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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

vorher geschrieben: "Es gibt in der Geschichte keine entscheidendere Schlacht als
die von Belle Alliance, entscheidend ebensowohl durch die Wirkung auf dem
Schlachtfelde selbst als durch ihre moralische Wirkung. Wäre sie verloren, was
würde aus der Koalition mit all ihren Kongreßerinnerungen?"




Ein kurzes Wort möge in diesem Zusammenhange über den Namen der
Schlacht erlaubt sein. Wellington, der sich in seinem englischen Hochmut als
Sieger betrachtete, nannte sie bekanntlich nach seinem letzten Nachtquartier
Waterloo. einem Dorf, das mehr als drei Kilometer nördlich der Kampfstätte
liegt, ein Verfahren, das keiner Widerlegung bedarf und hier nur deshalb
gegeißelt wird, weil es auch bei uns noch vielfach üblich ist, die Schlacht so
zu nennen. Wer das tut, fröhnt, ohne es zu wissen, nur englischer Anmaßung.
Als ob er diese vorausgesehen hätte, hatte Gneisenau im Hauptquartier Merbes
le Chateau schon am 20. Juni 1815 in seinem Armeebericht geschrieben: "Im
Mittelpunkt der französischen Stellung, ganz auf der Höhe, liegt eine Meierei,
la Belle Alliance genannt; wie ein Fanat ist sie ringsum sichtbar; dorthin war
der Marsch aller preußischen Kolonnen gerichtet. Auf dieser Stelle befand sich
Napoleon während der Schlacht; von hier aus gab er seine Befehle; von hier
aus wollte er den Sieg erringen, und hier entschied sich seine Niederlage; hier
endlich trafen in der Dunkelheit durch die anmutige Gunst des Zufalls der
Feldmarschall und Lord Wellington zusammen und begrüßten sich gegenseitig
als Sieger."

Dann aber fährt er fort: "Zum Andenken des zwischen der britischen
und preußischen Nation jetzt bestehenden, von der Natur schon gebotenen Bünd¬
nisses, der Vereinigung der beiden Armeen und der wechselseitigen Zutraulichkeit
der beiden Feldherren, befahl der Feldmarschall, daß die Schlacht von Belle
Alliance genannt werden sollte."




So hohe Gesinnung diese Worte des wunderbaren Mannes bezeugen --
sie waren schon in wenigen Wochen blutige Ironie! Schon am 2. August
schrieb derselbe Gneisenau aus Paris an die Gräfin Voß: "Unser Feldzug ist
der angenehmste, der vielleicht je gemacht worden ist. Schwierige Lage ohne
unsere Schuld, Rettung daraus durch Kühnheit, ein glänzender Erfolg, ein Ver¬
folgen einer Treibjagd ähnlich, ein abscheuliches System durch einen Schlag
zermalmt, ein verwegener Tyrann gestürzt, die feindliche Hauptstadt zu unseren
Füßen." Dann aber fährt er fort: "Dieser köstliche Trank hat aber einen
bitteren Nachgeschmack. Wir müssen dessen Hefe ebenfalls trinken. . . ."

England, zumal Wellington, ist es vor allem, der diesem köstlichen Trank
den bitteren Nachgeschmack gab. Daß er sich der Sprengung der "Jena-
Brücke" wie der Erschießung Napoleons widersetzte, die Blücher und Gneisenau


Belle Alliance

vorher geschrieben: „Es gibt in der Geschichte keine entscheidendere Schlacht als
die von Belle Alliance, entscheidend ebensowohl durch die Wirkung auf dem
Schlachtfelde selbst als durch ihre moralische Wirkung. Wäre sie verloren, was
würde aus der Koalition mit all ihren Kongreßerinnerungen?"




Ein kurzes Wort möge in diesem Zusammenhange über den Namen der
Schlacht erlaubt sein. Wellington, der sich in seinem englischen Hochmut als
Sieger betrachtete, nannte sie bekanntlich nach seinem letzten Nachtquartier
Waterloo. einem Dorf, das mehr als drei Kilometer nördlich der Kampfstätte
liegt, ein Verfahren, das keiner Widerlegung bedarf und hier nur deshalb
gegeißelt wird, weil es auch bei uns noch vielfach üblich ist, die Schlacht so
zu nennen. Wer das tut, fröhnt, ohne es zu wissen, nur englischer Anmaßung.
Als ob er diese vorausgesehen hätte, hatte Gneisenau im Hauptquartier Merbes
le Chateau schon am 20. Juni 1815 in seinem Armeebericht geschrieben: „Im
Mittelpunkt der französischen Stellung, ganz auf der Höhe, liegt eine Meierei,
la Belle Alliance genannt; wie ein Fanat ist sie ringsum sichtbar; dorthin war
der Marsch aller preußischen Kolonnen gerichtet. Auf dieser Stelle befand sich
Napoleon während der Schlacht; von hier aus gab er seine Befehle; von hier
aus wollte er den Sieg erringen, und hier entschied sich seine Niederlage; hier
endlich trafen in der Dunkelheit durch die anmutige Gunst des Zufalls der
Feldmarschall und Lord Wellington zusammen und begrüßten sich gegenseitig
als Sieger."

