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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Vstproußenhilfe

Eine Hebung des Wohnungswesens ist, wie auch Jäger in seinem Aufsatz
betonte, dringend geboten. Die Bautätigkeit ist in den kleinen Landstädten stark
zurückgeblieben. Trotzdem die Bevölkerung nicht zunahm, bestand ein Mangel
an kleinen Wohnungen. Was vorhanden war, war in den meisten Orten eng
zusammengepfercht, ohne Licht und Luft, und entsprach oft nicht den bescheidensten
gesundheitlichen Anforderungen. Das enge Weichbild muß durchbrochen werden.
Einfamilienhäuser von drei bis vier Räumen sollen entstehen, mit Gärten, die
den Bedarf des Besitzers an Kartoffeln, Obst und Gemüsen decken und ihm die
Möglichkeit geben, ein Schwein oder eine Kuh zu halten. Solche Anwesen im
Umfange von einem halben bis einen Morgen lassen sich bei den verhältnis¬
mäßig billigen Bodenpreisen mit Einschluß aller Baulichkeiten für etwa 3000
Mark beschaffen, größere, die schon Gelegenheit zu eigener Ackerwirtschaft bieten,
also von etwa zwei bis fünf Morgen, zu einem Gestehungspreis von 9000 Mark.
Eine erste Hypothek bis zu 60 Prozent des Wertes ist von den öffentlichen
Geldgebern bei mäßigem Zins und Tilgungssätzen jederzeit zu haben, die zweite
in der Höhe von 30 Prozent würde von dem Hilfsverein gewährt werden, so
daß der Erwerber nur eine Anzahlung von zehn Prozent zu leisten hat. Diese
zweite Hypothek soll zunächst zinslos bleiben und erst wenn das Grundstück zu
vollem Ertrage gelangt, zu zwei Prozent verzinst und zu derselben Rate getilgt
werden. Wenn man bedenkt, daß der invalide Soldat mit Kriegs- und Ver¬
stümmelungszulage eine Jahresrente von 1368 Mark erhalten soll, so ist es ihm
ein leichtes, ein derartiges Anwesen zu erwerben und die zweite Hypothek in
kurzer Zeit abzulösen.' In der Hebung des Wohnungswesens sieht die "Ost¬
preußenhilfe" ihre Hauptaufgabe, sie ist in allen Teilen der Provinz unter
geringen örtlichen Verschiedenheiten die gleiche. Daneben aber bleibt in den
einzelnen Orten noch genug zu tun. Im Anbau soll der alte Schlendrian
aufhören; wo es der Boden erlaubt, sollen die Kartoffeln durch Gemüse ersetzt
werden. Freilich Fein- und Frühgemüse wird die Provinz niemals liefern,
aber was ein guter eigener Bestand an Bohnen, Erbsen und Linsen wert ist,
haben wir in diesem Kriege erfahren. Das Land ist flußreich, aber aus den
Gewässern wird kaum der richtige Nutzen gezogen. Fischkulturen gibt es höchstens
auf größeren Gütern, Krebse, die in den Großstädten erhebliche Preise erzielen,
find in den abgelegenen Dörfern nur Spielzeug für Kinder. Auch der Obstbau
kann wesentlich gefördert werden, besonders für einzelne Arten Äpfel dürste
das rauhe Klima recht geeeignet sein.

Das Handwerk hatte bisher in Ostpreußen keinen goldenen Boden, auch
dies liegt zum großen Teil an der vorgeschobenen Lage der Provinz. Um so
dankbarer ist es zu begrüßen, daß die Stadt München sich erboten hat, die
Ostmark mit künstlerisch vollendeten, aber darum doch gebrauchsfähigen Möbeln
auszustatten. Daraus wird sich reiche Anregung ergeben und auch die wohl¬
habenderen Kreise werden ihren Bedarf nicht mehr einzig in Berlin decken.
Auch die Hausindustrie kann helfend eingreifen. An Weiden ist kein Mangel,


