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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Staatenbund von Nordeuropa

haben die südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien und Chile einen
Vertrag zur gütlichen Erledigung von Streitigkeiten geschloffen, die etwa zwischen
ihnen ausbrechen könnten. Danach ist jeder Streitfall, der weder auf diplo¬
matischem Wege, noch schiedsgerichtlich zu erledigen ist, vor einen ständigen
Bundesausschuß zu bringen. Der Bundesausschuß hat seineu Sitz in Montevideo.
Er hat auf Anruf auch nur einer der drei Regierungen in Tätigkeit zu treten.
Damit ist eine neue Jnteressenvereinigung zwischen drei Reichen geschaffen, die
zusammen ein Gebiet von zwölf Millionen Quadratkilometern mit vierundzwanzig
Millionen Einwohnern umfassen -- mehr als die Hälfte von ganz Südamerika.
Während der europäische Boden vom Blute dampft, während die europäische
Diplomatie sich außerstande erwies, furchtbares Unheil zu verhüten, zeigen sich
in der neuen Welt kluge und entschlossene Männer bemüht, ihren Ländern und
damit auch den benachbarten Ländern die Segnungen des Friedens zu sichern.
Die hohe Bedeutung des Bündnisses, das unter dem Eindruck welterschütternder
Ereignisse geschlossen wurde, springt in die Augen. Man kann schwerlich etwas
anderes darin erblicken, als den Ansatz und die Grundlage für eine bedeutungsvolle
Schöpfung, für den Bund der Vereinigten Staaten von Südamerika!

Schreitet die Vergesellschaftung der Staaten hiernach erfreulicherweise
unaufhaltsam fort, so erscheint es für die alleinstehenden Staaten in noch
höherem Grade, als bisher, angezeigt, zu untersuchen, ob es in ihrem wohl¬
verstandenen Interesse liegt, auf die Vorteile zu verzichten, die eine Staaten¬
organisation mit sich bringt. Unverkennbar find die Schwierigkeiten groß, die
sich dem Plan eines Staatenbundes von Nordeuropa entgegenstellen. Schwierig¬
keiten ähnlicher Natur waren aber auch bei der Begründung der übrigen
Staatenverbindungen zu überwinden, wie die amerikanische, die schweizerische
und die deutsche Geschichte lehrt. Gleichgültigkeit, Engherzigkeit, Eifersucht und
Mangel an weitem Blick haben diesen Bestrebungen, wie anderen, lange Jahre
hindurch Hindernisse bereitet. Doch haben sich alle Fortschritte der Menschheit
nur allmählich vollzogen. Und es läßt sich nicht verkennen, daß die Errichtung
eines auf freier Vereinbarung beruhenden Staatenbundes, der unter Berück¬
sichtigung des Kolonialbesitzes ein gewaltiges Gebiet umfaßt, die gründliche
Prüfung seiner Zweckmäßigkeit, seiner Ziele und Bedingungen erforderlich macht.

Die belgische Frage ist hier nicht näher zu erörtern. Nur soviel sei
bemerkt, daß ein Schutz- und Trutzbündnis mit Belgien unbedingt durch eine
straffe Militärkonvention gewährleistet werden müßte, wenn der Zweck einer
!lug-schonenden Behandlung des Besiegten mit den Lebensinteressen des Siegers
in Einklang gebracht werden soll. Damit wäre freilich dann auch der erste
Schritt zur Begründung des Staatenbundes getan. Auf anderer Grundlage
wäre eine Verständigung mit den übrigen, tatsächlich neutralen und befreundeten
Staaten anzustreben. Daß ihre Machtverhältnisse in vezug auf Lage, Flächen¬
raum, Bevölkerungszahl und wirtschaftliche Entwicklung sehr verschieden find,
fällt sicherlich ins Gewicht und erfordert eingehende Berücksichtigung. Doch


Staatenbund von Nordeuropa

haben die südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien und Chile einen
Vertrag zur gütlichen Erledigung von Streitigkeiten geschloffen, die etwa zwischen
ihnen ausbrechen könnten. Danach ist jeder Streitfall, der weder auf diplo¬
matischem Wege, noch schiedsgerichtlich zu erledigen ist, vor einen ständigen
Bundesausschuß zu bringen. Der Bundesausschuß hat seineu Sitz in Montevideo.
Er hat auf Anruf auch nur einer der drei Regierungen in Tätigkeit zu treten.
Damit ist eine neue Jnteressenvereinigung zwischen drei Reichen geschaffen, die
zusammen ein Gebiet von zwölf Millionen Quadratkilometern mit vierundzwanzig
Millionen Einwohnern umfassen — mehr als die Hälfte von ganz Südamerika.
Während der europäische Boden vom Blute dampft, während die europäische
Diplomatie sich außerstande erwies, furchtbares Unheil zu verhüten, zeigen sich
in der neuen Welt kluge und entschlossene Männer bemüht, ihren Ländern und
damit auch den benachbarten Ländern die Segnungen des Friedens zu sichern.
Die hohe Bedeutung des Bündnisses, das unter dem Eindruck welterschütternder
Ereignisse geschlossen wurde, springt in die Augen. Man kann schwerlich etwas
anderes darin erblicken, als den Ansatz und die Grundlage für eine bedeutungsvolle
Schöpfung, für den Bund der Vereinigten Staaten von Südamerika!

