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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Jugendpflege

auch noch schwerwiegende praktische Bedenken entgegen. Es würde in ihr eine
neue, selbständige Organisation geschaffen, die aufs Neue einen Teil der Zeit und
Kraft der Jugend in Anspruch nehmen würde. Die Leidtragenden würden dabei
zwar nicht die Jugendlichen selber sein, sondern die Arbeitgeber der Jugend einer¬
seits und die Schule, namentlich die höhere Schule, anderseits. Wir wissen, unter
welchen Schwierigkeiten und tatsächlichen Opfern der Arbeitgeber die Einführung
des Fortbildungsschulzwanges möglich war. Die Durchführung der selbständigen
obligatorischen Jugendwehr würde neue und größere Zugeständnisse an Freizeit
vom Arbeitgeber erfordern. Was endlich die Schule, namentlich die höhere,
angeht, so befindet sie sich schon heute den vielen Jugendpflegeorganisationen
gegenüber deshalb in einer sehr schwierigen Stellung, weil alle diese Bestrebungen
neben der Schule hergehen und ihr die Jugend aus der Hand nehmen, ohne
daß es der Schule bisher gelungen wäre, den richtigen Anschluß an diese
Bestrebungen zu gewinnen. Schon heute spielt sich der größte Teil der
erzieherischen Einwirkung auf die Jugend neben der Schule ab, und die Schuld
daran liegt nicht bloß auf feiten der Schule. Wenn nun die Organisation
der Erziehung zur Wehrtüchtigkeit selbständig neben die Schule tritt, so wird
jener unerwünschte Zustand noch verschlimmert. Man müßte anstelle dessen
wünschen, daß gerade der Schule ein Feld eröffnet würde, auf dem sie wieder in
höherem Maße zu erzieherischen Einfluß auf die Jugend gelangten könnte.

Alle diese berechtigten Ansprüche finden eine genügende Berücksichtigung,
wenn man die Erziehung zur Wehrtüchtigkeit an die Schulen selbst angliedert,
und zwar an die Volks-, Fortbildungs-, Mittel- und höheren Schulen in gleicher
Weise. Und auch die praktischen Organisationsschwierigkeiten würden dann auf
ein geringes Maß zurücksinken. Es ist in diesem Falle eigentlich nur ein
zweckentsprechender Ausbau des Turnunterrichts vonnöten. Dieser Ausbau hätte
zu erfolgen nach den Grundsätzen, die von der Regierung in den "Richtlinien
für die militärische Vorbildung der älteren Jugendabtetlungen während des
Kriegszustandes" aufgestellt worden sind. Ein großer Teil der darin angegebenen
Ziele ließe sich schon in den gewöhnlichen Turnstunden erreichen. Dazu müßten
dann aber kleinere und größere Geländeübungen treten. Diese könnten auf
halb- und ganztägigen Wanderungen stattfinden, wie sie auch jetzt schon an
den Schulen üblich waren. Diese Wanderungen wüßten jetzt aber öfter, plan¬
mäßig und allgemeinverbindlich stattfinden. Die Einbuße an Unterrichtszeit,
die dabei eventuell unvermeidlich werden könnte, wird durch den erzielten
Gewinn an körperlicher und geistiger Frische bei der Jugend wieder wettgemacht
werden.

Jedoch wäre es von erzieherischen und praktischen Gesichtspunkten aus
gleich wichtig, daß die Form der Jugendkompagnie beibehalten und daß den
Jugendkompagnien innerhalb des Rahmens der Schule eine gewisse Selbst-
ständigkeit gewährt würde. Diese Form erleichtert der Jugend die Selbsttätigkeit,
die Mitwirkung bei Ausbau und Leitung der Einrichtungen, auf deren er"


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Die Zukunft der Jugendpflege

auch noch schwerwiegende praktische Bedenken entgegen. Es würde in ihr eine
neue, selbständige Organisation geschaffen, die aufs Neue einen Teil der Zeit und
Kraft der Jugend in Anspruch nehmen würde. Die Leidtragenden würden dabei
zwar nicht die Jugendlichen selber sein, sondern die Arbeitgeber der Jugend einer¬
seits und die Schule, namentlich die höhere Schule, anderseits. Wir wissen, unter
welchen Schwierigkeiten und tatsächlichen Opfern der Arbeitgeber die Einführung
des Fortbildungsschulzwanges möglich war. Die Durchführung der selbständigen
obligatorischen Jugendwehr würde neue und größere Zugeständnisse an Freizeit
vom Arbeitgeber erfordern. Was endlich die Schule, namentlich die höhere,
angeht, so befindet sie sich schon heute den vielen Jugendpflegeorganisationen
gegenüber deshalb in einer sehr schwierigen Stellung, weil alle diese Bestrebungen
neben der Schule hergehen und ihr die Jugend aus der Hand nehmen, ohne
daß es der Schule bisher gelungen wäre, den richtigen Anschluß an diese
Bestrebungen zu gewinnen. Schon heute spielt sich der größte Teil der
erzieherischen Einwirkung auf die Jugend neben der Schule ab, und die Schuld
daran liegt nicht bloß auf feiten der Schule. Wenn nun die Organisation
der Erziehung zur Wehrtüchtigkeit selbständig neben die Schule tritt, so wird
jener unerwünschte Zustand noch verschlimmert. Man müßte anstelle dessen
wünschen, daß gerade der Schule ein Feld eröffnet würde, auf dem sie wieder in
höherem Maße zu erzieherischen Einfluß auf die Jugend gelangten könnte.

