Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2, Zum ;?^s

Königsberg sich grüßen" (Heyck). So ward, wie eine Zeitung jener Tage
rühmend schreibt, das Fest zu einem "Silberblick deutscher Geschichte" und zu
einem "Blütendurchbruch unserer Zeit", und mit Recht gedenkt die Burschen¬
schaftsverfassung von 1818 jener "heiligen Tage, die jedem, der es redlich mit
dem Vaterlande meinte, eine helle Morgenröte des Tages sein müssen, der da
kommen sollte".

Aber nicht das, was die Burschenschaft im Rittersaale der Wartburg und
am lodernden Feuer des Wartenberges verkündete, war das entwicklungs¬
geschichtlich Bedeutungsvollste an der Tagung. Sie bot in dieser Hinficht nicht
mehr, als die edelsten Geisteskämpfer in der Zeit der Freiheitskriege ersonnen
und gedacht hatten; aber die von edler Leidenschaft durchglühte Kraft, mit der
sie jene Gedanken kundgab, rückte sie in den Mittelpunkt des allgemeinen
Interesses: durch sie wurde die Idee der nationalen Einheit erst zu einem
allgemeinen Zukunftsprogramm, dem die breite Öffentlichkeit lauschte. Und
dieser Heroldsruf, den sie von der Lutherburg herab erklingen ließ und in dem
die tiefgefühlte nationale Sehnsucht einen elementaren Ausdruck fand, war
zugleich eine schmetternde Fanfare, mit der das emporstrebende jüngere Geschlecht
dem alten politischen System entschiedene Fehde ansagte. Auch ohne das Ein¬
greifen der Reaktion hätte somit die Wartburgversammlung einen Markstein in
der nationalen Entwicklung bedeutet; durch die Stellungnahme der feindlichen
Mächte ward ihre Bedeutung aber noch erhöht; und die kommende Zeit bewies
die Wahrheit der prophetischen Worte, welche der Jenaer Professor Kieser in
seiner damals gedruckten Verteidigungsschrift aussprach: "Was sie (das heißt
die Wartburgversammlung) in ihren unabsehbaren Folgen für Deutschlands
Jugend noch werden mag, ist sie nur durch den Gegenkampf geworden, den
sie mit der Schlechtigkeit des Lebens hat führen müssen. Mit Riesenschritten
hat sie Ideen entwickelt, die damals nur als dunkle Ahndungen dem jugend¬
lichen Geiste vorschwebten, und durch die siegende Geistesgewalt, mit welcher
sie sich über alle Anfeindungen triumphierend erhalten hat, hat sie statt der
ursprünglichen Bedeutung einer höchst unschuldigen, rein gemütlichen und
andächtig-frommen Zusammenkunft jetzt die Bedeutung eines politischen Festes
gewonnen, welches in seinem dunklen Schoße fruchtbare, auf Jahrhunderte
wirkende Keime enthalten kann." Und tatsächlich eröffnete die Tagung auf
der Wartburg, die man mit Fug und Recht wegen ihres interterritorialen
Charakters als das "erste deutsche Nationalfest" bezeichnen kann, eine lange
Reihe ähnlicher Feste -- alle bestimmt, den völkischen Einheitsgedanken lebendig
zu erhalten und die unerfüllte nationale Sehnsucht zum Ausdruck zu bringen.
Als eine Nachwirkung der burschenschaftlichen Tätigkeit und als Beweis von
der Größe ihres Einflusses auf das gesamte Volk darf man es betrachten, daß
ihre Farben schwarz - rot - gold jene Trikolore bildeten, "die durch ein halbes
Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die soviel Hoffnungen
und soviel Tränen, soviel edle Gedanken und soviel Sünden über Deutschland


Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2, Zum ;?^s

Königsberg sich grüßen" (Heyck). So ward, wie eine Zeitung jener Tage
rühmend schreibt, das Fest zu einem „Silberblick deutscher Geschichte" und zu
einem „Blütendurchbruch unserer Zeit", und mit Recht gedenkt die Burschen¬
schaftsverfassung von 1818 jener „heiligen Tage, die jedem, der es redlich mit
dem Vaterlande meinte, eine helle Morgenröte des Tages sein müssen, der da
kommen sollte".

