Ursprungs
ist die Propaganda für die albanische Politik ausgegangen.

Wären Italiens Interessen zur Zeit des Berliner Kongresses geschickter
vertreten worden, dann hätte es Albanien als Kompensation für den öster¬
reichischen Erwerb in Bosnien gewinnen können. AIs es dann seit 1696 seine
Blicke auf Albanien richtete, mußte es sich mit Österreich in den Einfluß teilen.
In den Abmachungen von 1897 und 1900 versprachen beide Mächte, das Land
nicht als politisches Expansionsgebiet zu betrachten. Im Sinne dieser Verein¬
barungen wurde verfahren, als nach dem Zusammenbruch der Türkei Österreich
und Italien durchsetzten, daß ein unabhängiges Albanien geschaffen wurde.
Unter der Decke solcher Schiedsverträge ist aber die Rivalität der beiden ver¬
bündeten Staaten immer lebendig geblieben. Dabei ist Österreich aus der
günstigen Stellung, die es anfänglich, vor allem als katholische Vormacht, hatte,
allmählich verdrängt worden; selbst in dem ihm zunächst gelegenen Nordalbanien
wurde der italienische Einfluß vorherrschend. stellten sich doch sogar die von
Osterreich unterhaltenen Schulen in den Dienst der Jtalianisterung. Wenn
Italien jetzt die Verlegenheiten des Rivalen benutzt, um sich in Valona einzu¬
nisten, zieht es nur das Fazit einer ihm günstigen Entwicklung, die es der
geschickten Vertretung seiner Interessen zu verdanken hat.

Für die Durchdringung Nordalbaniens war es von größter Bedeutung,
daß Montenegro dem Jtalienertum einen festen Stützpunkt bot. Seitdem 1896
die montenegrinische Prinzessin Elena dem italienischen Thronfolger, dem heutigen
König, angetraut wurde, verknüpften feste Bande beide Staaten. Wirtschaftlich
ist Montenegro eine italienische Kolonie: Italiener haben das Tabakmonopol
in der Hand und führen unter montenegrinischer Flagge die Schiffahrt auf dem
Scutarisee, Italiener haben den Ausbau des Hafens von Antivari und den
Lau einer Eisenbahn Antivari--Virbazar unternommen. Der italienische Einfluß
ist so stark, daß er zuweilen unter den Montenegrinern Unzufriedenheit er¬
regt hat.

Montenegro war auch das Bindeglied zwischen Italienern und Serben.
Beide Nationalitäten liegen in Jstrien und in Dalmatien miteinander im Kampf.


Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante

Als das dringendste Interesse Italiens erschien es zunächst, daß in Albanien
keine fremde Macht sich festsetzte. Das Mißgeschick in Tunis war noch in frischer
Erinnerung, und wenn der Kriegshafen von Biserta die militärische Position
Siziliens sehr verschlechtert hat. so wäre von einem feindlichen Valona, das
vierzig Meilen von der Küste Apuliens entfernt ist. noch Schlimmeres zu
fürchten. Der Besitzer von Valona. so wurde gesagt, werde unumschränkter
Herrscher in der Adria sein. Wenn das eine Übertreibung ist, so ist doch klar,
daß der Besitzer von Brindisi und Valona den Kampf um die Vorherrschaft in
der Adria zu seinen Gunsten entschieden hat. Neben den geographischen ver¬
binden auch alte geschichtliche Beziehungen Albanien mit Süditalien. Es gibt
dort große Kolonien eingewanderter Albanier; einer solchen entstammt zum
Beispiel Crispi. Gerade von den Kreisen der Italiener albanischen Ursprungs
ist die Propaganda für die albanische Politik ausgegangen.

Wären Italiens Interessen zur Zeit des Berliner Kongresses geschickter
vertreten worden, dann hätte es Albanien als Kompensation für den öster¬
reichischen Erwerb in Bosnien gewinnen können. AIs es dann seit 1696 seine
Blicke auf Albanien richtete, mußte es sich mit Österreich in den Einfluß teilen.
In den Abmachungen von 1897 und 1900 versprachen beide Mächte, das Land
nicht als politisches Expansionsgebiet zu betrachten. Im Sinne dieser Verein¬
barungen wurde verfahren, als nach dem Zusammenbruch der Türkei Österreich
und Italien durchsetzten, daß ein unabhängiges Albanien geschaffen wurde.
Unter der Decke solcher Schiedsverträge ist aber die Rivalität der beiden ver¬
bündeten Staaten immer lebendig geblieben. Dabei ist Österreich aus der
günstigen Stellung, die es anfänglich, vor allem als katholische Vormacht, hatte,
allmählich verdrängt worden; selbst in dem ihm zunächst gelegenen Nordalbanien
wurde der italienische Einfluß vorherrschend. stellten sich doch sogar die von
Osterreich unterhaltenen Schulen in den Dienst der Jtalianisterung. Wenn
Italien jetzt die Verlegenheiten des Rivalen benutzt, um sich in Valona einzu¬
nisten, zieht es nur das Fazit einer ihm günstigen Entwicklung, die es der
geschickten Vertretung seiner Interessen zu verdanken hat.

