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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gstpreußenhilfe

Großstädten sollen Ostpreußenhilfsvereine gegründet werden, von denen jeder
die Fürsorge für eine der zerstörten Kleinstädte übernimmt. Auf diese Weise
kann für deren individuelle Bedürfnisse gesorgt werden, die gerade in den kleinen
Landstädten außerordentlich verschieden sind, weit verschiedener als in mehr oder
weniger gleichgearteten Großstädten. Über diesen örtlichen Hilfsvereinen soll
sich der Gesamtverband erheben, teils um die Tätigkeit der Gruppen zu über¬
wachen, teils um den schwächer Bemittelten materielle Beihilfe zu gewähren,
besonders aber um größeren, die ganze Provinz betreffenden Aufgaben nach¬
zukommen. Dank der Tatkraft der führenden Männer und der Opferbereitschaft
der Bevölkerung hat die "Ostpreußenhilfe" schon gute Fortschritte gemacht.
Für Gumbinnen. Domnau, Gerdauen, Nordenburg, Soltau, Ortelsburg, Goldap,
Lyck, Angerberg, Darlehnen, Pillkallen, Hohenstein sind die Hilfsvereine ent¬
weder schon gegründet oder gesichert, wegen anderer Orte schweben aussichts¬
reiche Verhandlungen. Mit einem Kapital von 100000 Mark kann ein Orts¬
verein schon vieles leisten, aber einzelne haben so erhebliche Mittel zusammen¬
gebracht, daß sie über den ursprünglichen Plan hinausgehen und neben der
Stadt auch den ganzen Kreis in ihre Fürsorge einbeziehen konnten. Immerhin
bleibt noch vieles zu tun, wenn man bedenkt, daß allein 43 Städte der
russischen Zerstörungswut zum Opfer gefallen sind. Ein Vorteil ist es, daß es
sich um ein rein agrarisches Land handelt. Der Acker bleibt und wird über
den Gräbern von Siegern und Besiegten wieder Früchte tragen, dagegen ist es
mehr als zweifelhaft, ob der seit zehn Monaten von Schützengräben und
Geschossen durchwühlte Boden der Champagne jemals wieder für die frühere
hohe Weinkultur geeignet sein wird.

Welchen Zweck verfolgt nun die "Ostpreußenhilfe"? Es find vielfach
Bedenken aufgetaucht, daß die reichen freiwilligen Sammlungen zu einer Ent¬
lastung des Staates dienen würden, daß dieser sparen werde, was durch
private Wohltätigkeit geleistet wird. Solche Befürchtungen, die selbst auf dem
preußischen Städtetage laut wurden, entbehren jeder Unterlage. Weder wird
sich der Staat den Pflichten entziehen, die ihm rechtlich und moralisch obliegen,
noch beabsichtigt die "Ostpreußenhilfe" solche Aufgaben zu übernehmen. Die
Wirkungskreise beider sind scharf getrennt, wenn sie sich auch ergänzen und die
verschiedene Tätigkeit einem gemeinsamen Ziele gilt. Wenn der Staat den
angerichteten Schaden ersetzt, so will die "Ostpreußenhilfe" darüber hinaus¬
gehen, wenn jener die Mittel zum Wiederaufbau gewährt, so will diese dafür
sorgen, daß der Wiederaufbau nicht nur eine Wiederherstellung des Alten, sondern
eine Verbesserung bedeutet. Den Ostpreußen muß Freude im eigenen Haus
und Behagen an der väterlichen Scholle bereitet werden. Nur unter dieser
Voraussetzung werden die Flüchtigen zurückkehren, wird es möglich sein, neue
Siedler zu gewinnen und vor allen aus der Provinz gebürtige, aber längst
abgewanderte Kriegsteilnehmer, besonders unter den Invaliden, wieder seßhaft
zu machen.


Gstpreußenhilfe

Großstädten sollen Ostpreußenhilfsvereine gegründet werden, von denen jeder
die Fürsorge für eine der zerstörten Kleinstädte übernimmt. Auf diese Weise
kann für deren individuelle Bedürfnisse gesorgt werden, die gerade in den kleinen
Landstädten außerordentlich verschieden sind, weit verschiedener als in mehr oder
weniger gleichgearteten Großstädten. Über diesen örtlichen Hilfsvereinen soll
sich der Gesamtverband erheben, teils um die Tätigkeit der Gruppen zu über¬
wachen, teils um den schwächer Bemittelten materielle Beihilfe zu gewähren,
besonders aber um größeren, die ganze Provinz betreffenden Aufgaben nach¬
zukommen. Dank der Tatkraft der führenden Männer und der Opferbereitschaft
der Bevölkerung hat die „Ostpreußenhilfe" schon gute Fortschritte gemacht.
Für Gumbinnen. Domnau, Gerdauen, Nordenburg, Soltau, Ortelsburg, Goldap,
Lyck, Angerberg, Darlehnen, Pillkallen, Hohenstein sind die Hilfsvereine ent¬
weder schon gegründet oder gesichert, wegen anderer Orte schweben aussichts¬
reiche Verhandlungen. Mit einem Kapital von 100000 Mark kann ein Orts¬
verein schon vieles leisten, aber einzelne haben so erhebliche Mittel zusammen¬
gebracht, daß sie über den ursprünglichen Plan hinausgehen und neben der
Stadt auch den ganzen Kreis in ihre Fürsorge einbeziehen konnten. Immerhin
bleibt noch vieles zu tun, wenn man bedenkt, daß allein 43 Städte der
russischen Zerstörungswut zum Opfer gefallen sind. Ein Vorteil ist es, daß es
sich um ein rein agrarisches Land handelt. Der Acker bleibt und wird über
den Gräbern von Siegern und Besiegten wieder Früchte tragen, dagegen ist es
mehr als zweifelhaft, ob der seit zehn Monaten von Schützengräben und
Geschossen durchwühlte Boden der Champagne jemals wieder für die frühere
hohe Weinkultur geeignet sein wird.

