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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Anteil am Suezkanal

"würde dadurch der Handel mit dem Orient und China für das ganze feste
Land von Europa direkt zufließen. Unsere Fabriken würden die Urstoffe des
Orients nicht mehr auf einem ungeheuren Umwege über England beziehen;
die deutsche Schiffahrt würde die Bedürfnisse des Gesamtvaterlandes in eigenen
Schiffen herbeiführen." Und der Bau des Kanals erschien seinen Betreibern
um so notwendiger und dringlicher, als damals die Gefahr bestand, daß Amerika
den Panamakanal bauen werde, und Europa sich nicht verhehlen durfte, daß
dieser Kanal, "ohne den Durchstich von Suez vollendet, den Mittelpunkt des
Welthandels von Europa nach Amerika versetzen müßte" (U. G. S. Ur. 63); der
Suezkanal sei also eine europäische Notwendigkeit, heißt es in einer Darlegung
der Firma Dufour u. Co. an das königlich sächsische Ministerium des Innern
(U. G. S. Ur. 66). Nun kam es vor allem auf die Haltung Frankreichs und
Englands an: Englands Politik bezüglich Ägyptens vertrat den Gesichtspunkt, man
dürfe auf dem Wege nach Indien keine Macht aufkommen lassen, die ihm da
entgegentreten könne; Frankreich, das einst die Hoffnung gehegt, durch Mehemed
Ali ein neues islamisches Reich in Ägypten und Syrien unter feinem Protektorat
entstehen zu sehen, das aber 1840 dem Vierbunde gegenüber hatte nachgeben
müssen, suchte, seit 1847 immer mehr Herr in Algier geworden, den damals
verlorenen Einfluß wiederzugewinnen und wünschte längst die Errichtung eines
selbst für größere Ostindienfahrer schiffbaren Kanals. Während also die
Franzosen das Kanalprojekt unterstützten, wollte England sich höchstens zu einer
Eisenbahnverbindung über den Isthmus von Suez verstehen, um sein Schiffahrts"
Monopol auf dem Atlantischen und Indischen Ozean nicht aufgeben zu müssen.

Um so lebhaftere Unterstützung fanden die Kanalpläne in Sachsen, Österreich
und anderen deutschen Staaten. Zu ihren eifrigsten Verfechtern gehörte der
bereits genannte Bankier Dufour, der bereits 1845 versicherte (U. G. S. Ur. 2):
"Daß der Kanal gemacht wird, ist jetzt kaum mehr zu bezweifeln; aber wir in
Deutschland müssen uns rühren, daß er nicht ohne uns und zu unserem
Nachteil gemacht werde, während er uns unendlich nützen muß, wenn wir
bei dessen Benutzung allen anderen gleich stehen!" Die Angelegenheit
müsse mit dem Charakter einer kaufmännischen Spekulation aus der Mitte
Deutschlands auftauchen und eine Gesellschaft Deutscher Kapitalisten die Aus¬
führung übernehmen. Und ein Mitglied des sächsischen Landtages, Abgeordneter
Georgi. führte dort am 9. Juni 1846 unter anderem aus: "Es ist nicht zu
bezweifeln, daß, wenn dieses Unternehmen sich realisieren ließe, für Deutschland
ein ganz eminenter Nutzen daraus hervorgehen würde. Deutschland würde
dadurch dem südöstlichen Asien nähergerückt werden, die Handelsstraße von
England und selbst wohl zum Teil von den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika nach Asien würde über Deutschland gehen, und es ließe sich wohl
denken, daß ein Teil des Handelsflors, dessen sich im Mittelalter die italienischen
und mitteldeutschen Städte wie Augsburg, Nürnberg und andere in so hohem
Grade durch den Verkehr des ostindischen Handels über Ägypten erfreuten.


Deutschlands Anteil am Suezkanal

„würde dadurch der Handel mit dem Orient und China für das ganze feste
Land von Europa direkt zufließen. Unsere Fabriken würden die Urstoffe des
Orients nicht mehr auf einem ungeheuren Umwege über England beziehen;
die deutsche Schiffahrt würde die Bedürfnisse des Gesamtvaterlandes in eigenen
Schiffen herbeiführen." Und der Bau des Kanals erschien seinen Betreibern
um so notwendiger und dringlicher, als damals die Gefahr bestand, daß Amerika
den Panamakanal bauen werde, und Europa sich nicht verhehlen durfte, daß
dieser Kanal, „ohne den Durchstich von Suez vollendet, den Mittelpunkt des
Welthandels von Europa nach Amerika versetzen müßte" (U. G. S. Ur. 63); der
Suezkanal sei also eine europäische Notwendigkeit, heißt es in einer Darlegung
der Firma Dufour u. Co. an das königlich sächsische Ministerium des Innern
(U. G. S. Ur. 66). Nun kam es vor allem auf die Haltung Frankreichs und
Englands an: Englands Politik bezüglich Ägyptens vertrat den Gesichtspunkt, man
dürfe auf dem Wege nach Indien keine Macht aufkommen lassen, die ihm da
entgegentreten könne; Frankreich, das einst die Hoffnung gehegt, durch Mehemed
Ali ein neues islamisches Reich in Ägypten und Syrien unter feinem Protektorat
entstehen zu sehen, das aber 1840 dem Vierbunde gegenüber hatte nachgeben
müssen, suchte, seit 1847 immer mehr Herr in Algier geworden, den damals
verlorenen Einfluß wiederzugewinnen und wünschte längst die Errichtung eines
selbst für größere Ostindienfahrer schiffbaren Kanals. Während also die
Franzosen das Kanalprojekt unterstützten, wollte England sich höchstens zu einer
Eisenbahnverbindung über den Isthmus von Suez verstehen, um sein Schiffahrts»
Monopol auf dem Atlantischen und Indischen Ozean nicht aufgeben zu müssen.