Für die Durchdringung Nordalbaniens war es von größter Bedeutung,
daß Montenegro dem Jtalienertum einen festen Stützpunkt bot. Seitdem 1896
die montenegrinische Prinzessin Elena dem italienischen Thronfolger, dem heutigen
König, angetraut wurde, verknüpften feste Bande beide Staaten. Wirtschaftlich
ist Montenegro eine italienische Kolonie: Italiener haben das Tabakmonopol
in der Hand und führen unter montenegrinischer Flagge die Schiffahrt auf dem
Scutarisee, Italiener haben den Ausbau des Hafens von Antivari und den
Lau einer Eisenbahn Antivari—Virbazar unternommen. Der italienische Einfluß
ist so stark, daß er zuweilen unter den Montenegrinern Unzufriedenheit er¬
regt hat.

Montenegro war auch das Bindeglied zwischen Italienern und Serben.
Beide Nationalitäten liegen in Jstrien und in Dalmatien miteinander im Kampf.


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[0078] Italiens Politik auf dem Balkan und in der Levante Als das dringendste Interesse Italiens erschien es zunächst, daß in Albanien keine fremde Macht sich festsetzte. Das Mißgeschick in Tunis war noch in frischer Erinnerung, und wenn der Kriegshafen von Biserta die militärische Position Siziliens sehr verschlechtert hat. so wäre von einem feindlichen Valona, das vierzig Meilen von der Küste Apuliens entfernt ist. noch Schlimmeres zu fürchten. Der Besitzer von Valona. so wurde gesagt, werde unumschränkter Herrscher in der Adria sein. Wenn das eine Übertreibung ist, so ist doch klar, daß der Besitzer von Brindisi und Valona den Kampf um die Vorherrschaft in der Adria zu seinen Gunsten entschieden hat. Neben den geographischen ver¬ binden auch alte geschichtliche Beziehungen Albanien mit Süditalien. Es gibt dort große Kolonien eingewanderter Albanier; einer solchen entstammt zum Beispiel Crispi. Gerade von den Kreisen der Italiener albanischen Ursprungs ist die Propaganda für die albanische Politik ausgegangen. Wären Italiens Interessen zur Zeit des Berliner Kongresses geschickter vertreten worden, dann hätte es Albanien als Kompensation für den öster¬ reichischen Erwerb in Bosnien gewinnen können. AIs es dann seit 1696 seine Blicke auf Albanien richtete, mußte es sich mit Österreich in den Einfluß teilen. In den Abmachungen von 1897 und 1900 versprachen beide Mächte, das Land nicht als politisches Expansionsgebiet zu betrachten. Im Sinne dieser Verein¬ barungen wurde verfahren, als nach dem Zusammenbruch der Türkei Österreich und Italien durchsetzten, daß ein unabhängiges Albanien geschaffen wurde. Unter der Decke solcher Schiedsverträge ist aber die Rivalität der beiden ver¬ bündeten Staaten immer lebendig geblieben. Dabei ist Österreich aus der günstigen Stellung, die es anfänglich, vor allem als katholische Vormacht, hatte, allmählich verdrängt worden; selbst in dem ihm zunächst gelegenen Nordalbanien wurde der italienische Einfluß vorherrschend. stellten sich doch sogar die von Osterreich unterhaltenen Schulen in den Dienst der Jtalianisterung. Wenn Italien jetzt die Verlegenheiten des Rivalen benutzt, um sich in Valona einzu¬ nisten, zieht es nur das Fazit einer ihm günstigen Entwicklung, die es der geschickten Vertretung seiner Interessen zu verdanken hat. Für die Durchdringung Nordalbaniens war es von größter Bedeutung, daß Montenegro dem Jtalienertum einen festen Stützpunkt bot. Seitdem 1896 die montenegrinische Prinzessin Elena dem italienischen Thronfolger, dem heutigen König, angetraut wurde, verknüpften feste Bande beide Staaten. Wirtschaftlich ist Montenegro eine italienische Kolonie: Italiener haben das Tabakmonopol in der Hand und führen unter montenegrinischer Flagge die Schiffahrt auf dem Scutarisee, Italiener haben den Ausbau des Hafens von Antivari und den Lau einer Eisenbahn Antivari—Virbazar unternommen. Der italienische Einfluß ist so stark, daß er zuweilen unter den Montenegrinern Unzufriedenheit er¬ regt hat. Montenegro war auch das Bindeglied zwischen Italienern und Serben. Beide Nationalitäten liegen in Jstrien und in Dalmatien miteinander im Kampf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/78>, abgerufen am 22.07.2024.