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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

Verwahrlosungen von selten der Heeresleitung und -Verwaltung, auf unmilitärisches
und unpatriotisches Gebühren der Mohn- und Nationalgarten, auf das theatralische
Auftreten, die banditenhaften Ausschreitungen und Znchtlosigkeiten der Frank¬
tireurs, auf die völlige Haltlosigkeit im Volke, die Auswüchse der Spionagefurcht,
die Ansätze zum Anarchismus.

Über nichts aber konnte er sich so empören, wie über die Lügengewebe,
in die man während der ganzen Dauer des Krieges von oben herab sich und
das Volk verstrickte, und die namentlich unter Gambetta sich wahrhaft ins
Ungeheuerliche verloren. Das gilt von den gegen die Deutschen ausgestreuten
haarsträubenden Verleumdungen und Verdächtigungen reichlich so sehr, wie von
den Rodomontaden und Fälschungen in betreff des eigenen Tuns. Gobineau
hat keine Gelegenheit versäumt, jenen Verleumdungen entgegenzutreten und
seinen Freunden das mehr als korrekte, rücksichtsvolle Auftreten der deutschen
Offiziere und die gute Haltung ihrer Truppen zu rühmen. Einen derartigen
Brief teilte Lord Lntton dem deutschen Kronprinzen mit, der sich (wie Lntton
am 10. Mai 1871 an Gobineau schreibt) "angesichts der in ganz Europa über
die Deutschen verbreiteten Lügenberichte über dieses vereinzelte Zeugnis gerade
eines so hochstehenden Mannes höchst dankbar geäußert und es besonders
tröstlich gefunden habe."

Dem entsprechend gestalteten sich auch ausnahmslos die persönlichen
Beziehungen, in welche Gobineau während des Krieges zu den deutschen Truppen
zu treten hatte. Er hat einem der jungen Gardeulanenoffiziere, die später
wochenlang bei ihm im Schlosse gelegen haben, das Leben gerettet, indem er
ihn bei einem Patrouillenritt vor einer ihm nächtlicher Weile auflauernden
Franktireurbande warnte, wie er umgekehrt bei einer anderen Gelegenheit den
Herzog von Chartres, der als einfacher Kapitän unter dem Namen Robert le
Fort an dem Feldzuge in der Normandie teilnahm, von einem unbesonnenen
Zuge nach Trye abhielt, der ihm unbedingt hätte verhängnisvoll werden müssen.
Ein schönes Beispiel, wie er, ein Nachkomme Mölacs, mit einem der bei ihm
einquartierten Offiziere, der seinerseits ein Nachkomme Titius war, sehr im
Gegensatz zu diesen beiden Kriegswüterichen zur Aufrechterhaltung von Frieden
und Ordnung harmonisch zusammengewirkt habe, erzählt er selbst später an
Keller (Juni 1872). In den jungen Edelleuten von der preußischen Garde¬
kavallerie, die ihm, trotz des Feindesrockes, den sie trugen, als echte Germanen¬
sprossen, die sie waren, im Innersten sympathisch sein mußten, vermochte er es
über sich nicht sowohl die Zwangsinsassen als die -- wenn auch unwillkommenen --
Gäste seines Hauses zu sehen und ihnen voll Würde und Unbefangenheit, immer
frisch und anregend, mit der ganzen Feinheit seiner weit- wie edelmännischen
Formen als Wirt gegenüberzutreten. Und jene wiederum haben damals dem Zauber
des großen Mannes so wenig wie irgend jemand zu widerstehen vermocht. Sie haben
ihm dankbare Anhänglichkeit und Verehrung bis in späte Tage bewahrt, und ein¬
zelne von ihnen sind in dauernder freundschaftlicher Verbindung mit ihm geblieben.


Gobineau über Deutsche und Franzosen

Verwahrlosungen von selten der Heeresleitung und -Verwaltung, auf unmilitärisches
und unpatriotisches Gebühren der Mohn- und Nationalgarten, auf das theatralische
Auftreten, die banditenhaften Ausschreitungen und Znchtlosigkeiten der Frank¬
tireurs, auf die völlige Haltlosigkeit im Volke, die Auswüchse der Spionagefurcht,
die Ansätze zum Anarchismus.

Über nichts aber konnte er sich so empören, wie über die Lügengewebe,
in die man während der ganzen Dauer des Krieges von oben herab sich und
das Volk verstrickte, und die namentlich unter Gambetta sich wahrhaft ins
Ungeheuerliche verloren. Das gilt von den gegen die Deutschen ausgestreuten
haarsträubenden Verleumdungen und Verdächtigungen reichlich so sehr, wie von
den Rodomontaden und Fälschungen in betreff des eigenen Tuns. Gobineau
hat keine Gelegenheit versäumt, jenen Verleumdungen entgegenzutreten und
seinen Freunden das mehr als korrekte, rücksichtsvolle Auftreten der deutschen
Offiziere und die gute Haltung ihrer Truppen zu rühmen. Einen derartigen
Brief teilte Lord Lntton dem deutschen Kronprinzen mit, der sich (wie Lntton
am 10. Mai 1871 an Gobineau schreibt) „angesichts der in ganz Europa über
die Deutschen verbreiteten Lügenberichte über dieses vereinzelte Zeugnis gerade
eines so hochstehenden Mannes höchst dankbar geäußert und es besonders
tröstlich gefunden habe."

