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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Ariegsdichtung heut und vor hundert Jahren

Liede schon anklingt, das bei anderen Dichtern sogar eine beherrschende Stellung
einnimmt, zum Beispiel bei H. F. Blunck und Walter Flex. Jener beginnt sein
Lied "Patrouille":

(Dieses und ähnliche Beispiele in großer Zahl stehen in der Sammlung "Der
Kampf" bei Diederichs in Jena.)

Was den größten Teil dieser Kampfeslyrik aber von der Th. Körners und
ihrem Schillerschen Pathos unterscheidet, das ist der überall zutage tretende Drang
nach dem Volksmäßigen, dem Volkstümlichen und infolgedessen dem Liedhasten
und Sangbaren. Der Stil des Volksliedes und des Soldatenliedes herrscht vor
in dieser Lyrik, wenn sie auch von Künstler-Dichtern herrührt. Den Ton des
Soldatenliedes trifft zum Beispiel sehr glücklich Klabund in seinen "Soldaten¬
liedern" (Gelber Verlag, Dachau bei München). Ja, man kann noch mehr sagen:
die dichterische Tätigkeit, das Dichten selbst, ist wieder volkstümlich geworden.
Es scheint in der Tat so, als wenn wir auch während dieses Krieges ein kraft¬
volles Aufflackern der Volksdichtung erleben sollten.

Und auch der Inhalt dieser neuen Volksdichtung ist typisch; die Lieder find
flott rhythmische Kampf- und Marschlieder oder Reiterlieder. Man vergleiche das
Reiterlied "Mit stolz gebauschten Fahnen" eines unbekannten Verfassers in der
Sammlung "Der Kampf", Seite 74. Vielfach geht durch sie jener schwermütige
Ton, der das Volkslied so bang und süß macht: der Abschied, der Tod, die Heimat
und ihre Lieben, der treue Kamerad und sein Sterben, das sind die Gegenstände,
die dieser Kriegslyrik auch heute wieder ihren Gehalt geben. Beispiele für solche
Volkslieder sind in den erwähnten Sammlungen, namentlich in denen des
Diederichsschen Verlages, mehrfach vorhanden. Die Vorliebe für den Tod und
die Trauer des Krieges beherrscht auch sehr merklich Kurt Münzers Liederbüchlein:
"Taten und Kränze". (Axel Juncker Verlag, Berlin-Charlottenburg, Orplid-Bücher,
Band 13. In der gleichen etwas gesucht wirkenden Ausstattung der Orplid-Bücher
sind zwei Kriegsliedersammlungen erschienen: "Neue Kriegslieder" und "Kaserne
und Schützengraben". Die Sammlung "Soldatenlieder" wurde schon erwähnt).

Daneben aber fehlt auch nicht der Humor, der sich an dieses oder jenes kleine
Erlebnis anschließt oder die eigene Lage verspottet. Viel durch die Zeitungen
und -- durch die Feldpostbriefe ist das famose Lehmlied gegangen:

[Beginn Spaltensatz] "Voll Lehm sind unsere Beine,
Voll Lehm auch das Gesicht,
Voll Lehm auch alles andre,
Was man man zu sehen kriegt.
Voll Lehm der Schützengraben,
Voll Lehm das Nachtquartier,
Voll Lehm die ganze Gegend,
Und alles ringsum hier. [Spaltenumbruch] So geht es Woch' um Wochen,
Nur Lehm und Lehm und Lehm,
Es geht bis auf die Knochen
Der ewige Lehm, Lehm, Lehm.
Da Plötzlich eine Wandlung,
Es geht in einem Hupp,
Jetzt regrets grad zwei Tage:
Statt Lehm ists ErbsensuPP." [Ende Spaltensatz]

Deutsche Ariegsdichtung heut und vor hundert Jahren

Liede schon anklingt, das bei anderen Dichtern sogar eine beherrschende Stellung
einnimmt, zum Beispiel bei H. F. Blunck und Walter Flex. Jener beginnt sein
Lied „Patrouille":

(Dieses und ähnliche Beispiele in großer Zahl stehen in der Sammlung „Der
Kampf" bei Diederichs in Jena.)

Was den größten Teil dieser Kampfeslyrik aber von der Th. Körners und
ihrem Schillerschen Pathos unterscheidet, das ist der überall zutage tretende Drang
nach dem Volksmäßigen, dem Volkstümlichen und infolgedessen dem Liedhasten
und Sangbaren. Der Stil des Volksliedes und des Soldatenliedes herrscht vor
in dieser Lyrik, wenn sie auch von Künstler-Dichtern herrührt. Den Ton des
Soldatenliedes trifft zum Beispiel sehr glücklich Klabund in seinen „Soldaten¬
liedern" (Gelber Verlag, Dachau bei München). Ja, man kann noch mehr sagen:
die dichterische Tätigkeit, das Dichten selbst, ist wieder volkstümlich geworden.
Es scheint in der Tat so, als wenn wir auch während dieses Krieges ein kraft¬
volles Aufflackern der Volksdichtung erleben sollten.

Und auch der Inhalt dieser neuen Volksdichtung ist typisch; die Lieder find
flott rhythmische Kampf- und Marschlieder oder Reiterlieder. Man vergleiche das
Reiterlied „Mit stolz gebauschten Fahnen" eines unbekannten Verfassers in der
Sammlung „Der Kampf", Seite 74. Vielfach geht durch sie jener schwermütige
Ton, der das Volkslied so bang und süß macht: der Abschied, der Tod, die Heimat
und ihre Lieben, der treue Kamerad und sein Sterben, das sind die Gegenstände,
die dieser Kriegslyrik auch heute wieder ihren Gehalt geben. Beispiele für solche
Volkslieder sind in den erwähnten Sammlungen, namentlich in denen des
Diederichsschen Verlages, mehrfach vorhanden. Die Vorliebe für den Tod und
die Trauer des Krieges beherrscht auch sehr merklich Kurt Münzers Liederbüchlein:
„Taten und Kränze". (Axel Juncker Verlag, Berlin-Charlottenburg, Orplid-Bücher,
Band 13. In der gleichen etwas gesucht wirkenden Ausstattung der Orplid-Bücher
sind zwei Kriegsliedersammlungen erschienen: „Neue Kriegslieder" und „Kaserne
und Schützengraben". Die Sammlung „Soldatenlieder" wurde schon erwähnt).

Daneben aber fehlt auch nicht der Humor, der sich an dieses oder jenes kleine
Erlebnis anschließt oder die eigene Lage verspottet. Viel durch die Zeitungen
und — durch die Feldpostbriefe ist das famose Lehmlied gegangen:

[Beginn Spaltensatz] „Voll Lehm sind unsere Beine,
Voll Lehm auch das Gesicht,
Voll Lehm auch alles andre,
Was man man zu sehen kriegt.
Voll Lehm der Schützengraben,
Voll Lehm das Nachtquartier,
Voll Lehm die ganze Gegend,
Und alles ringsum hier. [Spaltenumbruch] So geht es Woch' um Wochen,
Nur Lehm und Lehm und Lehm,
Es geht bis auf die Knochen
Der ewige Lehm, Lehm, Lehm.
Da Plötzlich eine Wandlung,
Es geht in einem Hupp,
Jetzt regrets grad zwei Tage:
Statt Lehm ists ErbsensuPP." [Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/198>, abgerufen am 22.07.2024.