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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Napoleons Plan einer Invasion Englands ^foz--^hos

Gewässer aufsuchenden Streitmacht eine schnellsegelnde Brigg voraus, um die
englische Admiralität zu warnen. Man vermutete in London sehr richtig, daß
die Fahrt Villeneuves auf Ferrol gehe, und fand Zeit, ihm fünfzehn unter
Admiral Calder stehende Linienschiffe entgegenzuwerfen, denen er sich plötzlich
gegenübersah, als sein Geschwader am 22. Juli bei Kap Finisterre in die
Nähe der spanischen Küste gelangte. Es kam hier zu einer Schlacht, die unent¬
schieden blieb. Vielleicht hätte der französische Admiral nun immer noch den
alten Plan ausführen und die ihn sehnsüchtig erwartende Landungsarmee
konvoyieren können; aber er mußte natürlich, da seine ursprüngliche Absicht
augenscheinlich vom Gegner erraten war, gewärtig sein, bei einer Fahrt nach
Norden eine stärkere feindliche Streitmacht, eventuell Nelson und Calder ver¬
eint, sich gegenüber zu finden, und mit einer solchen bei der zweifellosen
Überlegenheit der gegnerischen Schiffe und Mannschaften den Kampf aufzunehmen,
war in der Tat ein sehr gewagtes Beginnen. So verzichtete er darauf, nach
dem Kanal zu segeln, und begab sich Mitte August in den wohlbefestigten
Hafen von Cadiz.

Napoleon, dessen Vorbereitungen soweit gediehen waren, daß er sicher
glaubte, die Überfahrt im August unternehmen zu können, erfuhr am 20. Juli
in Paris aus englischen Zeitungen, Villeneuve sei auf der Heimkehr von
Amerika begriffen, und begab sich, das Herz von Hoffnung geschwellt -- und
um so mehr, als er Nelson noch in Westindien wähnte -- Anfang August
nach Boulogne; jeden Augenblick, meinte er, würden seine Schiffe vor dem
Hafen erscheinen. Man kann sich die Unruhe vorstellen, mit der der Hoffnungs¬
freudige wartete, was die nächste Zukunft bringen würde; von einem erhöhten
Punkte des Gestades schaute er ab und zu nach der britischen Küste hinüber,
wie einst Moses' Auge vom Berge Nebo aus das Land seines Sehnens suchte,
das er nie betreten sollte, und täglich schritt er die Klippen ab oder ritt ruhe,
los den Strand entlang, den Blick, der die Armada erspähen sollte, gespannt
auf das Meer gerichtet. Aber die Segel Villeneuves wollten sich nicht am
Horizonte zeigen. Nach drei Wochen vergeblichen Harrens erkannte der Kaiser
schweren Herzens, daß er auf seine Flotte nicht mehr rechnen dürfe; nun mußte
die antifranzösische Koalition nicht an der Themse, sondern an der Donau
gesprengt werden. Über Villeneuve aber goß Napoleon die volle Schale seines
Zornes aus und legte ihm das Scheitern des ganzen Planes, eines der
bedeutendsten seines Lebens, zur Last. Doch ist es ihm damit schwerlich Ernst
gewesen; war er von der Berechtigung seiner Vorwürfe wirklich überzeugt --
warum setzte er den unfähigen Admiral nicht ab? Dessen Rückzug lieferte dem
Kaiser, der die Schwierigkeit der Expedition gegen England mit jedem Jahre
deutlicher erkannte, vielmehr einen höchst willkommenen Vorwand, davon abzu¬
stehen, ohne daß er selbst sich in den Augen der Welt blamierte, für die
Villeneuve der Sündenbock blieb. Man kann kaum zweifeln: der kontinentale
Feldzug, in dem der Kriegsfürst bei seiner eigenen Genialität und der Beschaffen-


Napoleons Plan einer Invasion Englands ^foz—^hos

Gewässer aufsuchenden Streitmacht eine schnellsegelnde Brigg voraus, um die
englische Admiralität zu warnen. Man vermutete in London sehr richtig, daß
die Fahrt Villeneuves auf Ferrol gehe, und fand Zeit, ihm fünfzehn unter
Admiral Calder stehende Linienschiffe entgegenzuwerfen, denen er sich plötzlich
gegenübersah, als sein Geschwader am 22. Juli bei Kap Finisterre in die
Nähe der spanischen Küste gelangte. Es kam hier zu einer Schlacht, die unent¬
schieden blieb. Vielleicht hätte der französische Admiral nun immer noch den
alten Plan ausführen und die ihn sehnsüchtig erwartende Landungsarmee
konvoyieren können; aber er mußte natürlich, da seine ursprüngliche Absicht
augenscheinlich vom Gegner erraten war, gewärtig sein, bei einer Fahrt nach
Norden eine stärkere feindliche Streitmacht, eventuell Nelson und Calder ver¬
eint, sich gegenüber zu finden, und mit einer solchen bei der zweifellosen
Überlegenheit der gegnerischen Schiffe und Mannschaften den Kampf aufzunehmen,
war in der Tat ein sehr gewagtes Beginnen. So verzichtete er darauf, nach
dem Kanal zu segeln, und begab sich Mitte August in den wohlbefestigten
Hafen von Cadiz.

Napoleon, dessen Vorbereitungen soweit gediehen waren, daß er sicher
glaubte, die Überfahrt im August unternehmen zu können, erfuhr am 20. Juli
in Paris aus englischen Zeitungen, Villeneuve sei auf der Heimkehr von
Amerika begriffen, und begab sich, das Herz von Hoffnung geschwellt — und
um so mehr, als er Nelson noch in Westindien wähnte — Anfang August
nach Boulogne; jeden Augenblick, meinte er, würden seine Schiffe vor dem
Hafen erscheinen. Man kann sich die Unruhe vorstellen, mit der der Hoffnungs¬
freudige wartete, was die nächste Zukunft bringen würde; von einem erhöhten
Punkte des Gestades schaute er ab und zu nach der britischen Küste hinüber,
wie einst Moses' Auge vom Berge Nebo aus das Land seines Sehnens suchte,
das er nie betreten sollte, und täglich schritt er die Klippen ab oder ritt ruhe,
los den Strand entlang, den Blick, der die Armada erspähen sollte, gespannt
auf das Meer gerichtet. Aber die Segel Villeneuves wollten sich nicht am
Horizonte zeigen. Nach drei Wochen vergeblichen Harrens erkannte der Kaiser
schweren Herzens, daß er auf seine Flotte nicht mehr rechnen dürfe; nun mußte
die antifranzösische Koalition nicht an der Themse, sondern an der Donau
gesprengt werden. Über Villeneuve aber goß Napoleon die volle Schale seines
Zornes aus und legte ihm das Scheitern des ganzen Planes, eines der
bedeutendsten seines Lebens, zur Last. Doch ist es ihm damit schwerlich Ernst
gewesen; war er von der Berechtigung seiner Vorwürfe wirklich überzeugt —
warum setzte er den unfähigen Admiral nicht ab? Dessen Rückzug lieferte dem
Kaiser, der die Schwierigkeit der Expedition gegen England mit jedem Jahre
deutlicher erkannte, vielmehr einen höchst willkommenen Vorwand, davon abzu¬
stehen, ohne daß er selbst sich in den Augen der Welt blamierte, für die
Villeneuve der Sündenbock blieb. Man kann kaum zweifeln: der kontinentale
Feldzug, in dem der Kriegsfürst bei seiner eigenen Genialität und der Beschaffen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/158>, abgerufen am 22.07.2024.