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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die europäischen Sprachen und der Krieg

wieder nieder, den die Entwicklung ihrer Schriftsprachen errichtete. Denn wie
der Näherstehende in dem Provenzalischen ein notwendiges Bindeglied erkennt
zwischen Französisch und Italienisch, und wie das Frankoprovenzalische vermittelt
sowohl zwischen Französisch und Provenzalisch als zwischen diesen beiden und
dem Italienischen, so schlägt das Katalanische wieder zwischen Provenzalisch und
Spanisch eine geistige Brücke, die ihre Pfeiler über die Pyrenäen und die burg-
mtige Kuppe des Montserrat spannt bis gegen Valencia, in gewissem Sinn als
Entschädigung für die Lücke, die bei der wirklichen Brücke der Bidassoa das
Baskische zwischen die romanischen Völker reißt. Das bißchen Spanisch, das
der sonst so sprachfaule Franzose hier an der Grenze in der Schule des Lebens
lernt, als Kneipwirt in Luchon oder als Kutscher und Badediener in Biarritz,
füllt diese Lücke in keiner Weise aus und verschwindet gegen die Dienste, die
der rege Katalane für die Völkerverbrüderung leistet. -- Eine Fahrt östlich
dagegen über den Mont-Cents bringt uns ähnlich nicht nur bei Pignerolo in
Waldenserdörfer, mit deren Bewohnern wir uns ohne Mühe auf französisch
unterhalten, sondern mit Oberitalien überhaupt in ein Gebiet, wo für das Ohr
des Fernstehenden ein halb französisches Italienisch erklingt.

Nur die rumänische Scholle hat die slawische Flut von ihrem Mutterboden
gelöst und in das Land zwischen Donau und Bukowina verschlagen, wo sie
zwar sprachlich in manchen Einzelheiten stark an ihre Nachbarschaft gebunden
ist, so durch eine das einheimische Sprachgut fast erstickende Fülle von slawischen
Fremdwörtern, wo sie aber ihr lateinisches Aussehen doch nicht nur beibehielt,
sondern durch Wortanleihen bei Italienern und Franzosen später wieder kräftig
auffrischte. Man schätzt daher im Kreise ihrer Bewohner das Deutschtum und
das Deutsche Reich sehr hoch, am ehesten an den leitenden Stellen und innerhalb
des Judentums, und füllt darum in der Hauptstadt gern die weiten Säle der
vielseitig gegabelten deutschen Schule; aber das Herz zieht die breiteren Schichten
des Volks in diesen Tagen doch unzweideutig hinüber zu den Franzosen, schon
aus Abneigung gegen die mit uns verbündeten Ungarn.

Diese landschaftliche Einheitlichkeit verstärken aber in der Gemeinsprache
auf das allerkräftigste geschichtliche Ausgleichungen doppelter Art.

Einmal haben sich die Romanen immer und überall als Nachkommen der
alten Römer gefühlt und in ihren Reichen nicht nur das Lateinische lange als
eigentliche Schriftsprache verehrt und verwendet, sondern auch dem Baum ihrer
schriftsprachlich schon feststehenden Landessprache fortwährend neue Reiser auf¬
gepfropft, so in Frankreich vor allem zur Zeit Karls des Großen und im Zeit¬
alter Franz des Ersten, in Spanien im vierzehnten Jahrhundert und später in
den Tagen Calderons.

Diese Ausbeutung des Erbes der Alten, die sogar den Satzbau zeitweilig
in die Geleise Ciceros zurücklenken wollte, ist heute nur dem gelehrten Auge
erkennbar. Der gemeine Mann führt daher auf romanischem Boden jetzt
ahnungslos Wortformen im Munde, die sich für den Kenner der Sprachgeschichte


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Die europäischen Sprachen und der Krieg

wieder nieder, den die Entwicklung ihrer Schriftsprachen errichtete. Denn wie
der Näherstehende in dem Provenzalischen ein notwendiges Bindeglied erkennt
zwischen Französisch und Italienisch, und wie das Frankoprovenzalische vermittelt
sowohl zwischen Französisch und Provenzalisch als zwischen diesen beiden und
dem Italienischen, so schlägt das Katalanische wieder zwischen Provenzalisch und
Spanisch eine geistige Brücke, die ihre Pfeiler über die Pyrenäen und die burg-
mtige Kuppe des Montserrat spannt bis gegen Valencia, in gewissem Sinn als
Entschädigung für die Lücke, die bei der wirklichen Brücke der Bidassoa das
Baskische zwischen die romanischen Völker reißt. Das bißchen Spanisch, das
der sonst so sprachfaule Franzose hier an der Grenze in der Schule des Lebens
lernt, als Kneipwirt in Luchon oder als Kutscher und Badediener in Biarritz,
füllt diese Lücke in keiner Weise aus und verschwindet gegen die Dienste, die
der rege Katalane für die Völkerverbrüderung leistet. — Eine Fahrt östlich
dagegen über den Mont-Cents bringt uns ähnlich nicht nur bei Pignerolo in
Waldenserdörfer, mit deren Bewohnern wir uns ohne Mühe auf französisch
unterhalten, sondern mit Oberitalien überhaupt in ein Gebiet, wo für das Ohr
des Fernstehenden ein halb französisches Italienisch erklingt.