Dann aber fährt er fort: „Zum Andenken des zwischen der britischen
und preußischen Nation jetzt bestehenden, von der Natur schon gebotenen Bünd¬
nisses, der Vereinigung der beiden Armeen und der wechselseitigen Zutraulichkeit
der beiden Feldherren, befahl der Feldmarschall, daß die Schlacht von Belle
Alliance genannt werden sollte."




So hohe Gesinnung diese Worte des wunderbaren Mannes bezeugen —
sie waren schon in wenigen Wochen blutige Ironie! Schon am 2. August
schrieb derselbe Gneisenau aus Paris an die Gräfin Voß: „Unser Feldzug ist
der angenehmste, der vielleicht je gemacht worden ist. Schwierige Lage ohne
unsere Schuld, Rettung daraus durch Kühnheit, ein glänzender Erfolg, ein Ver¬
folgen einer Treibjagd ähnlich, ein abscheuliches System durch einen Schlag
zermalmt, ein verwegener Tyrann gestürzt, die feindliche Hauptstadt zu unseren
Füßen." Dann aber fährt er fort: „Dieser köstliche Trank hat aber einen
bitteren Nachgeschmack. Wir müssen dessen Hefe ebenfalls trinken. . . ."

England, zumal Wellington, ist es vor allem, der diesem köstlichen Trank
den bitteren Nachgeschmack gab. Daß er sich der Sprengung der „Jena-
Brücke" wie der Erschießung Napoleons widersetzte, die Blücher und Gneisenau


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[0345] Belle Alliance vorher geschrieben: „Es gibt in der Geschichte keine entscheidendere Schlacht als die von Belle Alliance, entscheidend ebensowohl durch die Wirkung auf dem Schlachtfelde selbst als durch ihre moralische Wirkung. Wäre sie verloren, was würde aus der Koalition mit all ihren Kongreßerinnerungen?" Ein kurzes Wort möge in diesem Zusammenhange über den Namen der Schlacht erlaubt sein. Wellington, der sich in seinem englischen Hochmut als Sieger betrachtete, nannte sie bekanntlich nach seinem letzten Nachtquartier Waterloo. einem Dorf, das mehr als drei Kilometer nördlich der Kampfstätte liegt, ein Verfahren, das keiner Widerlegung bedarf und hier nur deshalb gegeißelt wird, weil es auch bei uns noch vielfach üblich ist, die Schlacht so zu nennen. Wer das tut, fröhnt, ohne es zu wissen, nur englischer Anmaßung. Als ob er diese vorausgesehen hätte, hatte Gneisenau im Hauptquartier Merbes le Chateau schon am 20. Juni 1815 in seinem Armeebericht geschrieben: „Im Mittelpunkt der französischen Stellung, ganz auf der Höhe, liegt eine Meierei, la Belle Alliance genannt; wie ein Fanat ist sie ringsum sichtbar; dorthin war der Marsch aller preußischen Kolonnen gerichtet. Auf dieser Stelle befand sich Napoleon während der Schlacht; von hier aus gab er seine Befehle; von hier aus wollte er den Sieg erringen, und hier entschied sich seine Niederlage; hier endlich trafen in der Dunkelheit durch die anmutige Gunst des Zufalls der Feldmarschall und Lord Wellington zusammen und begrüßten sich gegenseitig als Sieger." Dann aber fährt er fort: „Zum Andenken des zwischen der britischen und preußischen Nation jetzt bestehenden, von der Natur schon gebotenen Bünd¬ nisses, der Vereinigung der beiden Armeen und der wechselseitigen Zutraulichkeit der beiden Feldherren, befahl der Feldmarschall, daß die Schlacht von Belle Alliance genannt werden sollte." So hohe Gesinnung diese Worte des wunderbaren Mannes bezeugen — sie waren schon in wenigen Wochen blutige Ironie! Schon am 2. August schrieb derselbe Gneisenau aus Paris an die Gräfin Voß: „Unser Feldzug ist der angenehmste, der vielleicht je gemacht worden ist. Schwierige Lage ohne unsere Schuld, Rettung daraus durch Kühnheit, ein glänzender Erfolg, ein Ver¬ folgen einer Treibjagd ähnlich, ein abscheuliches System durch einen Schlag zermalmt, ein verwegener Tyrann gestürzt, die feindliche Hauptstadt zu unseren Füßen." Dann aber fährt er fort: „Dieser köstliche Trank hat aber einen bitteren Nachgeschmack. Wir müssen dessen Hefe ebenfalls trinken. . . ." England, zumal Wellington, ist es vor allem, der diesem köstlichen Trank den bitteren Nachgeschmack gab. Daß er sich der Sprengung der „Jena- Brücke" wie der Erschießung Napoleons widersetzte, die Blücher und Gneisenau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/345>, abgerufen am 28.09.2024.