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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

kategorisch forderten, ist noch verhältnismäßig harmlos, obgleich es nur in der
Ordnung gewesen wäre, wenn hier "die ewige Gerechtigkeit" *) durch die preußischen
Feldherren vollzogen worden wäre.

Von unabsehbarer Tragweite aber wurde ein positiver Schritt Wellingtons:
in geheimem Einverständnis mit seiner Regierung führte er hinter dem Rücken
der preußischen Feldherrn zwei Tage vor dem Einzug der verbündeten Monarchen
am 8. Juli Ludwig den Achtzehnter nach Paris zurück. Hierdurch stellte er
diese vor eine vollendete Tatsache, die sie keineswegs beabsichtigt hatten, aber
nach allem Vorhergegangenen nicht mehr rückgängig machen konnten. Diese
Tatsache aber, die Wellington selbst für am geeignetsten erklärte "Europa in
den Zustand eines dauernden Friedens überzuführen", war die von Wellington
wie von seiner Regierung vorausgesehene, das heißt gewallte Ursache davon,
daß Frankreich keinerlei demütigende Friedensbedingungen, das heißt keinerlei
Landabtretungen auferlegt wurden. Ja, damals bildete sich schon im Keim
die heutige Koalition gegen uns: Englands Ränken gelang es, im Einver¬
ständnis mit Rußland, Frankreich möglichst stark, Preußen aber möglichst schwach
zu erhalten**).

England bekämpft ja immer -- 1815 wie 1915 -- die stärkste Festlands¬
macht. Wenn diese aber, wie Napoleon bei Belle Alliance, entscheidend besiegt
ist, dann widersetzt es sich ebenso hartnäckig wie heuchlerisch einer zu starken
Schwächung des bis dahin gefurchteren Gegners. Warum? Um "das
europäische Gleichgewicht" zu erhalten -- eine von England ausschließlich in
seinem Interesse erfundene Doktrin: die Festlandsmächte sollen sich gegenseitig
im Schach halten, damit England "die Freiheit der Meere" aufrecht erhalten,
das heißt die Meere beherrschen kann....

Wie Gneisenau. der nicht nur militärisch, sondern auch politisch einer der am
tiefsten blickenden Männer der Zeit ist, damals über Wellington und England
urteilte, das zeigen noch heute seine vertrauten Briefe. So schrieb er am
17. August 1815 aus Paris an Arndt: "Am schlechtesten benimmt sich
Wellington, er, der ohne uns zertrümmert worden wäre, der uns die Zusage,
zu unserer Hilfe am 16. (Juni) in Bereitschaft zu sein, nicht gehalten hat, dem
wir. uneingedenk des durch seine Schuld erlittenen Unglücks, am 18. ritterlich
zu Hilfe gekommen sind . . . ." Und von Albion selbst sagt er in dem gleichen
Briefe: "England ist in unbegreiflich schlechten Gesinnungen und mit seinem
Willen soll Frankreich kein Leid geschehen .... Wenn aber England auf der
Integrität französischen Gebiets besteht, so kann man in einer solchen Ver-




*) Ausdruck Gneisenaus betreffs Erschießung Napoleons.
**) Schon im Herbst 181S erwog daher Gneisenau allen Ernstes, ob Rußland sich mit
Frankreich gegen Preußen verbünden würde, falls Preußen allein aufs neue Frankreich be¬
kriegte, um seine Forderungen durchzusehen. (Gneisenau an Hardenberg ö. September 1316.) Daß Preußen seine Forderungen 1815 nicht durchsetzte, hat seine Ursache freilich auch
mit in dem völligen Versagen Österreichs gegenüber Preußens Wünschen. (Metternich.)
Belle Alliance

kategorisch forderten, ist noch verhältnismäßig harmlos, obgleich es nur in der
Ordnung gewesen wäre, wenn hier „die ewige Gerechtigkeit" *) durch die preußischen
Feldherren vollzogen worden wäre.

Von unabsehbarer Tragweite aber wurde ein positiver Schritt Wellingtons:
in geheimem Einverständnis mit seiner Regierung führte er hinter dem Rücken
der preußischen Feldherrn zwei Tage vor dem Einzug der verbündeten Monarchen
am 8. Juli Ludwig den Achtzehnter nach Paris zurück. Hierdurch stellte er
diese vor eine vollendete Tatsache, die sie keineswegs beabsichtigt hatten, aber
nach allem Vorhergegangenen nicht mehr rückgängig machen konnten. Diese
Tatsache aber, die Wellington selbst für am geeignetsten erklärte „Europa in
den Zustand eines dauernden Friedens überzuführen", war die von Wellington
wie von seiner Regierung vorausgesehene, das heißt gewallte Ursache davon,
daß Frankreich keinerlei demütigende Friedensbedingungen, das heißt keinerlei
Landabtretungen auferlegt wurden. Ja, damals bildete sich schon im Keim
die heutige Koalition gegen uns: Englands Ränken gelang es, im Einver¬
ständnis mit Rußland, Frankreich möglichst stark, Preußen aber möglichst schwach
zu erhalten**).

England bekämpft ja immer — 1815 wie 1915 — die stärkste Festlands¬
macht. Wenn diese aber, wie Napoleon bei Belle Alliance, entscheidend besiegt
ist, dann widersetzt es sich ebenso hartnäckig wie heuchlerisch einer zu starken
Schwächung des bis dahin gefurchteren Gegners. Warum? Um „das
europäische Gleichgewicht" zu erhalten — eine von England ausschließlich in
seinem Interesse erfundene Doktrin: die Festlandsmächte sollen sich gegenseitig
im Schach halten, damit England „die Freiheit der Meere" aufrecht erhalten,
das heißt die Meere beherrschen kann....

Wie Gneisenau. der nicht nur militärisch, sondern auch politisch einer der am
tiefsten blickenden Männer der Zeit ist, damals über Wellington und England
urteilte, das zeigen noch heute seine vertrauten Briefe. So schrieb er am
17. August 1815 aus Paris an Arndt: „Am schlechtesten benimmt sich
Wellington, er, der ohne uns zertrümmert worden wäre, der uns die Zusage,
zu unserer Hilfe am 16. (Juni) in Bereitschaft zu sein, nicht gehalten hat, dem
wir. uneingedenk des durch seine Schuld erlittenen Unglücks, am 18. ritterlich
zu Hilfe gekommen sind . . . ." Und von Albion selbst sagt er in dem gleichen
Briefe: „England ist in unbegreiflich schlechten Gesinnungen und mit seinem
Willen soll Frankreich kein Leid geschehen .... Wenn aber England auf der
Integrität französischen Gebiets besteht, so kann man in einer solchen Ver-




*) Ausdruck Gneisenaus betreffs Erschießung Napoleons.
**) Schon im Herbst 181S erwog daher Gneisenau allen Ernstes, ob Rußland sich mit
Frankreich gegen Preußen verbünden würde, falls Preußen allein aufs neue Frankreich be¬
kriegte, um seine Forderungen durchzusehen. (Gneisenau an Hardenberg ö. September 1316.) Daß Preußen seine Forderungen 1815 nicht durchsetzte, hat seine Ursache freilich auch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/346>, abgerufen am 22.07.2024.