Schreitet die Vergesellschaftung der Staaten hiernach erfreulicherweise
unaufhaltsam fort, so erscheint es für die alleinstehenden Staaten in noch
höherem Grade, als bisher, angezeigt, zu untersuchen, ob es in ihrem wohl¬
verstandenen Interesse liegt, auf die Vorteile zu verzichten, die eine Staaten¬
organisation mit sich bringt. Unverkennbar find die Schwierigkeiten groß, die
sich dem Plan eines Staatenbundes von Nordeuropa entgegenstellen. Schwierig¬
keiten ähnlicher Natur waren aber auch bei der Begründung der übrigen
Staatenverbindungen zu überwinden, wie die amerikanische, die schweizerische
und die deutsche Geschichte lehrt. Gleichgültigkeit, Engherzigkeit, Eifersucht und
Mangel an weitem Blick haben diesen Bestrebungen, wie anderen, lange Jahre
hindurch Hindernisse bereitet. Doch haben sich alle Fortschritte der Menschheit
nur allmählich vollzogen. Und es läßt sich nicht verkennen, daß die Errichtung
eines auf freier Vereinbarung beruhenden Staatenbundes, der unter Berück¬
sichtigung des Kolonialbesitzes ein gewaltiges Gebiet umfaßt, die gründliche
Prüfung seiner Zweckmäßigkeit, seiner Ziele und Bedingungen erforderlich macht.

Die belgische Frage ist hier nicht näher zu erörtern. Nur soviel sei
bemerkt, daß ein Schutz- und Trutzbündnis mit Belgien unbedingt durch eine
straffe Militärkonvention gewährleistet werden müßte, wenn der Zweck einer
!lug-schonenden Behandlung des Besiegten mit den Lebensinteressen des Siegers
in Einklang gebracht werden soll. Damit wäre freilich dann auch der erste
Schritt zur Begründung des Staatenbundes getan. Auf anderer Grundlage
wäre eine Verständigung mit den übrigen, tatsächlich neutralen und befreundeten
Staaten anzustreben. Daß ihre Machtverhältnisse in vezug auf Lage, Flächen¬
raum, Bevölkerungszahl und wirtschaftliche Entwicklung sehr verschieden find,
fällt sicherlich ins Gewicht und erfordert eingehende Berücksichtigung. Doch


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[0308] Staatenbund von Nordeuropa haben die südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien und Chile einen Vertrag zur gütlichen Erledigung von Streitigkeiten geschloffen, die etwa zwischen ihnen ausbrechen könnten. Danach ist jeder Streitfall, der weder auf diplo¬ matischem Wege, noch schiedsgerichtlich zu erledigen ist, vor einen ständigen Bundesausschuß zu bringen. Der Bundesausschuß hat seineu Sitz in Montevideo. Er hat auf Anruf auch nur einer der drei Regierungen in Tätigkeit zu treten. Damit ist eine neue Jnteressenvereinigung zwischen drei Reichen geschaffen, die zusammen ein Gebiet von zwölf Millionen Quadratkilometern mit vierundzwanzig Millionen Einwohnern umfassen — mehr als die Hälfte von ganz Südamerika. Während der europäische Boden vom Blute dampft, während die europäische Diplomatie sich außerstande erwies, furchtbares Unheil zu verhüten, zeigen sich in der neuen Welt kluge und entschlossene Männer bemüht, ihren Ländern und damit auch den benachbarten Ländern die Segnungen des Friedens zu sichern. Die hohe Bedeutung des Bündnisses, das unter dem Eindruck welterschütternder Ereignisse geschlossen wurde, springt in die Augen. Man kann schwerlich etwas anderes darin erblicken, als den Ansatz und die Grundlage für eine bedeutungsvolle Schöpfung, für den Bund der Vereinigten Staaten von Südamerika! Schreitet die Vergesellschaftung der Staaten hiernach erfreulicherweise unaufhaltsam fort, so erscheint es für die alleinstehenden Staaten in noch höherem Grade, als bisher, angezeigt, zu untersuchen, ob es in ihrem wohl¬ verstandenen Interesse liegt, auf die Vorteile zu verzichten, die eine Staaten¬ organisation mit sich bringt. Unverkennbar find die Schwierigkeiten groß, die sich dem Plan eines Staatenbundes von Nordeuropa entgegenstellen. Schwierig¬ keiten ähnlicher Natur waren aber auch bei der Begründung der übrigen Staatenverbindungen zu überwinden, wie die amerikanische, die schweizerische und die deutsche Geschichte lehrt. Gleichgültigkeit, Engherzigkeit, Eifersucht und Mangel an weitem Blick haben diesen Bestrebungen, wie anderen, lange Jahre hindurch Hindernisse bereitet. Doch haben sich alle Fortschritte der Menschheit nur allmählich vollzogen. Und es läßt sich nicht verkennen, daß die Errichtung eines auf freier Vereinbarung beruhenden Staatenbundes, der unter Berück¬ sichtigung des Kolonialbesitzes ein gewaltiges Gebiet umfaßt, die gründliche Prüfung seiner Zweckmäßigkeit, seiner Ziele und Bedingungen erforderlich macht. Die belgische Frage ist hier nicht näher zu erörtern. Nur soviel sei bemerkt, daß ein Schutz- und Trutzbündnis mit Belgien unbedingt durch eine straffe Militärkonvention gewährleistet werden müßte, wenn der Zweck einer !lug-schonenden Behandlung des Besiegten mit den Lebensinteressen des Siegers in Einklang gebracht werden soll. Damit wäre freilich dann auch der erste Schritt zur Begründung des Staatenbundes getan. Auf anderer Grundlage wäre eine Verständigung mit den übrigen, tatsächlich neutralen und befreundeten Staaten anzustreben. Daß ihre Machtverhältnisse in vezug auf Lage, Flächen¬ raum, Bevölkerungszahl und wirtschaftliche Entwicklung sehr verschieden find, fällt sicherlich ins Gewicht und erfordert eingehende Berücksichtigung. Doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/308>, abgerufen am 22.07.2024.