Aber nicht das, was die Burschenschaft im Rittersaale der Wartburg und
am lodernden Feuer des Wartenberges verkündete, war das entwicklungs¬
geschichtlich Bedeutungsvollste an der Tagung. Sie bot in dieser Hinficht nicht
mehr, als die edelsten Geisteskämpfer in der Zeit der Freiheitskriege ersonnen
und gedacht hatten; aber die von edler Leidenschaft durchglühte Kraft, mit der
sie jene Gedanken kundgab, rückte sie in den Mittelpunkt des allgemeinen
Interesses: durch sie wurde die Idee der nationalen Einheit erst zu einem
allgemeinen Zukunftsprogramm, dem die breite Öffentlichkeit lauschte. Und
dieser Heroldsruf, den sie von der Lutherburg herab erklingen ließ und in dem
die tiefgefühlte nationale Sehnsucht einen elementaren Ausdruck fand, war
zugleich eine schmetternde Fanfare, mit der das emporstrebende jüngere Geschlecht
dem alten politischen System entschiedene Fehde ansagte. Auch ohne das Ein¬
greifen der Reaktion hätte somit die Wartburgversammlung einen Markstein in
der nationalen Entwicklung bedeutet; durch die Stellungnahme der feindlichen
Mächte ward ihre Bedeutung aber noch erhöht; und die kommende Zeit bewies
die Wahrheit der prophetischen Worte, welche der Jenaer Professor Kieser in
seiner damals gedruckten Verteidigungsschrift aussprach: „Was sie (das heißt
die Wartburgversammlung) in ihren unabsehbaren Folgen für Deutschlands
Jugend noch werden mag, ist sie nur durch den Gegenkampf geworden, den
sie mit der Schlechtigkeit des Lebens hat führen müssen. Mit Riesenschritten
hat sie Ideen entwickelt, die damals nur als dunkle Ahndungen dem jugend¬
lichen Geiste vorschwebten, und durch die siegende Geistesgewalt, mit welcher
sie sich über alle Anfeindungen triumphierend erhalten hat, hat sie statt der
ursprünglichen Bedeutung einer höchst unschuldigen, rein gemütlichen und
andächtig-frommen Zusammenkunft jetzt die Bedeutung eines politischen Festes
gewonnen, welches in seinem dunklen Schoße fruchtbare, auf Jahrhunderte
wirkende Keime enthalten kann." Und tatsächlich eröffnete die Tagung auf
der Wartburg, die man mit Fug und Recht wegen ihres interterritorialen
Charakters als das „erste deutsche Nationalfest" bezeichnen kann, eine lange
Reihe ähnlicher Feste — alle bestimmt, den völkischen Einheitsgedanken lebendig
zu erhalten und die unerfüllte nationale Sehnsucht zum Ausdruck zu bringen.
Als eine Nachwirkung der burschenschaftlichen Tätigkeit und als Beweis von
der Größe ihres Einflusses auf das gesamte Volk darf man es betrachten, daß
ihre Farben schwarz - rot - gold jene Trikolore bildeten, „die durch ein halbes
Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die soviel Hoffnungen
und soviel Tränen, soviel edle Gedanken und soviel Sünden über Deutschland


