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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Jugendpflege

hier vielfach zu einem Kampfe um die Jugend geworden ist. In diesem Kampfe
um die Jugend ist in Ton und Form des Kampfes von allen Seiten gesündigt
worden. Heute aber ist nicht die Zeit dazu, den einzelnen Parteien ihre
Sünde vorzurechnen. Vielmehr muß man heute, unter dem Eindruck des
Weltkrieges, in der Freude über die einheitliche Verschmelzung unseres Volkes,
aufs neue laut und nachdrücklich die Forderung erheben, daß auch auf
dem Gebiete der Jugendpflege jene Einigung durchgeführt werden möge, die
uns als Volk heute beglückt, daß es auch hier heißen möge: "Ich kenne
keine Parteien mehr," und daß man dann fortfahren möge: "Ich kenne nur
noch Jugend!"

Es ist selbstverständlich, daß diese Einigung nicht etwa dadurch geschehen
kann, daß einige oder alle Richtungen der Jugendpflege sich dazu verpflichten,
ihre Weltanschauung nicht mehr zur Grundlage ihrer Bestrebungen zu machen
und so gewissermaßen "neutrale" Jugendpflege zu treiben. Die Weltanschauung
ist die unumgänglich nötige Gefühlsgrundlage für die erzieherische Beeinflussung
der Jugend, ohne sie wäre jede Jugendpflege unmöglich; denn ohne sie würde
sie die werbende Kraft in der Jugend verlieren. Die Jugend, namentlich die
Jugend in den Entwicklungsjahren verlangt Beendigung für ihr erwachendes
Gefühlsbedürfnis, sie verlangt Gefühlswerte, Ideale, mit einem Wort "Welt¬
anschauung". Je mehr man sich mit der Psychologie des Entwicklungsalters
beschäftigt, um so deutlicher erkennt man dies "romantische Bedürfnis" der
Jugend*).

Eine Einigung der verschiedenen Zweige der Jugendpflege ist nur möglich
in der Form friedlichen Nebeneinanderarbeitens, das getragen ist von dem
gegenseitigen Verständnis und dem Bewußtsein, einem einzigen und geniein¬
samen Ziele zuzustreben: dem Wohle der Jugend und damit des gesamten
Volkes.

Es sind schon einzelne Versuche gemacht worden, um ein solches gegen¬
seitiges Verständnis in der Jugendpflege herbeizuführen. Die "Deutsche Zentrale
für Jugendfürsorge E. V." in Berlin hat 1912 einen Erörterungsabend über
das Thema "Der Kampf der Parteien um die Jugend" veranstaltet, an dem
die Führer der Jugendpflege, Vertreter von Behörden, Vereinen usw. teil¬
nahmen, um "in freier Aussprache führender und sachverständiger Persönlichkeiten
neue Mittel und Wege zur Eindämmung der unheilvollen Wirkungen wachsender
Zersplitterung im Bereich der Jugendpflege zu suchen" und das gegenseitige
Verständnis und gemeinsame Arbeit anzubahnen. Eine derartige gelegentliche
Veranstaltung kann aber ihren Zweck nur sehr wenig erfüllen. Es ist vielmehr
durchaus nötig, daß eine Vermittlungs- und Verständigungsstelle für Jugend¬
pflege als eine dauernde Einrichtung geschaffen wird und zwar am besten



*) Vergleiche meinen Aufsatz "DaS romantische Bedürfnis unserer Zeit". Wrenz-
boten 1914, Heft S.
Die Zukunft der Jugendpflege

hier vielfach zu einem Kampfe um die Jugend geworden ist. In diesem Kampfe
um die Jugend ist in Ton und Form des Kampfes von allen Seiten gesündigt
worden. Heute aber ist nicht die Zeit dazu, den einzelnen Parteien ihre
Sünde vorzurechnen. Vielmehr muß man heute, unter dem Eindruck des
Weltkrieges, in der Freude über die einheitliche Verschmelzung unseres Volkes,
aufs neue laut und nachdrücklich die Forderung erheben, daß auch auf
dem Gebiete der Jugendpflege jene Einigung durchgeführt werden möge, die
uns als Volk heute beglückt, daß es auch hier heißen möge: „Ich kenne
keine Parteien mehr," und daß man dann fortfahren möge: „Ich kenne nur
noch Jugend!"

Es ist selbstverständlich, daß diese Einigung nicht etwa dadurch geschehen
kann, daß einige oder alle Richtungen der Jugendpflege sich dazu verpflichten,
ihre Weltanschauung nicht mehr zur Grundlage ihrer Bestrebungen zu machen
und so gewissermaßen „neutrale" Jugendpflege zu treiben. Die Weltanschauung
ist die unumgänglich nötige Gefühlsgrundlage für die erzieherische Beeinflussung
der Jugend, ohne sie wäre jede Jugendpflege unmöglich; denn ohne sie würde
sie die werbende Kraft in der Jugend verlieren. Die Jugend, namentlich die
Jugend in den Entwicklungsjahren verlangt Beendigung für ihr erwachendes
Gefühlsbedürfnis, sie verlangt Gefühlswerte, Ideale, mit einem Wort „Welt¬
anschauung". Je mehr man sich mit der Psychologie des Entwicklungsalters
beschäftigt, um so deutlicher erkennt man dies „romantische Bedürfnis" der
Jugend*).