Alle diese berechtigten Ansprüche finden eine genügende Berücksichtigung,
wenn man die Erziehung zur Wehrtüchtigkeit an die Schulen selbst angliedert,
und zwar an die Volks-, Fortbildungs-, Mittel- und höheren Schulen in gleicher
Weise. Und auch die praktischen Organisationsschwierigkeiten würden dann auf
ein geringes Maß zurücksinken. Es ist in diesem Falle eigentlich nur ein
zweckentsprechender Ausbau des Turnunterrichts vonnöten. Dieser Ausbau hätte
zu erfolgen nach den Grundsätzen, die von der Regierung in den „Richtlinien
für die militärische Vorbildung der älteren Jugendabtetlungen während des
Kriegszustandes" aufgestellt worden sind. Ein großer Teil der darin angegebenen
Ziele ließe sich schon in den gewöhnlichen Turnstunden erreichen. Dazu müßten
dann aber kleinere und größere Geländeübungen treten. Diese könnten auf
halb- und ganztägigen Wanderungen stattfinden, wie sie auch jetzt schon an
den Schulen üblich waren. Diese Wanderungen wüßten jetzt aber öfter, plan¬
mäßig und allgemeinverbindlich stattfinden. Die Einbuße an Unterrichtszeit,
die dabei eventuell unvermeidlich werden könnte, wird durch den erzielten
Gewinn an körperlicher und geistiger Frische bei der Jugend wieder wettgemacht
werden.

Jedoch wäre es von erzieherischen und praktischen Gesichtspunkten aus
gleich wichtig, daß die Form der Jugendkompagnie beibehalten und daß den
Jugendkompagnien innerhalb des Rahmens der Schule eine gewisse Selbst-
ständigkeit gewährt würde. Diese Form erleichtert der Jugend die Selbsttätigkeit,
die Mitwirkung bei Ausbau und Leitung der Einrichtungen, auf deren er»


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[0319] Die Zukunft der Jugendpflege auch noch schwerwiegende praktische Bedenken entgegen. Es würde in ihr eine neue, selbständige Organisation geschaffen, die aufs Neue einen Teil der Zeit und Kraft der Jugend in Anspruch nehmen würde. Die Leidtragenden würden dabei zwar nicht die Jugendlichen selber sein, sondern die Arbeitgeber der Jugend einer¬ seits und die Schule, namentlich die höhere Schule, anderseits. Wir wissen, unter welchen Schwierigkeiten und tatsächlichen Opfern der Arbeitgeber die Einführung des Fortbildungsschulzwanges möglich war. Die Durchführung der selbständigen obligatorischen Jugendwehr würde neue und größere Zugeständnisse an Freizeit vom Arbeitgeber erfordern. Was endlich die Schule, namentlich die höhere, angeht, so befindet sie sich schon heute den vielen Jugendpflegeorganisationen gegenüber deshalb in einer sehr schwierigen Stellung, weil alle diese Bestrebungen neben der Schule hergehen und ihr die Jugend aus der Hand nehmen, ohne daß es der Schule bisher gelungen wäre, den richtigen Anschluß an diese Bestrebungen zu gewinnen. Schon heute spielt sich der größte Teil der erzieherischen Einwirkung auf die Jugend neben der Schule ab, und die Schuld daran liegt nicht bloß auf feiten der Schule. Wenn nun die Organisation der Erziehung zur Wehrtüchtigkeit selbständig neben die Schule tritt, so wird jener unerwünschte Zustand noch verschlimmert. Man müßte anstelle dessen wünschen, daß gerade der Schule ein Feld eröffnet würde, auf dem sie wieder in höherem Maße zu erzieherischen Einfluß auf die Jugend gelangten könnte. Alle diese berechtigten Ansprüche finden eine genügende Berücksichtigung, wenn man die Erziehung zur Wehrtüchtigkeit an die Schulen selbst angliedert, und zwar an die Volks-, Fortbildungs-, Mittel- und höheren Schulen in gleicher Weise. Und auch die praktischen Organisationsschwierigkeiten würden dann auf ein geringes Maß zurücksinken. Es ist in diesem Falle eigentlich nur ein zweckentsprechender Ausbau des Turnunterrichts vonnöten. Dieser Ausbau hätte zu erfolgen nach den Grundsätzen, die von der Regierung in den „Richtlinien für die militärische Vorbildung der älteren Jugendabtetlungen während des Kriegszustandes" aufgestellt worden sind. Ein großer Teil der darin angegebenen Ziele ließe sich schon in den gewöhnlichen Turnstunden erreichen. Dazu müßten dann aber kleinere und größere Geländeübungen treten. Diese könnten auf halb- und ganztägigen Wanderungen stattfinden, wie sie auch jetzt schon an den Schulen üblich waren. Diese Wanderungen wüßten jetzt aber öfter, plan¬ mäßig und allgemeinverbindlich stattfinden. Die Einbuße an Unterrichtszeit, die dabei eventuell unvermeidlich werden könnte, wird durch den erzielten Gewinn an körperlicher und geistiger Frische bei der Jugend wieder wettgemacht werden. Jedoch wäre es von erzieherischen und praktischen Gesichtspunkten aus gleich wichtig, daß die Form der Jugendkompagnie beibehalten und daß den Jugendkompagnien innerhalb des Rahmens der Schule eine gewisse Selbst- ständigkeit gewährt würde. Diese Form erleichtert der Jugend die Selbsttätigkeit, die Mitwirkung bei Ausbau und Leitung der Einrichtungen, auf deren er» 20'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/319>, abgerufen am 22.07.2024.