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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Verdeutschungen

bitte um Verzeichnis." so würde er sich schönstens bedanken. Wir müssen uns
vielmehr noch einmal das Besondere des Falles, der mit Interesse bezeichnet
wird, lebhaft vergegenwärtigen. Es ist zunächst ein geistiger Zustand: ich habe
Interesse, keine Tätigkeit: ich nehme teil. Und zwar ein Zustand, in dem
unsere Aufmerksamkeit mit mehr oder weniger ausgesprochenem Besitzwillen auf
einen Gegenstand gerichtet ist, ohne daß dieser Wille schon irgendwie sich
entschieden hätte, also ein Zustand der Erwartung vor der Tat oder mit einem
Wort: der latenten Energie. Und dafür haben wir das bildkräftige Worf:
"Spannung." Wie eine gespannte Feder eine unsichtbare, unterdrückte Kraft
birgt, die sich jederzeit in Arbeit umsetzen kann, so hat ein interessierter Mensch
seine geistige Energie auf einen bestimmten Punkt gespannt mit mehr oder
weniger klarem Bewußtsein vollkommener Freiheit, ob und wann er diesem
Druck nachgibt. Und der inneren Blickrichtung als dem zweiten Merkmal des
Interesses trägt Spannung insofern ungezwungen Rechnung, als wir auf etwas
spannen wie der Schütze den Bogen auf das Ziel. Setzen wir in allen
erdenklichen Fällen "Spannung" für Interesse, "spannend" für interessant,
"spannen auf" für sich interessieren, "gespannt an" für interessiert an, so
werden wir überrascht sein, wie vollkommen der Sinn getroffen ist. Einige
Beispiele: "Ihre Arbeit habe ich mit lebhafter Spannung gelesen" oder "hat
mich lebhaft gespannt." "Ich bitte um Muster Ihrer Neuheit, auf die ich spanne."
"Sie spannt auf ihn." "Ein spannender Mensch." "Er hat für nichts Spannung."
"Er ist an dieses Unternehmen mit 10000 Mark gespannt." Wo es nicht paßt,
wie zum Beispiel "spannende Felsbildung," werden wir bei näherem Zusehen
finden, daß auch interessant schief angewendet war. Wir helfen uns gerade
dann leicht anders: reizvolle, kühne, auffallende, merkwürdige, seltene, bedeutsame
Felsbildung.

Wenn wir unsere drei Beispiele "Läufer", "Wunder" und "Spannung",
so bunt zusammengewürfelt sie sind, vergleichen, so haben sie das Gemeinsame,
daß sie alle nicht nur denkbar einfach sind, sondern eben trotz dieser strengen
Einfachheit einen ganzen und reich gefalteten Sonderbegriff decken dadurch, daß
ihre Bedeutung auf ein sinnlich anschauliches Element zurückgeht. Auch für
Abstrakta wie Interesse ist, wie man sieht, dieser Rückgang vergleichsweise
immer möglich. Und das ein solches einfaches Bild durch Gewohnheit mit
einem ganzen Vorstellungskreis von mitzudenkenden Begriffen verschwistert
werden kann, ist eine psychologische Erfahrung, auf die der Sprachbildner mit
Sicherheit rechnen kann -- und rechnen muß. In dieser Zeit der fieberhaften
Worterfindung scheint es notwendig, diese psychologische Voraussetzung und
durchgängig psychologische Bedingtheit alles Sprachlichen in Erinnerung zu
bringen. Und wenn unsere Beispiele zur Veranschaulichung dieses Grund¬
gedankens beigetragen haben, ist ihr Zweck erfüllt. Als Vorschläge wollen fie
gern verschwinden, wenn bessere gefunden sind.




Verdeutschungen

bitte um Verzeichnis." so würde er sich schönstens bedanken. Wir müssen uns
vielmehr noch einmal das Besondere des Falles, der mit Interesse bezeichnet
wird, lebhaft vergegenwärtigen. Es ist zunächst ein geistiger Zustand: ich habe
Interesse, keine Tätigkeit: ich nehme teil. Und zwar ein Zustand, in dem
unsere Aufmerksamkeit mit mehr oder weniger ausgesprochenem Besitzwillen auf
einen Gegenstand gerichtet ist, ohne daß dieser Wille schon irgendwie sich
entschieden hätte, also ein Zustand der Erwartung vor der Tat oder mit einem
Wort: der latenten Energie. Und dafür haben wir das bildkräftige Worf:
„Spannung." Wie eine gespannte Feder eine unsichtbare, unterdrückte Kraft
birgt, die sich jederzeit in Arbeit umsetzen kann, so hat ein interessierter Mensch
seine geistige Energie auf einen bestimmten Punkt gespannt mit mehr oder
weniger klarem Bewußtsein vollkommener Freiheit, ob und wann er diesem
Druck nachgibt. Und der inneren Blickrichtung als dem zweiten Merkmal des
Interesses trägt Spannung insofern ungezwungen Rechnung, als wir auf etwas
spannen wie der Schütze den Bogen auf das Ziel. Setzen wir in allen
erdenklichen Fällen „Spannung" für Interesse, „spannend" für interessant,
„spannen auf" für sich interessieren, „gespannt an" für interessiert an, so
werden wir überrascht sein, wie vollkommen der Sinn getroffen ist. Einige
Beispiele: „Ihre Arbeit habe ich mit lebhafter Spannung gelesen" oder „hat
mich lebhaft gespannt." „Ich bitte um Muster Ihrer Neuheit, auf die ich spanne."
„Sie spannt auf ihn." „Ein spannender Mensch." „Er hat für nichts Spannung."
„Er ist an dieses Unternehmen mit 10000 Mark gespannt." Wo es nicht paßt,
wie zum Beispiel „spannende Felsbildung," werden wir bei näherem Zusehen
finden, daß auch interessant schief angewendet war. Wir helfen uns gerade
dann leicht anders: reizvolle, kühne, auffallende, merkwürdige, seltene, bedeutsame
Felsbildung.

Wenn wir unsere drei Beispiele „Läufer", „Wunder" und „Spannung",
so bunt zusammengewürfelt sie sind, vergleichen, so haben sie das Gemeinsame,
daß sie alle nicht nur denkbar einfach sind, sondern eben trotz dieser strengen
Einfachheit einen ganzen und reich gefalteten Sonderbegriff decken dadurch, daß
ihre Bedeutung auf ein sinnlich anschauliches Element zurückgeht. Auch für
Abstrakta wie Interesse ist, wie man sieht, dieser Rückgang vergleichsweise
immer möglich. Und das ein solches einfaches Bild durch Gewohnheit mit
einem ganzen Vorstellungskreis von mitzudenkenden Begriffen verschwistert
werden kann, ist eine psychologische Erfahrung, auf die der Sprachbildner mit
Sicherheit rechnen kann — und rechnen muß. In dieser Zeit der fieberhaften
Worterfindung scheint es notwendig, diese psychologische Voraussetzung und
durchgängig psychologische Bedingtheit alles Sprachlichen in Erinnerung zu
bringen. Und wenn unsere Beispiele zur Veranschaulichung dieses Grund¬
gedankens beigetragen haben, ist ihr Zweck erfüllt. Als Vorschläge wollen fie
gern verschwinden, wenn bessere gefunden sind.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/230>, abgerufen am 22.07.2024.