Eine Einigung der verschiedenen Zweige der Jugendpflege ist nur möglich
in der Form friedlichen Nebeneinanderarbeitens, das getragen ist von dem
gegenseitigen Verständnis und dem Bewußtsein, einem einzigen und geniein¬
samen Ziele zuzustreben: dem Wohle der Jugend und damit des gesamten
Volkes.

Es sind schon einzelne Versuche gemacht worden, um ein solches gegen¬
seitiges Verständnis in der Jugendpflege herbeizuführen. Die „Deutsche Zentrale
für Jugendfürsorge E. V." in Berlin hat 1912 einen Erörterungsabend über
das Thema „Der Kampf der Parteien um die Jugend" veranstaltet, an dem
die Führer der Jugendpflege, Vertreter von Behörden, Vereinen usw. teil¬
nahmen, um „in freier Aussprache führender und sachverständiger Persönlichkeiten
neue Mittel und Wege zur Eindämmung der unheilvollen Wirkungen wachsender
Zersplitterung im Bereich der Jugendpflege zu suchen" und das gegenseitige
Verständnis und gemeinsame Arbeit anzubahnen. Eine derartige gelegentliche
Veranstaltung kann aber ihren Zweck nur sehr wenig erfüllen. Es ist vielmehr
durchaus nötig, daß eine Vermittlungs- und Verständigungsstelle für Jugend¬
pflege als eine dauernde Einrichtung geschaffen wird und zwar am besten



*) Vergleiche meinen Aufsatz „DaS romantische Bedürfnis unserer Zeit". Wrenz-
boten 1914, Heft S.
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[0408] Die Zukunft der Jugendpflege hier vielfach zu einem Kampfe um die Jugend geworden ist. In diesem Kampfe um die Jugend ist in Ton und Form des Kampfes von allen Seiten gesündigt worden. Heute aber ist nicht die Zeit dazu, den einzelnen Parteien ihre Sünde vorzurechnen. Vielmehr muß man heute, unter dem Eindruck des Weltkrieges, in der Freude über die einheitliche Verschmelzung unseres Volkes, aufs neue laut und nachdrücklich die Forderung erheben, daß auch auf dem Gebiete der Jugendpflege jene Einigung durchgeführt werden möge, die uns als Volk heute beglückt, daß es auch hier heißen möge: „Ich kenne keine Parteien mehr," und daß man dann fortfahren möge: „Ich kenne nur noch Jugend!" Es ist selbstverständlich, daß diese Einigung nicht etwa dadurch geschehen kann, daß einige oder alle Richtungen der Jugendpflege sich dazu verpflichten, ihre Weltanschauung nicht mehr zur Grundlage ihrer Bestrebungen zu machen und so gewissermaßen „neutrale" Jugendpflege zu treiben. Die Weltanschauung ist die unumgänglich nötige Gefühlsgrundlage für die erzieherische Beeinflussung der Jugend, ohne sie wäre jede Jugendpflege unmöglich; denn ohne sie würde sie die werbende Kraft in der Jugend verlieren. Die Jugend, namentlich die Jugend in den Entwicklungsjahren verlangt Beendigung für ihr erwachendes Gefühlsbedürfnis, sie verlangt Gefühlswerte, Ideale, mit einem Wort „Welt¬ anschauung". Je mehr man sich mit der Psychologie des Entwicklungsalters beschäftigt, um so deutlicher erkennt man dies „romantische Bedürfnis" der Jugend*). Eine Einigung der verschiedenen Zweige der Jugendpflege ist nur möglich in der Form friedlichen Nebeneinanderarbeitens, das getragen ist von dem gegenseitigen Verständnis und dem Bewußtsein, einem einzigen und geniein¬ samen Ziele zuzustreben: dem Wohle der Jugend und damit des gesamten Volkes. Es sind schon einzelne Versuche gemacht worden, um ein solches gegen¬ seitiges Verständnis in der Jugendpflege herbeizuführen. Die „Deutsche Zentrale für Jugendfürsorge E. V." in Berlin hat 1912 einen Erörterungsabend über das Thema „Der Kampf der Parteien um die Jugend" veranstaltet, an dem die Führer der Jugendpflege, Vertreter von Behörden, Vereinen usw. teil¬ nahmen, um „in freier Aussprache führender und sachverständiger Persönlichkeiten neue Mittel und Wege zur Eindämmung der unheilvollen Wirkungen wachsender Zersplitterung im Bereich der Jugendpflege zu suchen" und das gegenseitige Verständnis und gemeinsame Arbeit anzubahnen. Eine derartige gelegentliche Veranstaltung kann aber ihren Zweck nur sehr wenig erfüllen. Es ist vielmehr durchaus nötig, daß eine Vermittlungs- und Verständigungsstelle für Jugend¬ pflege als eine dauernde Einrichtung geschaffen wird und zwar am besten *) Vergleiche meinen Aufsatz „DaS romantische Bedürfnis unserer Zeit". Wrenz- boten 1914, Heft S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/408>, abgerufen am 22.07.2024.