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323843"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2, Zum ;?^s</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008"> Königsberg sich grüßen" (Heyck). So ward, wie eine Zeitung jener Tage<lb/>
rühmend schreibt, das Fest zu einem &#x201E;Silberblick deutscher Geschichte" und zu<lb/>
einem &#x201E;Blütendurchbruch unserer Zeit", und mit Recht gedenkt die Burschen¬<lb/>
schaftsverfassung von 1818 jener &#x201E;heiligen Tage, die jedem, der es redlich mit<lb/>
dem Vaterlande meinte, eine helle Morgenröte des Tages sein müssen, der da<lb/>
kommen sollte".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010" next="#ID_1011"> Aber nicht das, was die Burschenschaft im Rittersaale der Wartburg und<lb/>
am lodernden Feuer des Wartenberges verkündete, war das entwicklungs¬<lb/>
geschichtlich Bedeutungsvollste an der Tagung. Sie bot in dieser Hinficht nicht<lb/>
mehr, als die edelsten Geisteskämpfer in der Zeit der Freiheitskriege ersonnen<lb/>
und gedacht hatten; aber die von edler Leidenschaft durchglühte Kraft, mit der<lb/>
sie jene Gedanken kundgab, rückte sie in den Mittelpunkt des allgemeinen<lb/>
Interesses: durch sie wurde die Idee der nationalen Einheit erst zu einem<lb/>
allgemeinen Zukunftsprogramm, dem die breite Öffentlichkeit lauschte. Und<lb/>
dieser Heroldsruf, den sie von der Lutherburg herab erklingen ließ und in dem<lb/>
die tiefgefühlte nationale Sehnsucht einen elementaren Ausdruck fand, war<lb/>
zugleich eine schmetternde Fanfare, mit der das emporstrebende jüngere Geschlecht<lb/>
dem alten politischen System entschiedene Fehde ansagte.  Auch ohne das Ein¬<lb/>
greifen der Reaktion hätte somit die Wartburgversammlung einen Markstein in<lb/>
der nationalen Entwicklung bedeutet; durch die Stellungnahme der feindlichen<lb/>
Mächte ward ihre Bedeutung aber noch erhöht; und die kommende Zeit bewies<lb/>
die Wahrheit der prophetischen Worte, welche der Jenaer Professor Kieser in<lb/>
seiner damals gedruckten Verteidigungsschrift aussprach: &#x201E;Was sie (das heißt<lb/>
die Wartburgversammlung) in ihren unabsehbaren Folgen für Deutschlands<lb/>
Jugend noch werden mag, ist sie nur durch den Gegenkampf geworden, den<lb/>
sie mit der Schlechtigkeit des Lebens hat führen müssen.  Mit Riesenschritten<lb/>
hat sie Ideen entwickelt, die damals nur als dunkle Ahndungen dem jugend¬<lb/>
lichen Geiste vorschwebten, und durch die siegende Geistesgewalt, mit welcher<lb/>
sie sich über alle Anfeindungen triumphierend erhalten hat, hat sie statt der<lb/>
ursprünglichen Bedeutung einer höchst unschuldigen,  rein gemütlichen und<lb/>
andächtig-frommen Zusammenkunft jetzt die Bedeutung eines politischen Festes<lb/>
gewonnen, welches in seinem dunklen Schoße fruchtbare, auf Jahrhunderte<lb/>
wirkende Keime enthalten kann."  Und tatsächlich eröffnete die Tagung auf<lb/>
der Wartburg, die man mit Fug und Recht wegen ihres interterritorialen<lb/>
Charakters als das &#x201E;erste deutsche Nationalfest" bezeichnen kann, eine lange<lb/>
Reihe ähnlicher Feste &#x2014; alle bestimmt, den völkischen Einheitsgedanken lebendig<lb/>
zu erhalten und die unerfüllte nationale Sehnsucht zum Ausdruck zu bringen.<lb/>
Als eine Nachwirkung der burschenschaftlichen Tätigkeit und als Beweis von<lb/>
der Größe ihres Einflusses auf das gesamte Volk darf man es betrachten, daß<lb/>
ihre Farben schwarz - rot - gold jene Trikolore bildeten, &#x201E;die durch ein halbes<lb/>
Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die soviel Hoffnungen<lb/>
und soviel Tränen, soviel edle Gedanken und soviel Sünden über Deutschland</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0304] Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2, Zum ;?^s Königsberg sich grüßen" (Heyck). So ward, wie eine Zeitung jener Tage rühmend schreibt, das Fest zu einem „Silberblick deutscher Geschichte" und zu einem „Blütendurchbruch unserer Zeit", und mit Recht gedenkt die Burschen¬ schaftsverfassung von 1818 jener „heiligen Tage, die jedem, der es redlich mit dem Vaterlande meinte, eine helle Morgenröte des Tages sein müssen, der da kommen sollte". Aber nicht das, was die Burschenschaft im Rittersaale der Wartburg und am lodernden Feuer des Wartenberges verkündete, war das entwicklungs¬ geschichtlich Bedeutungsvollste an der Tagung. Sie bot in dieser Hinficht nicht mehr, als die edelsten Geisteskämpfer in der Zeit der Freiheitskriege ersonnen und gedacht hatten; aber die von edler Leidenschaft durchglühte Kraft, mit der sie jene Gedanken kundgab, rückte sie in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses: durch sie wurde die Idee der nationalen Einheit erst zu einem allgemeinen Zukunftsprogramm, dem die breite Öffentlichkeit lauschte. Und dieser Heroldsruf, den sie von der Lutherburg herab erklingen ließ und in dem die tiefgefühlte nationale Sehnsucht einen elementaren Ausdruck fand, war zugleich eine schmetternde Fanfare, mit der das emporstrebende jüngere Geschlecht dem alten politischen System entschiedene Fehde ansagte. Auch ohne das Ein¬ greifen der Reaktion hätte somit die Wartburgversammlung einen Markstein in der nationalen Entwicklung bedeutet; durch die Stellungnahme der feindlichen Mächte ward ihre Bedeutung aber noch erhöht; und die kommende Zeit bewies die Wahrheit der prophetischen Worte, welche der Jenaer Professor Kieser in seiner damals gedruckten Verteidigungsschrift aussprach: „Was sie (das heißt die Wartburgversammlung) in ihren unabsehbaren Folgen für Deutschlands Jugend noch werden mag, ist sie nur durch den Gegenkampf geworden, den sie mit der Schlechtigkeit des Lebens hat führen müssen. Mit Riesenschritten hat sie Ideen entwickelt, die damals nur als dunkle Ahndungen dem jugend¬ lichen Geiste vorschwebten, und durch die siegende Geistesgewalt, mit welcher sie sich über alle Anfeindungen triumphierend erhalten hat, hat sie statt der ursprünglichen Bedeutung einer höchst unschuldigen, rein gemütlichen und andächtig-frommen Zusammenkunft jetzt die Bedeutung eines politischen Festes gewonnen, welches in seinem dunklen Schoße fruchtbare, auf Jahrhunderte wirkende Keime enthalten kann." Und tatsächlich eröffnete die Tagung auf der Wartburg, die man mit Fug und Recht wegen ihres interterritorialen Charakters als das „erste deutsche Nationalfest" bezeichnen kann, eine lange Reihe ähnlicher Feste — alle bestimmt, den völkischen Einheitsgedanken lebendig zu erhalten und die unerfüllte nationale Sehnsucht zum Ausdruck zu bringen. Als eine Nachwirkung der burschenschaftlichen Tätigkeit und als Beweis von der Größe ihres Einflusses auf das gesamte Volk darf man es betrachten, daß ihre Farben schwarz - rot - gold jene Trikolore bildeten, „die durch ein halbes Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die soviel Hoffnungen und soviel Tränen, soviel edle Gedanken und soviel Sünden über Deutschland

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/304
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/304>, abgerufen am 22.07.2024.