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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Napoleons Plan einer Invasion Englands I8os--jgos

von Hilfsgeldern an Frankreich verpflichtet, daher griffen englische Schiffe am
5. Oktober eine spanische Silberflotte, die aus Amerika kam, an; ein Fahrzeug
flog in die Luft, drei andere wurden nach England gebracht. Infolge dieses
Vorganges erklärte die Madrider Regierung den Briten den Krieg und schloß
mit Frankreich einen Vertrag, nach dem sich ihre Flotte unter Admiral
Gravina bei Fortfall der früher festgesetzten Subsidienzahlungen der französischen
anschloß.

Doch war der Kaiser trotz dieser Verstärkung seiner Kriegsmacht infolge
der Ausgabe oder des Scheiterns aller englischen Projekte in keiner beneidens¬
werten Lage. Nach den gewaltigen sich nun schon über einen Zeitraum von
anderthalb Jahren hinziehenden Rüstungen verlangte die Eitelkeit der Franzosen
nach einer Tat. Wo aber fand sich die Gelegenheit dazu? Es gab nur einen
Ausweg aus der Klemme: einen Kontinentalkrieg. Und da schien das Glück
seinem Günstling allerdings weiter entgegenkommen zu wollen als bei seiner
maritimen Unternehmung; ja -- wunderbares Spiel des Schicksals! -- aus
der mißlichen Lage am Kanal half ihm gerade sein bitterster Hasser heraus.
Im Mai 1804 kehrte, nachdem der schwache Addington verzichtet hatte, durch
die drohende Gefahr der Invasion gerufen, William Pitt in das Ministerium
zurück, und sofort begannen nun Unterhandlungen mit den Festlandsstaaten
und Versuche, eine neue Vereinigung gegen Napoleon zustande zu bringen, die
das Schwergewicht seiner Macht von dem Inselreiche ablenken sollte. Und dem
energischen und gewandten Vertreter der britischen Interessen blieb die Gegen¬
liebe nicht versagt. Die Mahnungen Pitts fanden zunächst in Petersburg und
bald auch in Wien Gehör: die dritte Koalition begann Tatsache zu werden.
Nun hatte England den Festlandskrieg in Aussicht, der ihm seine drückendste
Sorge abnehmen sollte, und konnte der Genialität seines großen Staatsmannes
mit den Worten seines großen Dichters huldigen:

"Britischer Haß und britisches Gold" waren, wie Napoleon später bei Ausbruch
des Krieges seinem Heere zurief, Stifter des Bundes der Kontinentalstaaten
geworden. England konnte also mit dem Verlauf der Dinge zufrieden sein, nicht
minder aber Napoleon; denn erwies sich der Eintritt in die Welt auf der
andern Seite des Kanals auch 1805 als unausführbar, durfte er sicher sein,
auf dem Festlande Erfolge zu erzielen: seine Boulogner Armee war allen
Eventualitäten gewachsen.

Zunächst freilich dachte er immer noch, vor dem Ausbruch des Kampfes
auf dem Kontinente mit dem Inselstaats fertig zu werden; sobald dann die
britischen Hilfsgelder ausblieben, meinte er wohl nicht mit Unrecht, würden
die Bündnisse sich von selbst auflösen. Er faßte das Landungsprojekt im
Jahre 1805 also wieder fest ins Auge, erkannte aber immer deutlicher, daß,
er nicht imstande sein werde, den Kanal zu passieren, bevor seine Kriegsschiffe


Napoleons Plan einer Invasion Englands I8os—jgos

von Hilfsgeldern an Frankreich verpflichtet, daher griffen englische Schiffe am
5. Oktober eine spanische Silberflotte, die aus Amerika kam, an; ein Fahrzeug
flog in die Luft, drei andere wurden nach England gebracht. Infolge dieses
Vorganges erklärte die Madrider Regierung den Briten den Krieg und schloß
mit Frankreich einen Vertrag, nach dem sich ihre Flotte unter Admiral
Gravina bei Fortfall der früher festgesetzten Subsidienzahlungen der französischen
anschloß.

Doch war der Kaiser trotz dieser Verstärkung seiner Kriegsmacht infolge
der Ausgabe oder des Scheiterns aller englischen Projekte in keiner beneidens¬
werten Lage. Nach den gewaltigen sich nun schon über einen Zeitraum von
anderthalb Jahren hinziehenden Rüstungen verlangte die Eitelkeit der Franzosen
nach einer Tat. Wo aber fand sich die Gelegenheit dazu? Es gab nur einen
Ausweg aus der Klemme: einen Kontinentalkrieg. Und da schien das Glück
seinem Günstling allerdings weiter entgegenkommen zu wollen als bei seiner
maritimen Unternehmung; ja — wunderbares Spiel des Schicksals! — aus
der mißlichen Lage am Kanal half ihm gerade sein bitterster Hasser heraus.
Im Mai 1804 kehrte, nachdem der schwache Addington verzichtet hatte, durch
die drohende Gefahr der Invasion gerufen, William Pitt in das Ministerium
zurück, und sofort begannen nun Unterhandlungen mit den Festlandsstaaten
und Versuche, eine neue Vereinigung gegen Napoleon zustande zu bringen, die
das Schwergewicht seiner Macht von dem Inselreiche ablenken sollte. Und dem
energischen und gewandten Vertreter der britischen Interessen blieb die Gegen¬
liebe nicht versagt. Die Mahnungen Pitts fanden zunächst in Petersburg und
bald auch in Wien Gehör: die dritte Koalition begann Tatsache zu werden.
Nun hatte England den Festlandskrieg in Aussicht, der ihm seine drückendste
Sorge abnehmen sollte, und konnte der Genialität seines großen Staatsmannes
mit den Worten seines großen Dichters huldigen:

„Britischer Haß und britisches Gold" waren, wie Napoleon später bei Ausbruch
des Krieges seinem Heere zurief, Stifter des Bundes der Kontinentalstaaten
geworden. England konnte also mit dem Verlauf der Dinge zufrieden sein, nicht
minder aber Napoleon; denn erwies sich der Eintritt in die Welt auf der
andern Seite des Kanals auch 1805 als unausführbar, durfte er sicher sein,
auf dem Festlande Erfolge zu erzielen: seine Boulogner Armee war allen
Eventualitäten gewachsen.

Zunächst freilich dachte er immer noch, vor dem Ausbruch des Kampfes
auf dem Kontinente mit dem Inselstaats fertig zu werden; sobald dann die
britischen Hilfsgelder ausblieben, meinte er wohl nicht mit Unrecht, würden
die Bündnisse sich von selbst auflösen. Er faßte das Landungsprojekt im
Jahre 1805 also wieder fest ins Auge, erkannte aber immer deutlicher, daß,
er nicht imstande sein werde, den Kanal zu passieren, bevor seine Kriegsschiffe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/156>, abgerufen am 22.07.2024.