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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Anteil am Suezkanal

berechtigten Ansprüche ihrer Erben mit allem Nachdruck wahrzunehmen, ist jetzt
eine Vereinigung angesehener Männer tätig. Jedenfalls haben wir in Deutsch¬
land und Österreich keinen Anlaß, Lesseps als den Schöpfer des Kanals zu
preisen: seine große Energie soll durchaus anerkannt werden, aber daß er ohne
die wissenschaftliche und finanzielle Vorarbeit namentlich der deutschen Mitglieder
der alten Studiengesellschaft sein Ziel nicht hätte erreichen können, darf eben¬
sowenig verschwiegen werden wie sein rücksichtsloses Verfahren alten, wohl¬
erworbenen Rechten gegenüber.

Die weiteren Schicksale des Kanalbaues sind bekannt: der Kanal wurde
nach Überwindung großer Hindernisse und Schwierigkeiten aller Art, namentlich
von feiten der Engländer, 1869 fertiggestellt und im November desselben Jahres
unter großartigen Feierlichkeiten eröffnet. Nach einigen Jahren des Mißerfolges
begann eine bedeutende Hebung des Verkehrs; England, das bis dahin nichts
vom Kanal hatte wissen wollen, erwarb 1875/76 die 177642 Aktien des
Vizekönigs Ismail Pascha und spielte sich so zunächst den Kanal und dann
ganz Ägypten in die Hände. Die Bedeutung gerade für seine Beziehungen zu
Indien und Australien erhellt aus den Verkehrsziffern*): im Jahre 1870 betrug
die Zahl der durchfahrenden Schiffe 486 mit 654914, 1908: 3795 mit
19 Millionen. 1912: 5373 mit 28 Millionen Tonnen; unter den Schiffen des
letzten Jahres waren 3335 englische und 698 deutsche.

Von der Bedeutung des Kanals geben diese Zahlen ein Bild; von der
Aufmerksamkeit aber, welche die gebildete Welt in den sechziger Jahren seinem
Bau und seiner Eröffnung gewidmet hat, zeugen noch heute die Äußerungen
dreier Männer, die jene Jahre miterlebt haben: der eine ist Ludwig Pietsch^
der treffliche Plauderer und Zeichner, der als Berichterstatter und als einer der
,Me88thut-8 Is8 Invitö8", also als offizieller Gast des Vizekönigs, der Eröffnung
beigewohnt hat. In seinen Erinnerungen**) daran erklärt er, daß aus der
überreichen Fülle reizvoller und prächtiger, großartiger und erschütternder Bilder
geschichtlicher Ereignisse, denen er ... . vom bevorzugten Platze aus in nächster
Nähe zugeschaut habe, leuchtend und glänzend fast vor allen diejenigen hervor¬
traten, welche im November und Dezember des Jahres 1869 ihm zu sehen
und zu erfahren vergönnt gewesen seien. Der andere ist Henrik Ibsen, der
große Nordländer, welcher in "Port Said" und dem "Ballonbrief" seine ägyptischen
Eindrücke schildert. Und der dritte ist unser Wilhelm Raabe, dessen Interesse
und Verständnis für weltpolitische Dinge wir aus vielen seiner Werke kennen:
so lesen wir noch heute mit größter Aufmerksamkeit, was er im "Abu Telfan",
dessen erste Auflage 1867 erschien, seinen Helden Leonhard Hagebucher den
Seinen in Bumsdorf von der "verfänglichen Weltfrage der Durchstechung der
Landenge von Suez" berichten läßt.






Die Zahlenangaben stammen teils aus Neubaur, "Der Suezkanal", teils aus
Oberhummer, "Ägypten und der Suezkanal" (Deutsche Revue, Januar 1915).
Veröffentlicht 1902 in Velhagens u. Klasings Monatsheften.
Deutschlands Anteil am Suezkanal

berechtigten Ansprüche ihrer Erben mit allem Nachdruck wahrzunehmen, ist jetzt
eine Vereinigung angesehener Männer tätig. Jedenfalls haben wir in Deutsch¬
land und Österreich keinen Anlaß, Lesseps als den Schöpfer des Kanals zu
preisen: seine große Energie soll durchaus anerkannt werden, aber daß er ohne
die wissenschaftliche und finanzielle Vorarbeit namentlich der deutschen Mitglieder
der alten Studiengesellschaft sein Ziel nicht hätte erreichen können, darf eben¬
sowenig verschwiegen werden wie sein rücksichtsloses Verfahren alten, wohl¬
erworbenen Rechten gegenüber.

Die weiteren Schicksale des Kanalbaues sind bekannt: der Kanal wurde
nach Überwindung großer Hindernisse und Schwierigkeiten aller Art, namentlich
von feiten der Engländer, 1869 fertiggestellt und im November desselben Jahres
unter großartigen Feierlichkeiten eröffnet. Nach einigen Jahren des Mißerfolges
begann eine bedeutende Hebung des Verkehrs; England, das bis dahin nichts
vom Kanal hatte wissen wollen, erwarb 1875/76 die 177642 Aktien des
Vizekönigs Ismail Pascha und spielte sich so zunächst den Kanal und dann
ganz Ägypten in die Hände. Die Bedeutung gerade für seine Beziehungen zu
Indien und Australien erhellt aus den Verkehrsziffern*): im Jahre 1870 betrug
die Zahl der durchfahrenden Schiffe 486 mit 654914, 1908: 3795 mit
19 Millionen. 1912: 5373 mit 28 Millionen Tonnen; unter den Schiffen des
letzten Jahres waren 3335 englische und 698 deutsche.

