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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Zugenöpflege

standen, wie zum Beispiel die Einrichtungen des Hamburger Volksheims dank
der Lebensarbeit Walther Classens.

Auch im Anschluß an die Schule, namentlich an die Fortbildungsschule,
hat man mit der Jugendpflege in Jugendvereinen begonnen. Den Zusammen¬
hang mit der höheren Schule hat die Jugendwehr-, Wehrkraft-, Pfadfinder- und
Jungdeutschlandbewegung immer aufrecht zu halten gesucht. Der Jugendpflege¬
erlaß von 1911 hat alle diese Bestrebungen neu angeregt und unterstützt.
Man spricht in der Folge wohl von dieser "nationalen Jugendpflege" als von
einer "staatlichen Jugendpflege", obwohl von einer Verstaatlichung der Jugend¬
pflege in dem Erlaß von 1911 auch noch nicht im entferntesten die Rede ist.
Der Name "nationale Jugendpflege" ist treffender.

Im übrigen ist es unmöglich, auch nur einen annähernd erschöpfenden
Überblick über die Jugendpflegebestrebungen zu geben. Wir wollen hier neben
der kirchlichen, beruflichen und der ^staatlichen" nur noch zwei weitere wichtige
Gruppen nennen: die sozialdemokratische Jugendpflege und die selbständige
Jugendbewegung.

Auch die Sozialdemokratie saßt ihre Jugendpflegebestrebungen gern unter
dem Namen "Jugendbewegung" zusammen, um dadurch anzudeuten, daß sie
aus den Kreisen der sozialdemokratischen Jugend selbst hervorgegangen sei.
1903 und die solgenden Jahre entstanden in Süddeutschland die ersten sozial¬
demokratischen Jugendvereine, die sich 1906 zum "Verband jugendlicher Arbeiter
Deutschlands" zusammenschlossen; 1906 entstand auch in Norddeutschland ein
"Verband der arbeitenden Jugend". Als nach Erlaß des Reichsvereinsgesetzes
die sozialdemokratischen Jugendvereine als politische Vereine angesehen und
den Jugendlichen unter achtzehn Jahren die Teilnahme daran unmöglich gemacht
wurde, gründete man überall örtliche "Jugendausschüsse" Erwachsener, die die
Jugendbewegung vertraten und aufrecht erhielten (1912 bestanden solche an
574 Orten). Zusammengeschlossen sind diese Ortsausschüsse in der "Zentralstelle
für die arbeitende Jugend" in Berlin. Diese gibt seit 1908 als sozialdemokratische
Jugendzeitschrift die "Arbeiterjugend" heraus, deren Leserkreis 1912 85000
Bezieher umfaßte.

Wenn man die Jahrgänge der "Arbeiterjugend" durchblättert, so muß
man zugestehen, daß sie ihren Lesern ganz außerordentlich viel Bildungswerte
vermittelt und zwar in einer Form, die sehr glücklich dem jugendlichen Leser¬
kreise und seiner Vorbildung angepaßt ist. Man kann der sozialdemokratischen
Jugendbewegung überhaupt die Anerkennung nicht versagen, daß sie die besten
Methoden der Jugendpflege: Jugeudvereinsarbeit, Jugendheime. Vorträge,
sportliche Veranstaltungen usw. in geradezu vorbildlicher Weise anwendet. Die
Durchsicht der vor dem Kriege erschienenen "Arbeiterjugend" beweist aber auch,
daß nebenbei der ganze erzieherische Einst"ß einmal in antimilitarischem Sinne
ausgenutzt wurde -- Polemiken gegen die Jugendwehr-, Wehrkraft-, Pfadfinder¬
vereine finden sich fast in jeder Nummer -- und daß ferner das letzte erzieherische


Die Zukunft der Zugenöpflege

standen, wie zum Beispiel die Einrichtungen des Hamburger Volksheims dank
der Lebensarbeit Walther Classens.

Auch im Anschluß an die Schule, namentlich an die Fortbildungsschule,
hat man mit der Jugendpflege in Jugendvereinen begonnen. Den Zusammen¬
hang mit der höheren Schule hat die Jugendwehr-, Wehrkraft-, Pfadfinder- und
Jungdeutschlandbewegung immer aufrecht zu halten gesucht. Der Jugendpflege¬
erlaß von 1911 hat alle diese Bestrebungen neu angeregt und unterstützt.
Man spricht in der Folge wohl von dieser „nationalen Jugendpflege" als von
einer „staatlichen Jugendpflege", obwohl von einer Verstaatlichung der Jugend¬
pflege in dem Erlaß von 1911 auch noch nicht im entferntesten die Rede ist.
Der Name „nationale Jugendpflege" ist treffender.

Im übrigen ist es unmöglich, auch nur einen annähernd erschöpfenden
Überblick über die Jugendpflegebestrebungen zu geben. Wir wollen hier neben
der kirchlichen, beruflichen und der ^staatlichen" nur noch zwei weitere wichtige
Gruppen nennen: die sozialdemokratische Jugendpflege und die selbständige
Jugendbewegung.