Um so lebhaftere Unterstützung fanden die Kanalpläne in Sachsen, Österreich
und anderen deutschen Staaten. Zu ihren eifrigsten Verfechtern gehörte der
bereits genannte Bankier Dufour, der bereits 1845 versicherte (U. G. S. Ur. 2):
„Daß der Kanal gemacht wird, ist jetzt kaum mehr zu bezweifeln; aber wir in
Deutschland müssen uns rühren, daß er nicht ohne uns und zu unserem
Nachteil gemacht werde, während er uns unendlich nützen muß, wenn wir
bei dessen Benutzung allen anderen gleich stehen!" Die Angelegenheit
müsse mit dem Charakter einer kaufmännischen Spekulation aus der Mitte
Deutschlands auftauchen und eine Gesellschaft Deutscher Kapitalisten die Aus¬
führung übernehmen. Und ein Mitglied des sächsischen Landtages, Abgeordneter
Georgi. führte dort am 9. Juni 1846 unter anderem aus: „Es ist nicht zu
bezweifeln, daß, wenn dieses Unternehmen sich realisieren ließe, für Deutschland
ein ganz eminenter Nutzen daraus hervorgehen würde. Deutschland würde
dadurch dem südöstlichen Asien nähergerückt werden, die Handelsstraße von
England und selbst wohl zum Teil von den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika nach Asien würde über Deutschland gehen, und es ließe sich wohl
denken, daß ein Teil des Handelsflors, dessen sich im Mittelalter die italienischen
und mitteldeutschen Städte wie Augsburg, Nürnberg und andere in so hohem
Grade durch den Verkehr des ostindischen Handels über Ägypten erfreuten.


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[0241] Deutschlands Anteil am Suezkanal „würde dadurch der Handel mit dem Orient und China für das ganze feste Land von Europa direkt zufließen. Unsere Fabriken würden die Urstoffe des Orients nicht mehr auf einem ungeheuren Umwege über England beziehen; die deutsche Schiffahrt würde die Bedürfnisse des Gesamtvaterlandes in eigenen Schiffen herbeiführen." Und der Bau des Kanals erschien seinen Betreibern um so notwendiger und dringlicher, als damals die Gefahr bestand, daß Amerika den Panamakanal bauen werde, und Europa sich nicht verhehlen durfte, daß dieser Kanal, „ohne den Durchstich von Suez vollendet, den Mittelpunkt des Welthandels von Europa nach Amerika versetzen müßte" (U. G. S. Ur. 63); der Suezkanal sei also eine europäische Notwendigkeit, heißt es in einer Darlegung der Firma Dufour u. Co. an das königlich sächsische Ministerium des Innern (U. G. S. Ur. 66). Nun kam es vor allem auf die Haltung Frankreichs und Englands an: Englands Politik bezüglich Ägyptens vertrat den Gesichtspunkt, man dürfe auf dem Wege nach Indien keine Macht aufkommen lassen, die ihm da entgegentreten könne; Frankreich, das einst die Hoffnung gehegt, durch Mehemed Ali ein neues islamisches Reich in Ägypten und Syrien unter feinem Protektorat entstehen zu sehen, das aber 1840 dem Vierbunde gegenüber hatte nachgeben müssen, suchte, seit 1847 immer mehr Herr in Algier geworden, den damals verlorenen Einfluß wiederzugewinnen und wünschte längst die Errichtung eines selbst für größere Ostindienfahrer schiffbaren Kanals. Während also die Franzosen das Kanalprojekt unterstützten, wollte England sich höchstens zu einer Eisenbahnverbindung über den Isthmus von Suez verstehen, um sein Schiffahrts» Monopol auf dem Atlantischen und Indischen Ozean nicht aufgeben zu müssen. Um so lebhaftere Unterstützung fanden die Kanalpläne in Sachsen, Österreich und anderen deutschen Staaten. Zu ihren eifrigsten Verfechtern gehörte der bereits genannte Bankier Dufour, der bereits 1845 versicherte (U. G. S. Ur. 2): „Daß der Kanal gemacht wird, ist jetzt kaum mehr zu bezweifeln; aber wir in Deutschland müssen uns rühren, daß er nicht ohne uns und zu unserem Nachteil gemacht werde, während er uns unendlich nützen muß, wenn wir bei dessen Benutzung allen anderen gleich stehen!" Die Angelegenheit müsse mit dem Charakter einer kaufmännischen Spekulation aus der Mitte Deutschlands auftauchen und eine Gesellschaft Deutscher Kapitalisten die Aus¬ führung übernehmen. Und ein Mitglied des sächsischen Landtages, Abgeordneter Georgi. führte dort am 9. Juni 1846 unter anderem aus: „Es ist nicht zu bezweifeln, daß, wenn dieses Unternehmen sich realisieren ließe, für Deutschland ein ganz eminenter Nutzen daraus hervorgehen würde. Deutschland würde dadurch dem südöstlichen Asien nähergerückt werden, die Handelsstraße von England und selbst wohl zum Teil von den Vereinigten Staaten von Nord¬ amerika nach Asien würde über Deutschland gehen, und es ließe sich wohl denken, daß ein Teil des Handelsflors, dessen sich im Mittelalter die italienischen und mitteldeutschen Städte wie Augsburg, Nürnberg und andere in so hohem Grade durch den Verkehr des ostindischen Handels über Ägypten erfreuten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/241>, abgerufen am 24.08.2024.