Vstproußenhilfe

Eine Hebung des Wohnungswesens ist, wie auch Jäger in seinem Aufsatz
betonte, dringend geboten. Die Bautätigkeit ist in den kleinen Landstädten stark
zurückgeblieben. Trotzdem die Bevölkerung nicht zunahm, bestand ein Mangel
an kleinen Wohnungen. Was vorhanden war, war in den meisten Orten eng
zusammengepfercht, ohne Licht und Luft, und entsprach oft nicht den bescheidensten
gesundheitlichen Anforderungen. Das enge Weichbild muß durchbrochen werden.
Einfamilienhäuser von drei bis vier Räumen sollen entstehen, mit Gärten, die
den Bedarf des Besitzers an Kartoffeln, Obst und Gemüsen decken und ihm die
Möglichkeit geben, ein Schwein oder eine Kuh zu halten. Solche Anwesen im
Umfange von einem halben bis einen Morgen lassen sich bei den verhältnis¬
mäßig billigen Bodenpreisen mit Einschluß aller Baulichkeiten für etwa 3000
Mark beschaffen, größere, die schon Gelegenheit zu eigener Ackerwirtschaft bieten,
also von etwa zwei bis fünf Morgen, zu einem Gestehungspreis von 9000 Mark.
Eine erste Hypothek bis zu 60 Prozent des Wertes ist von den öffentlichen
Geldgebern bei mäßigem Zins und Tilgungssätzen jederzeit zu haben, die zweite
in der Höhe von 30 Prozent würde von dem Hilfsverein gewährt werden, so
daß der Erwerber nur eine Anzahlung von zehn Prozent zu leisten hat. Diese
zweite Hypothek soll zunächst zinslos bleiben und erst wenn das Grundstück zu
vollem Ertrage gelangt, zu zwei Prozent verzinst und zu derselben Rate getilgt
werden. Wenn man bedenkt, daß der invalide Soldat mit Kriegs- und Ver¬
stümmelungszulage eine Jahresrente von 1368 Mark erhalten soll, so ist es ihm
ein leichtes, ein derartiges Anwesen zu erwerben und die zweite Hypothek in
kurzer Zeit abzulösen.' In der Hebung des Wohnungswesens sieht die „Ost¬
preußenhilfe" ihre Hauptaufgabe, sie ist in allen Teilen der Provinz unter
geringen örtlichen Verschiedenheiten die gleiche. Daneben aber bleibt in den
einzelnen Orten noch genug zu tun. Im Anbau soll der alte Schlendrian
aufhören; wo es der Boden erlaubt, sollen die Kartoffeln durch Gemüse ersetzt
werden. Freilich Fein- und Frühgemüse wird die Provinz niemals liefern,
aber was ein guter eigener Bestand an Bohnen, Erbsen und Linsen wert ist,
haben wir in diesem Kriege erfahren. Das Land ist flußreich, aber aus den
Gewässern wird kaum der richtige Nutzen gezogen. Fischkulturen gibt es höchstens
auf größeren Gütern, Krebse, die in den Großstädten erhebliche Preise erzielen,
find in den abgelegenen Dörfern nur Spielzeug für Kinder. Auch der Obstbau
kann wesentlich gefördert werden, besonders für einzelne Arten Äpfel dürste
das rauhe Klima recht geeeignet sein.

Das Handwerk hatte bisher in Ostpreußen keinen goldenen Boden, auch
dies liegt zum großen Teil an der vorgeschobenen Lage der Provinz. Um so
dankbarer ist es zu begrüßen, daß die Stadt München sich erboten hat, die
Ostmark mit künstlerisch vollendeten, aber darum doch gebrauchsfähigen Möbeln
auszustatten. Daraus wird sich reiche Anregung ergeben und auch die wohl¬
habenderen Kreise werden ihren Bedarf nicht mehr einzig in Berlin decken.
Auch die Hausindustrie kann helfend eingreifen. An Weiden ist kein Mangel,