Welchen Zweck verfolgt nun die „Ostpreußenhilfe"? Es find vielfach
Bedenken aufgetaucht, daß die reichen freiwilligen Sammlungen zu einer Ent¬
lastung des Staates dienen würden, daß dieser sparen werde, was durch
private Wohltätigkeit geleistet wird. Solche Befürchtungen, die selbst auf dem
preußischen Städtetage laut wurden, entbehren jeder Unterlage. Weder wird
sich der Staat den Pflichten entziehen, die ihm rechtlich und moralisch obliegen,
noch beabsichtigt die „Ostpreußenhilfe" solche Aufgaben zu übernehmen. Die
Wirkungskreise beider sind scharf getrennt, wenn sie sich auch ergänzen und die
verschiedene Tätigkeit einem gemeinsamen Ziele gilt. Wenn der Staat den
angerichteten Schaden ersetzt, so will die „Ostpreußenhilfe" darüber hinaus¬
gehen, wenn jener die Mittel zum Wiederaufbau gewährt, so will diese dafür
sorgen, daß der Wiederaufbau nicht nur eine Wiederherstellung des Alten, sondern
eine Verbesserung bedeutet. Den Ostpreußen muß Freude im eigenen Haus
und Behagen an der väterlichen Scholle bereitet werden. Nur unter dieser
Voraussetzung werden die Flüchtigen zurückkehren, wird es möglich sein, neue
Siedler zu gewinnen und vor allen aus der Provinz gebürtige, aber längst
abgewanderte Kriegsteilnehmer, besonders unter den Invaliden, wieder seßhaft
zu machen.


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[0420] Gstpreußenhilfe Großstädten sollen Ostpreußenhilfsvereine gegründet werden, von denen jeder die Fürsorge für eine der zerstörten Kleinstädte übernimmt. Auf diese Weise kann für deren individuelle Bedürfnisse gesorgt werden, die gerade in den kleinen Landstädten außerordentlich verschieden sind, weit verschiedener als in mehr oder weniger gleichgearteten Großstädten. Über diesen örtlichen Hilfsvereinen soll sich der Gesamtverband erheben, teils um die Tätigkeit der Gruppen zu über¬ wachen, teils um den schwächer Bemittelten materielle Beihilfe zu gewähren, besonders aber um größeren, die ganze Provinz betreffenden Aufgaben nach¬ zukommen. Dank der Tatkraft der führenden Männer und der Opferbereitschaft der Bevölkerung hat die „Ostpreußenhilfe" schon gute Fortschritte gemacht. Für Gumbinnen. Domnau, Gerdauen, Nordenburg, Soltau, Ortelsburg, Goldap, Lyck, Angerberg, Darlehnen, Pillkallen, Hohenstein sind die Hilfsvereine ent¬ weder schon gegründet oder gesichert, wegen anderer Orte schweben aussichts¬ reiche Verhandlungen. Mit einem Kapital von 100000 Mark kann ein Orts¬ verein schon vieles leisten, aber einzelne haben so erhebliche Mittel zusammen¬ gebracht, daß sie über den ursprünglichen Plan hinausgehen und neben der Stadt auch den ganzen Kreis in ihre Fürsorge einbeziehen konnten. Immerhin bleibt noch vieles zu tun, wenn man bedenkt, daß allein 43 Städte der russischen Zerstörungswut zum Opfer gefallen sind. Ein Vorteil ist es, daß es sich um ein rein agrarisches Land handelt. Der Acker bleibt und wird über den Gräbern von Siegern und Besiegten wieder Früchte tragen, dagegen ist es mehr als zweifelhaft, ob der seit zehn Monaten von Schützengräben und Geschossen durchwühlte Boden der Champagne jemals wieder für die frühere hohe Weinkultur geeignet sein wird. Welchen Zweck verfolgt nun die „Ostpreußenhilfe"? Es find vielfach Bedenken aufgetaucht, daß die reichen freiwilligen Sammlungen zu einer Ent¬ lastung des Staates dienen würden, daß dieser sparen werde, was durch private Wohltätigkeit geleistet wird. Solche Befürchtungen, die selbst auf dem preußischen Städtetage laut wurden, entbehren jeder Unterlage. Weder wird sich der Staat den Pflichten entziehen, die ihm rechtlich und moralisch obliegen, noch beabsichtigt die „Ostpreußenhilfe" solche Aufgaben zu übernehmen. Die Wirkungskreise beider sind scharf getrennt, wenn sie sich auch ergänzen und die verschiedene Tätigkeit einem gemeinsamen Ziele gilt. Wenn der Staat den angerichteten Schaden ersetzt, so will die „Ostpreußenhilfe" darüber hinaus¬ gehen, wenn jener die Mittel zum Wiederaufbau gewährt, so will diese dafür sorgen, daß der Wiederaufbau nicht nur eine Wiederherstellung des Alten, sondern eine Verbesserung bedeutet. Den Ostpreußen muß Freude im eigenen Haus und Behagen an der väterlichen Scholle bereitet werden. Nur unter dieser Voraussetzung werden die Flüchtigen zurückkehren, wird es möglich sein, neue Siedler zu gewinnen und vor allen aus der Provinz gebürtige, aber längst abgewanderte Kriegsteilnehmer, besonders unter den Invaliden, wieder seßhaft zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/420>, abgerufen am 24.08.2024.