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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

kehrtheit nichts als das Bestreben erblicken, den Krieg auf dem Kontinent zu
nähren und Deutschland von sich abhängig zu machen."

So zeigte sich England schon damals -- in aller Heimlichkeit -- als der
Todfeind des werdenden neuen Deutschland. England vor allem verhinderte
es, daß erfüllt wurde, was Preußen zu einer dauernden Sicherung forderte.
Niemand hat diese Forderungen schärfer und treffender formuliert als Arndt
und Gneisenau. Schon im Juli 1815 forderte Gneisenau "einen solchen
Zustand der Dinge, daß wir nicht stets befürchten müssen, von einem unruhigen
Nachbarvolk mit Krieg überzogen zu werden. Jeder andere Friede als ein
solcher ist Verrat an sich selbst und Selbstmord." Ja, schon vier Tage nach
Belle Alliance schrieb er an den Staatskanzler: "Die Festungen der Mosel*)
und des Rheins müssen von Frankreich abgerissen werden, nebst Lothringen,
und alles Land, dessen Flüsse sich in die Maas ergießen." Blücher, der König,
Stein, Hardenberg. Humboldt standen auf seiner Seite. Arndt aber schrieb
acht Tage nach Belle Alliance: "Das Elsaß und Lothringen und Metz und Lille,
Valenciennes und Dunkerken.... ein Dutzend französischer Festungen gesprengt
.... das fordert jeder ehrliche und gescheite deutsche Mann und das kann er
fordern." Auch "die schönen burgundischen Lande und das Binnen und
Fürstentum Lüttich nebst mehreren Reichs abteien" betrachtete er als verlorenes
deutsches Erbgut.

Die Forderungen Arndts und Gneisenaus sind noch heute -- nach hundert
Jahren! -- nicht erfüllt.

Einer der ersten Kenner jener Zeit sagt im Hinblick auf den zweiten Pariser
Frieden: "Der Sieg von Belle Alliance, die Verfolgung, der Sturmmarsch
auf Paris, der Übergang über die Seine, die Bezwingung der Stadt, alles
war vergeblich gewesen**)."

Und 1915?






") Also Epinal, Toul, Nancy, Metz.
**) Delbrück, Leben des Feldmarschalls Neidhart von Gneisenau. II., 3, 279.
Belle Alliance

kehrtheit nichts als das Bestreben erblicken, den Krieg auf dem Kontinent zu
nähren und Deutschland von sich abhängig zu machen."

So zeigte sich England schon damals — in aller Heimlichkeit — als der
Todfeind des werdenden neuen Deutschland. England vor allem verhinderte
es, daß erfüllt wurde, was Preußen zu einer dauernden Sicherung forderte.
Niemand hat diese Forderungen schärfer und treffender formuliert als Arndt
und Gneisenau. Schon im Juli 1815 forderte Gneisenau „einen solchen
Zustand der Dinge, daß wir nicht stets befürchten müssen, von einem unruhigen
Nachbarvolk mit Krieg überzogen zu werden. Jeder andere Friede als ein
solcher ist Verrat an sich selbst und Selbstmord." Ja, schon vier Tage nach
Belle Alliance schrieb er an den Staatskanzler: „Die Festungen der Mosel*)
und des Rheins müssen von Frankreich abgerissen werden, nebst Lothringen,
und alles Land, dessen Flüsse sich in die Maas ergießen." Blücher, der König,
Stein, Hardenberg. Humboldt standen auf seiner Seite. Arndt aber schrieb
acht Tage nach Belle Alliance: „Das Elsaß und Lothringen und Metz und Lille,
Valenciennes und Dunkerken.... ein Dutzend französischer Festungen gesprengt
.... das fordert jeder ehrliche und gescheite deutsche Mann und das kann er
fordern." Auch „die schönen burgundischen Lande und das Binnen und
Fürstentum Lüttich nebst mehreren Reichs abteien" betrachtete er als verlorenes
deutsches Erbgut.

Die Forderungen Arndts und Gneisenaus sind noch heute — nach hundert
Jahren! — nicht erfüllt.

Einer der ersten Kenner jener Zeit sagt im Hinblick auf den zweiten Pariser
Frieden: „Der Sieg von Belle Alliance, die Verfolgung, der Sturmmarsch
auf Paris, der Übergang über die Seine, die Bezwingung der Stadt, alles
war vergeblich gewesen**)."

Und 1915?






») Also Epinal, Toul, Nancy, Metz.
**) Delbrück, Leben des Feldmarschalls Neidhart von Gneisenau. II., 3, 279.
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[0347] Belle Alliance kehrtheit nichts als das Bestreben erblicken, den Krieg auf dem Kontinent zu nähren und Deutschland von sich abhängig zu machen." So zeigte sich England schon damals — in aller Heimlichkeit — als der Todfeind des werdenden neuen Deutschland. England vor allem verhinderte es, daß erfüllt wurde, was Preußen zu einer dauernden Sicherung forderte. Niemand hat diese Forderungen schärfer und treffender formuliert als Arndt und Gneisenau. Schon im Juli 1815 forderte Gneisenau „einen solchen Zustand der Dinge, daß wir nicht stets befürchten müssen, von einem unruhigen Nachbarvolk mit Krieg überzogen zu werden. Jeder andere Friede als ein solcher ist Verrat an sich selbst und Selbstmord." Ja, schon vier Tage nach Belle Alliance schrieb er an den Staatskanzler: „Die Festungen der Mosel*) und des Rheins müssen von Frankreich abgerissen werden, nebst Lothringen, und alles Land, dessen Flüsse sich in die Maas ergießen." Blücher, der König, Stein, Hardenberg. Humboldt standen auf seiner Seite. Arndt aber schrieb acht Tage nach Belle Alliance: „Das Elsaß und Lothringen und Metz und Lille, Valenciennes und Dunkerken.... ein Dutzend französischer Festungen gesprengt .... das fordert jeder ehrliche und gescheite deutsche Mann und das kann er fordern." Auch „die schönen burgundischen Lande und das Binnen und Fürstentum Lüttich nebst mehreren Reichs abteien" betrachtete er als verlorenes deutsches Erbgut. Die Forderungen Arndts und Gneisenaus sind noch heute — nach hundert Jahren! — nicht erfüllt. Einer der ersten Kenner jener Zeit sagt im Hinblick auf den zweiten Pariser Frieden: „Der Sieg von Belle Alliance, die Verfolgung, der Sturmmarsch auf Paris, der Übergang über die Seine, die Bezwingung der Stadt, alles war vergeblich gewesen**)." Und 1915? ») Also Epinal, Toul, Nancy, Metz. **) Delbrück, Leben des Feldmarschalls Neidhart von Gneisenau. II., 3, 279.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/347>, abgerufen am 24.08.2024.