Von der Bedeutung des Kanals geben diese Zahlen ein Bild; von der
Aufmerksamkeit aber, welche die gebildete Welt in den sechziger Jahren seinem
Bau und seiner Eröffnung gewidmet hat, zeugen noch heute die Äußerungen
dreier Männer, die jene Jahre miterlebt haben: der eine ist Ludwig Pietsch^
der treffliche Plauderer und Zeichner, der als Berichterstatter und als einer der
,Me88thut-8 Is8 Invitö8", also als offizieller Gast des Vizekönigs, der Eröffnung
beigewohnt hat. In seinen Erinnerungen**) daran erklärt er, daß aus der
überreichen Fülle reizvoller und prächtiger, großartiger und erschütternder Bilder
geschichtlicher Ereignisse, denen er ... . vom bevorzugten Platze aus in nächster
Nähe zugeschaut habe, leuchtend und glänzend fast vor allen diejenigen hervor¬
traten, welche im November und Dezember des Jahres 1869 ihm zu sehen
und zu erfahren vergönnt gewesen seien. Der andere ist Henrik Ibsen, der
große Nordländer, welcher in „Port Said" und dem „Ballonbrief" seine ägyptischen
Eindrücke schildert. Und der dritte ist unser Wilhelm Raabe, dessen Interesse
und Verständnis für weltpolitische Dinge wir aus vielen seiner Werke kennen:
so lesen wir noch heute mit größter Aufmerksamkeit, was er im „Abu Telfan",
dessen erste Auflage 1867 erschien, seinen Helden Leonhard Hagebucher den
Seinen in Bumsdorf von der „verfänglichen Weltfrage der Durchstechung der
Landenge von Suez" berichten läßt.






Die Zahlenangaben stammen teils aus Neubaur, „Der Suezkanal", teils aus
Oberhummer, „Ägypten und der Suezkanal" (Deutsche Revue, Januar 1915).
Veröffentlicht 1902 in Velhagens u. Klasings Monatsheften.
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[0246] Deutschlands Anteil am Suezkanal berechtigten Ansprüche ihrer Erben mit allem Nachdruck wahrzunehmen, ist jetzt eine Vereinigung angesehener Männer tätig. Jedenfalls haben wir in Deutsch¬ land und Österreich keinen Anlaß, Lesseps als den Schöpfer des Kanals zu preisen: seine große Energie soll durchaus anerkannt werden, aber daß er ohne die wissenschaftliche und finanzielle Vorarbeit namentlich der deutschen Mitglieder der alten Studiengesellschaft sein Ziel nicht hätte erreichen können, darf eben¬ sowenig verschwiegen werden wie sein rücksichtsloses Verfahren alten, wohl¬ erworbenen Rechten gegenüber. Die weiteren Schicksale des Kanalbaues sind bekannt: der Kanal wurde nach Überwindung großer Hindernisse und Schwierigkeiten aller Art, namentlich von feiten der Engländer, 1869 fertiggestellt und im November desselben Jahres unter großartigen Feierlichkeiten eröffnet. Nach einigen Jahren des Mißerfolges begann eine bedeutende Hebung des Verkehrs; England, das bis dahin nichts vom Kanal hatte wissen wollen, erwarb 1875/76 die 177642 Aktien des Vizekönigs Ismail Pascha und spielte sich so zunächst den Kanal und dann ganz Ägypten in die Hände. Die Bedeutung gerade für seine Beziehungen zu Indien und Australien erhellt aus den Verkehrsziffern*): im Jahre 1870 betrug die Zahl der durchfahrenden Schiffe 486 mit 654914, 1908: 3795 mit 19 Millionen. 1912: 5373 mit 28 Millionen Tonnen; unter den Schiffen des letzten Jahres waren 3335 englische und 698 deutsche. Von der Bedeutung des Kanals geben diese Zahlen ein Bild; von der Aufmerksamkeit aber, welche die gebildete Welt in den sechziger Jahren seinem Bau und seiner Eröffnung gewidmet hat, zeugen noch heute die Äußerungen dreier Männer, die jene Jahre miterlebt haben: der eine ist Ludwig Pietsch^ der treffliche Plauderer und Zeichner, der als Berichterstatter und als einer der ,Me88thut-8 Is8 Invitö8", also als offizieller Gast des Vizekönigs, der Eröffnung beigewohnt hat. In seinen Erinnerungen**) daran erklärt er, daß aus der überreichen Fülle reizvoller und prächtiger, großartiger und erschütternder Bilder geschichtlicher Ereignisse, denen er ... . vom bevorzugten Platze aus in nächster Nähe zugeschaut habe, leuchtend und glänzend fast vor allen diejenigen hervor¬ traten, welche im November und Dezember des Jahres 1869 ihm zu sehen und zu erfahren vergönnt gewesen seien. Der andere ist Henrik Ibsen, der große Nordländer, welcher in „Port Said" und dem „Ballonbrief" seine ägyptischen Eindrücke schildert. Und der dritte ist unser Wilhelm Raabe, dessen Interesse und Verständnis für weltpolitische Dinge wir aus vielen seiner Werke kennen: so lesen wir noch heute mit größter Aufmerksamkeit, was er im „Abu Telfan", dessen erste Auflage 1867 erschien, seinen Helden Leonhard Hagebucher den Seinen in Bumsdorf von der „verfänglichen Weltfrage der Durchstechung der Landenge von Suez" berichten läßt. Die Zahlenangaben stammen teils aus Neubaur, „Der Suezkanal", teils aus Oberhummer, „Ägypten und der Suezkanal" (Deutsche Revue, Januar 1915). Veröffentlicht 1902 in Velhagens u. Klasings Monatsheften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/246>, abgerufen am 24.08.2024.