Auch die Sozialdemokratie saßt ihre Jugendpflegebestrebungen gern unter
dem Namen „Jugendbewegung" zusammen, um dadurch anzudeuten, daß sie
aus den Kreisen der sozialdemokratischen Jugend selbst hervorgegangen sei.
1903 und die solgenden Jahre entstanden in Süddeutschland die ersten sozial¬
demokratischen Jugendvereine, die sich 1906 zum „Verband jugendlicher Arbeiter
Deutschlands" zusammenschlossen; 1906 entstand auch in Norddeutschland ein
„Verband der arbeitenden Jugend". Als nach Erlaß des Reichsvereinsgesetzes
die sozialdemokratischen Jugendvereine als politische Vereine angesehen und
den Jugendlichen unter achtzehn Jahren die Teilnahme daran unmöglich gemacht
wurde, gründete man überall örtliche „Jugendausschüsse" Erwachsener, die die
Jugendbewegung vertraten und aufrecht erhielten (1912 bestanden solche an
574 Orten). Zusammengeschlossen sind diese Ortsausschüsse in der „Zentralstelle
für die arbeitende Jugend" in Berlin. Diese gibt seit 1908 als sozialdemokratische
Jugendzeitschrift die „Arbeiterjugend" heraus, deren Leserkreis 1912 85000
Bezieher umfaßte.

Wenn man die Jahrgänge der „Arbeiterjugend" durchblättert, so muß
man zugestehen, daß sie ihren Lesern ganz außerordentlich viel Bildungswerte
vermittelt und zwar in einer Form, die sehr glücklich dem jugendlichen Leser¬
kreise und seiner Vorbildung angepaßt ist. Man kann der sozialdemokratischen
Jugendbewegung überhaupt die Anerkennung nicht versagen, daß sie die besten
Methoden der Jugendpflege: Jugeudvereinsarbeit, Jugendheime. Vorträge,
sportliche Veranstaltungen usw. in geradezu vorbildlicher Weise anwendet. Die
Durchsicht der vor dem Kriege erschienenen „Arbeiterjugend" beweist aber auch,
daß nebenbei der ganze erzieherische Einst«ß einmal in antimilitarischem Sinne
ausgenutzt wurde — Polemiken gegen die Jugendwehr-, Wehrkraft-, Pfadfinder¬
vereine finden sich fast in jeder Nummer — und daß ferner das letzte erzieherische


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[0406] Die Zukunft der Zugenöpflege standen, wie zum Beispiel die Einrichtungen des Hamburger Volksheims dank der Lebensarbeit Walther Classens. Auch im Anschluß an die Schule, namentlich an die Fortbildungsschule, hat man mit der Jugendpflege in Jugendvereinen begonnen. Den Zusammen¬ hang mit der höheren Schule hat die Jugendwehr-, Wehrkraft-, Pfadfinder- und Jungdeutschlandbewegung immer aufrecht zu halten gesucht. Der Jugendpflege¬ erlaß von 1911 hat alle diese Bestrebungen neu angeregt und unterstützt. Man spricht in der Folge wohl von dieser „nationalen Jugendpflege" als von einer „staatlichen Jugendpflege", obwohl von einer Verstaatlichung der Jugend¬ pflege in dem Erlaß von 1911 auch noch nicht im entferntesten die Rede ist. Der Name „nationale Jugendpflege" ist treffender. Im übrigen ist es unmöglich, auch nur einen annähernd erschöpfenden Überblick über die Jugendpflegebestrebungen zu geben. Wir wollen hier neben der kirchlichen, beruflichen und der ^staatlichen" nur noch zwei weitere wichtige Gruppen nennen: die sozialdemokratische Jugendpflege und die selbständige Jugendbewegung. Auch die Sozialdemokratie saßt ihre Jugendpflegebestrebungen gern unter dem Namen „Jugendbewegung" zusammen, um dadurch anzudeuten, daß sie aus den Kreisen der sozialdemokratischen Jugend selbst hervorgegangen sei. 1903 und die solgenden Jahre entstanden in Süddeutschland die ersten sozial¬ demokratischen Jugendvereine, die sich 1906 zum „Verband jugendlicher Arbeiter Deutschlands" zusammenschlossen; 1906 entstand auch in Norddeutschland ein „Verband der arbeitenden Jugend". Als nach Erlaß des Reichsvereinsgesetzes die sozialdemokratischen Jugendvereine als politische Vereine angesehen und den Jugendlichen unter achtzehn Jahren die Teilnahme daran unmöglich gemacht wurde, gründete man überall örtliche „Jugendausschüsse" Erwachsener, die die Jugendbewegung vertraten und aufrecht erhielten (1912 bestanden solche an 574 Orten). Zusammengeschlossen sind diese Ortsausschüsse in der „Zentralstelle für die arbeitende Jugend" in Berlin. Diese gibt seit 1908 als sozialdemokratische Jugendzeitschrift die „Arbeiterjugend" heraus, deren Leserkreis 1912 85000 Bezieher umfaßte. Wenn man die Jahrgänge der „Arbeiterjugend" durchblättert, so muß man zugestehen, daß sie ihren Lesern ganz außerordentlich viel Bildungswerte vermittelt und zwar in einer Form, die sehr glücklich dem jugendlichen Leser¬ kreise und seiner Vorbildung angepaßt ist. Man kann der sozialdemokratischen Jugendbewegung überhaupt die Anerkennung nicht versagen, daß sie die besten Methoden der Jugendpflege: Jugeudvereinsarbeit, Jugendheime. Vorträge, sportliche Veranstaltungen usw. in geradezu vorbildlicher Weise anwendet. Die Durchsicht der vor dem Kriege erschienenen „Arbeiterjugend" beweist aber auch, daß nebenbei der ganze erzieherische Einst«ß einmal in antimilitarischem Sinne ausgenutzt wurde — Polemiken gegen die Jugendwehr-, Wehrkraft-, Pfadfinder¬ vereine finden sich fast in jeder Nummer — und daß ferner das letzte erzieherische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/406>, abgerufen am 22.07.2024.