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[0421] Vstproußenhilfe Eine Hebung des Wohnungswesens ist, wie auch Jäger in seinem Aufsatz betonte, dringend geboten. Die Bautätigkeit ist in den kleinen Landstädten stark zurückgeblieben. Trotzdem die Bevölkerung nicht zunahm, bestand ein Mangel an kleinen Wohnungen. Was vorhanden war, war in den meisten Orten eng zusammengepfercht, ohne Licht und Luft, und entsprach oft nicht den bescheidensten gesundheitlichen Anforderungen. Das enge Weichbild muß durchbrochen werden. Einfamilienhäuser von drei bis vier Räumen sollen entstehen, mit Gärten, die den Bedarf des Besitzers an Kartoffeln, Obst und Gemüsen decken und ihm die Möglichkeit geben, ein Schwein oder eine Kuh zu halten. Solche Anwesen im Umfange von einem halben bis einen Morgen lassen sich bei den verhältnis¬ mäßig billigen Bodenpreisen mit Einschluß aller Baulichkeiten für etwa 3000 Mark beschaffen, größere, die schon Gelegenheit zu eigener Ackerwirtschaft bieten, also von etwa zwei bis fünf Morgen, zu einem Gestehungspreis von 9000 Mark. Eine erste Hypothek bis zu 60 Prozent des Wertes ist von den öffentlichen Geldgebern bei mäßigem Zins und Tilgungssätzen jederzeit zu haben, die zweite in der Höhe von 30 Prozent würde von dem Hilfsverein gewährt werden, so daß der Erwerber nur eine Anzahlung von zehn Prozent zu leisten hat. Diese zweite Hypothek soll zunächst zinslos bleiben und erst wenn das Grundstück zu vollem Ertrage gelangt, zu zwei Prozent verzinst und zu derselben Rate getilgt werden. Wenn man bedenkt, daß der invalide Soldat mit Kriegs- und Ver¬ stümmelungszulage eine Jahresrente von 1368 Mark erhalten soll, so ist es ihm ein leichtes, ein derartiges Anwesen zu erwerben und die zweite Hypothek in kurzer Zeit abzulösen.' In der Hebung des Wohnungswesens sieht die „Ost¬ preußenhilfe" ihre Hauptaufgabe, sie ist in allen Teilen der Provinz unter geringen örtlichen Verschiedenheiten die gleiche. Daneben aber bleibt in den einzelnen Orten noch genug zu tun. Im Anbau soll der alte Schlendrian aufhören; wo es der Boden erlaubt, sollen die Kartoffeln durch Gemüse ersetzt werden. Freilich Fein- und Frühgemüse wird die Provinz niemals liefern, aber was ein guter eigener Bestand an Bohnen, Erbsen und Linsen wert ist, haben wir in diesem Kriege erfahren. Das Land ist flußreich, aber aus den Gewässern wird kaum der richtige Nutzen gezogen. Fischkulturen gibt es höchstens auf größeren Gütern, Krebse, die in den Großstädten erhebliche Preise erzielen, find in den abgelegenen Dörfern nur Spielzeug für Kinder. Auch der Obstbau kann wesentlich gefördert werden, besonders für einzelne Arten Äpfel dürste das rauhe Klima recht geeeignet sein. Das Handwerk hatte bisher in Ostpreußen keinen goldenen Boden, auch dies liegt zum großen Teil an der vorgeschobenen Lage der Provinz. Um so dankbarer ist es zu begrüßen, daß die Stadt München sich erboten hat, die Ostmark mit künstlerisch vollendeten, aber darum doch gebrauchsfähigen Möbeln auszustatten. Daraus wird sich reiche Anregung ergeben und auch die wohl¬ habenderen Kreise werden ihren Bedarf nicht mehr einzig in Berlin decken. Auch die Hausindustrie kann helfend eingreifen. An Weiden ist kein Mangel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/421>, abgerufen am 22.07.2024.