Nur die rumänische Scholle hat die slawische Flut von ihrem Mutterboden
gelöst und in das Land zwischen Donau und Bukowina verschlagen, wo sie
zwar sprachlich in manchen Einzelheiten stark an ihre Nachbarschaft gebunden
ist, so durch eine das einheimische Sprachgut fast erstickende Fülle von slawischen
Fremdwörtern, wo sie aber ihr lateinisches Aussehen doch nicht nur beibehielt,
sondern durch Wortanleihen bei Italienern und Franzosen später wieder kräftig
auffrischte. Man schätzt daher im Kreise ihrer Bewohner das Deutschtum und
das Deutsche Reich sehr hoch, am ehesten an den leitenden Stellen und innerhalb
des Judentums, und füllt darum in der Hauptstadt gern die weiten Säle der
vielseitig gegabelten deutschen Schule; aber das Herz zieht die breiteren Schichten
des Volks in diesen Tagen doch unzweideutig hinüber zu den Franzosen, schon
aus Abneigung gegen die mit uns verbündeten Ungarn.

Diese landschaftliche Einheitlichkeit verstärken aber in der Gemeinsprache
auf das allerkräftigste geschichtliche Ausgleichungen doppelter Art.

Einmal haben sich die Romanen immer und überall als Nachkommen der
alten Römer gefühlt und in ihren Reichen nicht nur das Lateinische lange als
eigentliche Schriftsprache verehrt und verwendet, sondern auch dem Baum ihrer
schriftsprachlich schon feststehenden Landessprache fortwährend neue Reiser auf¬
gepfropft, so in Frankreich vor allem zur Zeit Karls des Großen und im Zeit¬
alter Franz des Ersten, in Spanien im vierzehnten Jahrhundert und später in
den Tagen Calderons.

Diese Ausbeutung des Erbes der Alten, die sogar den Satzbau zeitweilig
in die Geleise Ciceros zurücklenken wollte, ist heute nur dem gelehrten Auge
erkennbar. Der gemeine Mann führt daher auf romanischem Boden jetzt
ahnungslos Wortformen im Munde, die sich für den Kenner der Sprachgeschichte


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[0287] Die europäischen Sprachen und der Krieg wieder nieder, den die Entwicklung ihrer Schriftsprachen errichtete. Denn wie der Näherstehende in dem Provenzalischen ein notwendiges Bindeglied erkennt zwischen Französisch und Italienisch, und wie das Frankoprovenzalische vermittelt sowohl zwischen Französisch und Provenzalisch als zwischen diesen beiden und dem Italienischen, so schlägt das Katalanische wieder zwischen Provenzalisch und Spanisch eine geistige Brücke, die ihre Pfeiler über die Pyrenäen und die burg- mtige Kuppe des Montserrat spannt bis gegen Valencia, in gewissem Sinn als Entschädigung für die Lücke, die bei der wirklichen Brücke der Bidassoa das Baskische zwischen die romanischen Völker reißt. Das bißchen Spanisch, das der sonst so sprachfaule Franzose hier an der Grenze in der Schule des Lebens lernt, als Kneipwirt in Luchon oder als Kutscher und Badediener in Biarritz, füllt diese Lücke in keiner Weise aus und verschwindet gegen die Dienste, die der rege Katalane für die Völkerverbrüderung leistet. — Eine Fahrt östlich dagegen über den Mont-Cents bringt uns ähnlich nicht nur bei Pignerolo in Waldenserdörfer, mit deren Bewohnern wir uns ohne Mühe auf französisch unterhalten, sondern mit Oberitalien überhaupt in ein Gebiet, wo für das Ohr des Fernstehenden ein halb französisches Italienisch erklingt. Nur die rumänische Scholle hat die slawische Flut von ihrem Mutterboden gelöst und in das Land zwischen Donau und Bukowina verschlagen, wo sie zwar sprachlich in manchen Einzelheiten stark an ihre Nachbarschaft gebunden ist, so durch eine das einheimische Sprachgut fast erstickende Fülle von slawischen Fremdwörtern, wo sie aber ihr lateinisches Aussehen doch nicht nur beibehielt, sondern durch Wortanleihen bei Italienern und Franzosen später wieder kräftig auffrischte. Man schätzt daher im Kreise ihrer Bewohner das Deutschtum und das Deutsche Reich sehr hoch, am ehesten an den leitenden Stellen und innerhalb des Judentums, und füllt darum in der Hauptstadt gern die weiten Säle der vielseitig gegabelten deutschen Schule; aber das Herz zieht die breiteren Schichten des Volks in diesen Tagen doch unzweideutig hinüber zu den Franzosen, schon aus Abneigung gegen die mit uns verbündeten Ungarn. Diese landschaftliche Einheitlichkeit verstärken aber in der Gemeinsprache auf das allerkräftigste geschichtliche Ausgleichungen doppelter Art. Einmal haben sich die Romanen immer und überall als Nachkommen der alten Römer gefühlt und in ihren Reichen nicht nur das Lateinische lange als eigentliche Schriftsprache verehrt und verwendet, sondern auch dem Baum ihrer schriftsprachlich schon feststehenden Landessprache fortwährend neue Reiser auf¬ gepfropft, so in Frankreich vor allem zur Zeit Karls des Großen und im Zeit¬ alter Franz des Ersten, in Spanien im vierzehnten Jahrhundert und später in den Tagen Calderons. Diese Ausbeutung des Erbes der Alten, die sogar den Satzbau zeitweilig in die Geleise Ciceros zurücklenken wollte, ist heute nur dem gelehrten Auge erkennbar. Der gemeine Mann führt daher auf romanischem Boden jetzt ahnungslos Wortformen im Munde, die sich für den Kenner der Sprachgeschichte 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/287>, abgerufen am 22.07.2024.