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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

Es ist klar, daß alle die hier aufgezählten Dinge, in denen wir ruhig die
Beweise einer nur bei einem Manne so seltener Art denkbaren Großherzigkeit
und Wahrheitsliebe erblicken dürfen, seinem Volke in einem ganz anderen Lichte
erscheinen mußten, und in der Tat wurde schon bald der Vorwurf von verständnis¬
losen Verkleinerern gegen ihn erhoben, er habe während des Krieges "zu gut
deutsch gesprochen", von wo bis zu dem eines Einverständnisses mit den Preußen
nur ein kleiner Schritt war. Schon bald nach dem Kriege sah sich so Gobineau
zu öffentlichen Rechtfertigungen und Klarstellungen gezwungen, die sich freilich
nur auf sein äußeres, öffentliches Verhalten beziehen und die allzu offenkundige
Tatsache, daß er als Patriot seinen Mann gestanden, auch für den Blödester
außer Zweifel setzen konnten, die inneren Seelenvorgänge dagegen, die immer
entschiedenere Hinwendung zum Deutschtum, dessen wertvolle und vorbildliche
Seiten ihm eben damals aus den kriegerischen, politischen und geistigen Leistungen
des deutschen Volkes und Heeres anschaulich aufgingen und in dessen Fahr¬
wasser er daher das eigene Volk am liebsten gebracht hätte, sowie die beginnende
Abkehr von diesem letzteren, naturgemäß aus dem Spiele ließen.

Diese Abkehr, der ganze Gegensatz, in welchen Gobineau in seiner letzten
Lebenszeit zu seinem Volke, richtiger: zu den Bahnen, die dieses eingeschlagen,
geraten ist, spiegelt sich dagegen nach allen Seiten und nach seinen tiefsten
Gründen in den Aufzeichnungen, welche er unmittelbar während des Krieges
niedergeschrieben und uns handschriftlich hinterlassen hat. Da sie einen reichlich
so wichtigen Beitrag zur Psychologie des Franzosentums wie zu der Gobineaus
darstellen, so dürfte sich eine eingehendere Analyse derselben hier unbedingt lohnen.

Da er nicht hoffen konnte, mit dieser Schilderung des Franzosentums in
seinem Niedergange in seinem Vaterlande durchzudringen und auch in Deutschland,
an das er dachte, sich kaum Aussicht auf Veröffentlichung zeigte, so ist diese
Schrift, die er mit Recht selbst als ersten Ranges betrachtete, leider Fragment
geblieben*).

Sie zerfällt in zwei Abteilungen (beide unvollendet), deren erste die Vor¬
geschichte und die Ursachen, deren zweite die Ereignisse des Krieges in Gobineaus
Beleuchtung und mit besonderer Berücksichtigung des in seiner Nähe Vorgefallenen
behandelt.

(Schluß folgt)





*) Einen Titel hat sie im Manuskript nicht, dieser mußte daher unter Verwertung einer
Wendung des Eingangssatzes l"Le qui sse arrivö 5 la t^rsnee en 1870") hergestellt werden.
Das Manuskript befindet sich in der Gobineausammlung der Kaiserlichen Universitäts- und
Landesbibliothek zu Straßburg. Eine Veröffentlichung war, mit den übrigen nachgelassenen
historischen und Politisch - anthropologischen Schriften Gobineaus, für dieses Jahr in Aussicht
genommen, mußte aber wegen des Krieges vertagt werden.
Gobineau über Deutsche und Franzosen

Es ist klar, daß alle die hier aufgezählten Dinge, in denen wir ruhig die
Beweise einer nur bei einem Manne so seltener Art denkbaren Großherzigkeit
und Wahrheitsliebe erblicken dürfen, seinem Volke in einem ganz anderen Lichte
erscheinen mußten, und in der Tat wurde schon bald der Vorwurf von verständnis¬
losen Verkleinerern gegen ihn erhoben, er habe während des Krieges „zu gut
deutsch gesprochen", von wo bis zu dem eines Einverständnisses mit den Preußen
nur ein kleiner Schritt war. Schon bald nach dem Kriege sah sich so Gobineau
zu öffentlichen Rechtfertigungen und Klarstellungen gezwungen, die sich freilich
nur auf sein äußeres, öffentliches Verhalten beziehen und die allzu offenkundige
Tatsache, daß er als Patriot seinen Mann gestanden, auch für den Blödester
außer Zweifel setzen konnten, die inneren Seelenvorgänge dagegen, die immer
entschiedenere Hinwendung zum Deutschtum, dessen wertvolle und vorbildliche
Seiten ihm eben damals aus den kriegerischen, politischen und geistigen Leistungen
des deutschen Volkes und Heeres anschaulich aufgingen und in dessen Fahr¬
wasser er daher das eigene Volk am liebsten gebracht hätte, sowie die beginnende
Abkehr von diesem letzteren, naturgemäß aus dem Spiele ließen.

Diese Abkehr, der ganze Gegensatz, in welchen Gobineau in seiner letzten
Lebenszeit zu seinem Volke, richtiger: zu den Bahnen, die dieses eingeschlagen,
geraten ist, spiegelt sich dagegen nach allen Seiten und nach seinen tiefsten
Gründen in den Aufzeichnungen, welche er unmittelbar während des Krieges
niedergeschrieben und uns handschriftlich hinterlassen hat. Da sie einen reichlich
so wichtigen Beitrag zur Psychologie des Franzosentums wie zu der Gobineaus
darstellen, so dürfte sich eine eingehendere Analyse derselben hier unbedingt lohnen.

Da er nicht hoffen konnte, mit dieser Schilderung des Franzosentums in
seinem Niedergange in seinem Vaterlande durchzudringen und auch in Deutschland,
an das er dachte, sich kaum Aussicht auf Veröffentlichung zeigte, so ist diese
Schrift, die er mit Recht selbst als ersten Ranges betrachtete, leider Fragment
geblieben*).

Sie zerfällt in zwei Abteilungen (beide unvollendet), deren erste die Vor¬
geschichte und die Ursachen, deren zweite die Ereignisse des Krieges in Gobineaus
Beleuchtung und mit besonderer Berücksichtigung des in seiner Nähe Vorgefallenen
behandelt.

(Schluß folgt)





*) Einen Titel hat sie im Manuskript nicht, dieser mußte daher unter Verwertung einer
Wendung des Eingangssatzes l„Le qui sse arrivö 5 la t^rsnee en 1870") hergestellt werden.
Das Manuskript befindet sich in der Gobineausammlung der Kaiserlichen Universitäts- und
Landesbibliothek zu Straßburg. Eine Veröffentlichung war, mit den übrigen nachgelassenen
historischen und Politisch - anthropologischen Schriften Gobineaus, für dieses Jahr in Aussicht
genommen, mußte aber wegen des Krieges vertagt werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/71>, abgerufen am 22.07.2024.