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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die vereinigten Staaten von Amerika und Japan

sehen. Unter diesen steht neben Rußland in erster Linie das erst kürzlich zur
Weltmacht entwickelte Japan. Eine Zeitlang hatten die Vereinigten Staaten
und Japan die gleichen Interessen in China; beide Staaten waren an der
Integrität des Reiches interessiert. Dies änderte sich mit dem siegreichen Kriege
der Japaner gegen Rußland, und Japans Verhalten China gegenüber erregt
mit Recht immer mehr Besorgnis in der Union vor dem weiteren Vordringen
der gelben Weltmacht*).

Die Erfolge des kleinen Jnselreiches im Kriege gegen den russischen Koloß
gaben dem japanischen Imperialismus neuen Boden und die seit langem
ersehnte Möglichkeit, die regste Tätigkeit in China zu entfalten, beseelt von
dem Wunsche, ganz China dem japanischen Einflüsse zu unterwerfen. Die
Ursache, um derentwillen man den Krieg gegen Rußland begonnen hatte, der
Schutz der von Rußland bedrohten Integrität Koreas und Chinas, hatte man
nach der siegreichen Beendigung des Krieges vergessen. Korea kam unter
japanischen Schutz, bald daraus unter japanische Verwaltung (1907) und
wurde schließlich (1910) zur japanischen Provinz erklärt. Somit sah Japan
seinen im Laufe der Jahrhunderte des öfteren vergeblich wiederholten Versuch,
sich auf dem asiatischen Festlande festzusetzen, endlich gelungen. Es ist der
erste Schritt zur Gründung einer japanischen kontinentalen Macht.

In den folgenden Jahren haben die Japaner systematisch an der weiteren
Ausarbeitung ihrer Festlandsstellung gearbeitet, indem sie mit allen ihnen zur
Verfügung stehenden Mitteln eine Erstarkung des aus seinem jahrhunderte¬
langen Schlafe erwachenden Chinas zu verhindern und die begonnene Reform¬
arbeit durch Anzettelung und Unterstützung von Revolutionen und Unruhen zu
stören suchten. Denn nur bei einem schwachen China können die japanischen
Pläne Erfolg haben"*).

Diesen Plänen dient auch die Teilnahme Japans am Weltkriege gegen
Deutschland und sein Raubzug gegen das deutsche Pachtgebiet Kiautschau.
Allerdings hat Japan zu Beginn des Krieges erklärt, es wolle "eventuell"
Kiautschau an China zurückgeben, aber heute glaubt wohl niemand mehr an
diese "Eventualität", im Gegenteil ist sogar anzunehmen, daß Japan sich auch
in der chinesischen Provinz Schankung, einer der reichsten und schönsten Provinzen
der Republik, dauernd festsetzen wird. Wenigstens läßt die angeblich "vorüber¬
gehende" Besetzung der Tsinanfu--Weisien - Bahn einen solchen Schluß als
außerordentlich naheliegend erscheinen***).

Damit wäre aber der Anfang einer Aufteilung des chinesischen Reiches
gemacht und weitere Abbröckelungen wären unvermeidlich. Die Folge der





*) Bergleiche Coolidge: "Die Vereinigten Staaten als Weltmacht," Seite 361 ff. --
Millard: a. a. O,, Seite 89.
**) Vergleiche Riegelsberger: "Japan und Deutschland, ihre kulturellen und politischen
Beziehungen und die japanische Gefahr für China, Amerika und Europa, 1914, Seite 32 ff.
Vergleiche hierzu von Brandt: China und Japan, 1914, Seite 44.
Die vereinigten Staaten von Amerika und Japan

sehen. Unter diesen steht neben Rußland in erster Linie das erst kürzlich zur
Weltmacht entwickelte Japan. Eine Zeitlang hatten die Vereinigten Staaten
und Japan die gleichen Interessen in China; beide Staaten waren an der
Integrität des Reiches interessiert. Dies änderte sich mit dem siegreichen Kriege
der Japaner gegen Rußland, und Japans Verhalten China gegenüber erregt
mit Recht immer mehr Besorgnis in der Union vor dem weiteren Vordringen
der gelben Weltmacht*).

Die Erfolge des kleinen Jnselreiches im Kriege gegen den russischen Koloß
gaben dem japanischen Imperialismus neuen Boden und die seit langem
ersehnte Möglichkeit, die regste Tätigkeit in China zu entfalten, beseelt von
dem Wunsche, ganz China dem japanischen Einflüsse zu unterwerfen. Die
Ursache, um derentwillen man den Krieg gegen Rußland begonnen hatte, der
Schutz der von Rußland bedrohten Integrität Koreas und Chinas, hatte man
nach der siegreichen Beendigung des Krieges vergessen. Korea kam unter
japanischen Schutz, bald daraus unter japanische Verwaltung (1907) und
wurde schließlich (1910) zur japanischen Provinz erklärt. Somit sah Japan
seinen im Laufe der Jahrhunderte des öfteren vergeblich wiederholten Versuch,
sich auf dem asiatischen Festlande festzusetzen, endlich gelungen. Es ist der
erste Schritt zur Gründung einer japanischen kontinentalen Macht.

In den folgenden Jahren haben die Japaner systematisch an der weiteren
Ausarbeitung ihrer Festlandsstellung gearbeitet, indem sie mit allen ihnen zur
Verfügung stehenden Mitteln eine Erstarkung des aus seinem jahrhunderte¬
langen Schlafe erwachenden Chinas zu verhindern und die begonnene Reform¬
arbeit durch Anzettelung und Unterstützung von Revolutionen und Unruhen zu
stören suchten. Denn nur bei einem schwachen China können die japanischen
Pläne Erfolg haben"*).

Diesen Plänen dient auch die Teilnahme Japans am Weltkriege gegen
Deutschland und sein Raubzug gegen das deutsche Pachtgebiet Kiautschau.
Allerdings hat Japan zu Beginn des Krieges erklärt, es wolle „eventuell"
Kiautschau an China zurückgeben, aber heute glaubt wohl niemand mehr an
diese „Eventualität", im Gegenteil ist sogar anzunehmen, daß Japan sich auch
in der chinesischen Provinz Schankung, einer der reichsten und schönsten Provinzen
der Republik, dauernd festsetzen wird. Wenigstens läßt die angeblich „vorüber¬
gehende" Besetzung der Tsinanfu—Weisien - Bahn einen solchen Schluß als
außerordentlich naheliegend erscheinen***).

Damit wäre aber der Anfang einer Aufteilung des chinesischen Reiches
gemacht und weitere Abbröckelungen wären unvermeidlich. Die Folge der





*) Bergleiche Coolidge: „Die Vereinigten Staaten als Weltmacht," Seite 361 ff. —
Millard: a. a. O,, Seite 89.
**) Vergleiche Riegelsberger: „Japan und Deutschland, ihre kulturellen und politischen
Beziehungen und die japanische Gefahr für China, Amerika und Europa, 1914, Seite 32 ff.
Vergleiche hierzu von Brandt: China und Japan, 1914, Seite 44.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/49>, abgerufen am 22.07.2024.