Dem entsprechend gestalteten sich auch ausnahmslos die persönlichen
Beziehungen, in welche Gobineau während des Krieges zu den deutschen Truppen
zu treten hatte. Er hat einem der jungen Gardeulanenoffiziere, die später
wochenlang bei ihm im Schlosse gelegen haben, das Leben gerettet, indem er
ihn bei einem Patrouillenritt vor einer ihm nächtlicher Weile auflauernden
Franktireurbande warnte, wie er umgekehrt bei einer anderen Gelegenheit den
Herzog von Chartres, der als einfacher Kapitän unter dem Namen Robert le
Fort an dem Feldzuge in der Normandie teilnahm, von einem unbesonnenen
Zuge nach Trye abhielt, der ihm unbedingt hätte verhängnisvoll werden müssen.
Ein schönes Beispiel, wie er, ein Nachkomme Mölacs, mit einem der bei ihm
einquartierten Offiziere, der seinerseits ein Nachkomme Titius war, sehr im
Gegensatz zu diesen beiden Kriegswüterichen zur Aufrechterhaltung von Frieden
und Ordnung harmonisch zusammengewirkt habe, erzählt er selbst später an
Keller (Juni 1872). In den jungen Edelleuten von der preußischen Garde¬
kavallerie, die ihm, trotz des Feindesrockes, den sie trugen, als echte Germanen¬
sprossen, die sie waren, im Innersten sympathisch sein mußten, vermochte er es
über sich nicht sowohl die Zwangsinsassen als die — wenn auch unwillkommenen —
Gäste seines Hauses zu sehen und ihnen voll Würde und Unbefangenheit, immer
frisch und anregend, mit der ganzen Feinheit seiner weit- wie edelmännischen
Formen als Wirt gegenüberzutreten. Und jene wiederum haben damals dem Zauber
des großen Mannes so wenig wie irgend jemand zu widerstehen vermocht. Sie haben
ihm dankbare Anhänglichkeit und Verehrung bis in späte Tage bewahrt, und ein¬
zelne von ihnen sind in dauernder freundschaftlicher Verbindung mit ihm geblieben.


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[0070] Gobineau über Deutsche und Franzosen Verwahrlosungen von selten der Heeresleitung und -Verwaltung, auf unmilitärisches und unpatriotisches Gebühren der Mohn- und Nationalgarten, auf das theatralische Auftreten, die banditenhaften Ausschreitungen und Znchtlosigkeiten der Frank¬ tireurs, auf die völlige Haltlosigkeit im Volke, die Auswüchse der Spionagefurcht, die Ansätze zum Anarchismus. Über nichts aber konnte er sich so empören, wie über die Lügengewebe, in die man während der ganzen Dauer des Krieges von oben herab sich und das Volk verstrickte, und die namentlich unter Gambetta sich wahrhaft ins Ungeheuerliche verloren. Das gilt von den gegen die Deutschen ausgestreuten haarsträubenden Verleumdungen und Verdächtigungen reichlich so sehr, wie von den Rodomontaden und Fälschungen in betreff des eigenen Tuns. Gobineau hat keine Gelegenheit versäumt, jenen Verleumdungen entgegenzutreten und seinen Freunden das mehr als korrekte, rücksichtsvolle Auftreten der deutschen Offiziere und die gute Haltung ihrer Truppen zu rühmen. Einen derartigen Brief teilte Lord Lntton dem deutschen Kronprinzen mit, der sich (wie Lntton am 10. Mai 1871 an Gobineau schreibt) „angesichts der in ganz Europa über die Deutschen verbreiteten Lügenberichte über dieses vereinzelte Zeugnis gerade eines so hochstehenden Mannes höchst dankbar geäußert und es besonders tröstlich gefunden habe." Dem entsprechend gestalteten sich auch ausnahmslos die persönlichen Beziehungen, in welche Gobineau während des Krieges zu den deutschen Truppen zu treten hatte. Er hat einem der jungen Gardeulanenoffiziere, die später wochenlang bei ihm im Schlosse gelegen haben, das Leben gerettet, indem er ihn bei einem Patrouillenritt vor einer ihm nächtlicher Weile auflauernden Franktireurbande warnte, wie er umgekehrt bei einer anderen Gelegenheit den Herzog von Chartres, der als einfacher Kapitän unter dem Namen Robert le Fort an dem Feldzuge in der Normandie teilnahm, von einem unbesonnenen Zuge nach Trye abhielt, der ihm unbedingt hätte verhängnisvoll werden müssen. Ein schönes Beispiel, wie er, ein Nachkomme Mölacs, mit einem der bei ihm einquartierten Offiziere, der seinerseits ein Nachkomme Titius war, sehr im Gegensatz zu diesen beiden Kriegswüterichen zur Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung harmonisch zusammengewirkt habe, erzählt er selbst später an Keller (Juni 1872). In den jungen Edelleuten von der preußischen Garde¬ kavallerie, die ihm, trotz des Feindesrockes, den sie trugen, als echte Germanen¬ sprossen, die sie waren, im Innersten sympathisch sein mußten, vermochte er es über sich nicht sowohl die Zwangsinsassen als die — wenn auch unwillkommenen — Gäste seines Hauses zu sehen und ihnen voll Würde und Unbefangenheit, immer frisch und anregend, mit der ganzen Feinheit seiner weit- wie edelmännischen Formen als Wirt gegenüberzutreten. Und jene wiederum haben damals dem Zauber des großen Mannes so wenig wie irgend jemand zu widerstehen vermocht. Sie haben ihm dankbare Anhänglichkeit und Verehrung bis in späte Tage bewahrt, und ein¬ zelne von ihnen sind in dauernder freundschaftlicher Verbindung mit ihm geblieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/70>, abgerufen am 22.07.2024.