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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Soldatenbriefe

die Leute erschossen, Franktireurscheußlichkeiten!" Man findet ihn nie in den
Briefen der gemeinen Soldaten. Er kann also nicht als allgemeines formales
Kennzeichen des deutschen Feldpostbriefes gelten. Dagegen zeigen viele Briefe
der verschiedensten Urheber in der Form das gleiche Streben: den Hang zur
Stilisierung, die literarische Färbung der instinktiven Äußerung. Ein Haupt¬
mann schreibt von Neuigkeiten, die sein Antlitz verklärt haben; ein Ingenieur
muß beim Kriegsbeginn wieder auf die Planken des Kriegsschiffs. Ein Militärarzt
läßt Gegensätzliches hart aneinander stoßen, die friedliche Ruhe der Natur und
das Getöse des Kampfes: "Die Natur in Saft und Pranger, die Obstbäume
schwer behängen, Blumen überall und Vogelzwitschern. Frieden! Aus dem
Dorf lachen muntere Stimmen. Singen froher, glücklicher Menschen!" Dazu
Stellen aus Briefen ganz einfacher Leute: "Ein vom Schicksal verfolgter Ober¬
matrose"; "Lerne leiden ohne zu klagen!"; "Kampf mit Sturm und Wogen¬
tanz"; "Wenn mein Pfeifchen dampft und glüht und der Rauch von Blättern
durch die Lüfte zieht, danses ich nicht mit Göttern!"---"und wir unsere
schweren Torpedos selbigen in den gepanzerten Bauch jagen." Der Franzose
wird fast preziös der Franzmann genannt. Besonders gern wird das Adjektiv
verwandt, das, bald malend, bald klingend, gerade den einfachen Leuten als
das Charakteristische des "schönen" schriftstellerischen Stils zu gelten scheint:
das vom Feinde viel umworbene Kiel; gegen schneidigen (schneidenden) Wind
und Kälte; die See schlug heftig gegen die dem wütenden Wasser trotzende
Bordwand (der Rhythmus eines Ungebildeten!); das eisig schneidende Wasser;
wortlos wälzten sich die unendlichen Züge Artillerie und Infanterie durch die
kahlen, verlassenen Gegenden. Das Torpedo heißt "heimtückisch", die Wander¬
mine "feindlich". Es ist, als ob der Soldat das Bewußtein hätte: dein Brief
wird zu Hause vorgelesen, Freunden und Bekannten gezeigt; da darfst du dich
nicht blamieren, du mußt Eindruck machen I So schreibt er in einer gehobenen
Sprache, die man aber weder schwülstig noch papieren nennen kann; denn
sie bleibt immer im Einklang mit dem großen Gegenstand, den sie uns
mitteilt.

Am kräftigsten aber leuchtet der gemeinsame Volkscharakter aus der
Stimmung der Feldpostbriefe hervor. In der neugeschaffenen Einheit ordnet
sich der einzelne dem gemeinsamen Zweck unter, verschwinden alle persönlichen
Wünsche, Neigungen und Gewohnheiten. Durch die gemeinsame Gefahr und
das gemeinsame Erlebnis wird die Heeresmasse zu einem unteilbaren Wesen.
In einem solchen Massenwesen haben erfahrungsgemäß die Gefühlselemente
durchaus das Übergewicht, die noch dazu durch die ungeheure Suggestibilität
der Masse eine schnelle Verbreitung erfahren. Die feineren, abgetöntem Gefühle
des einzelnen gehen natürlich verloren und nur die großen, ursprünglichen
Leidenschaften bleiben. Vier einfache Gefühle sind es besonders, deren Echo
der gegenwärtige Krieg wachgerufen hat und die den Grundton der Briefe aus
dem Felde abgeben: vaterländische Begeisterung, Lust am Kampf, Wille zum


Deutsche Soldatenbriefe

die Leute erschossen, Franktireurscheußlichkeiten!" Man findet ihn nie in den
Briefen der gemeinen Soldaten. Er kann also nicht als allgemeines formales
Kennzeichen des deutschen Feldpostbriefes gelten. Dagegen zeigen viele Briefe
der verschiedensten Urheber in der Form das gleiche Streben: den Hang zur
Stilisierung, die literarische Färbung der instinktiven Äußerung. Ein Haupt¬
mann schreibt von Neuigkeiten, die sein Antlitz verklärt haben; ein Ingenieur
muß beim Kriegsbeginn wieder auf die Planken des Kriegsschiffs. Ein Militärarzt
läßt Gegensätzliches hart aneinander stoßen, die friedliche Ruhe der Natur und
das Getöse des Kampfes: „Die Natur in Saft und Pranger, die Obstbäume
schwer behängen, Blumen überall und Vogelzwitschern. Frieden! Aus dem
Dorf lachen muntere Stimmen. Singen froher, glücklicher Menschen!" Dazu
Stellen aus Briefen ganz einfacher Leute: „Ein vom Schicksal verfolgter Ober¬
matrose"; „Lerne leiden ohne zu klagen!"; „Kampf mit Sturm und Wogen¬
tanz"; „Wenn mein Pfeifchen dampft und glüht und der Rauch von Blättern
durch die Lüfte zieht, danses ich nicht mit Göttern!"---„und wir unsere
schweren Torpedos selbigen in den gepanzerten Bauch jagen." Der Franzose
wird fast preziös der Franzmann genannt. Besonders gern wird das Adjektiv
verwandt, das, bald malend, bald klingend, gerade den einfachen Leuten als
das Charakteristische des „schönen" schriftstellerischen Stils zu gelten scheint:
das vom Feinde viel umworbene Kiel; gegen schneidigen (schneidenden) Wind
und Kälte; die See schlug heftig gegen die dem wütenden Wasser trotzende
Bordwand (der Rhythmus eines Ungebildeten!); das eisig schneidende Wasser;
wortlos wälzten sich die unendlichen Züge Artillerie und Infanterie durch die
kahlen, verlassenen Gegenden. Das Torpedo heißt „heimtückisch", die Wander¬
mine „feindlich". Es ist, als ob der Soldat das Bewußtein hätte: dein Brief
wird zu Hause vorgelesen, Freunden und Bekannten gezeigt; da darfst du dich
nicht blamieren, du mußt Eindruck machen I So schreibt er in einer gehobenen
Sprache, die man aber weder schwülstig noch papieren nennen kann; denn
sie bleibt immer im Einklang mit dem großen Gegenstand, den sie uns
mitteilt.

Am kräftigsten aber leuchtet der gemeinsame Volkscharakter aus der
Stimmung der Feldpostbriefe hervor. In der neugeschaffenen Einheit ordnet
sich der einzelne dem gemeinsamen Zweck unter, verschwinden alle persönlichen
Wünsche, Neigungen und Gewohnheiten. Durch die gemeinsame Gefahr und
das gemeinsame Erlebnis wird die Heeresmasse zu einem unteilbaren Wesen.
In einem solchen Massenwesen haben erfahrungsgemäß die Gefühlselemente
durchaus das Übergewicht, die noch dazu durch die ungeheure Suggestibilität
der Masse eine schnelle Verbreitung erfahren. Die feineren, abgetöntem Gefühle
des einzelnen gehen natürlich verloren und nur die großen, ursprünglichen
Leidenschaften bleiben. Vier einfache Gefühle sind es besonders, deren Echo
der gegenwärtige Krieg wachgerufen hat und die den Grundton der Briefe aus
dem Felde abgeben: vaterländische Begeisterung, Lust am Kampf, Wille zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/40>, abgerufen am 22.07.2024.