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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Napoleons Plan einer Invasion Englands zsoz--;so5

gemachten Versuche den Anforderungen, die man an das Beförderungsmittel
stellte, nicht entsprochen Hatten. "Der Herkules des neunzehnten Jahrhunderts"
-- der Dampf -- lag eben noch in der Wiege. Auch ein von demselben
Erfinder konstruiertes Unterseebot mit Torpedoladung erwies sich als unzulänglich
für den Kampf gegen englische Schiffe, die der angreifenden Flotte etwa den
Weg verlegen könnten. Ein wenig später erwog man, Truppen durch riesige
Luftballons, von Gan-Lussac verbesserte Montgolsteren, hinüberschaffen zu lassen.
Doch auch dieser Plan wurde bald wieder aufgegeben.

So kam der Hochsommer 1804 mit seinen kurzen, hellen Nächten heran,
in denen eine heimliche Überfahrt, wie sie der Winter begünstigte, nicht gut
denkbar war; man mußte auf Kampf und Abwehr gefaßt sein, und dazu eben
bedürfte man einer Kriegsflotte. Auf Grund solcher Erwägungen bestimmte
ein das Datum des 2. Juli tragender Plan Napoleons, der in Toulon
kommandierende Admiral Latouche-Treville solle das ihn beobachtende feindliche
Geschwader zu durchbrechen suchen und mit seinen zehn Linienschiffen und vier
Fregatten in See stechen, ein in Cadiz liegendes französisches Kriegsschiff an
sich ziehen, die in Rochefort von Collingwood blockierten fünf Linienschiffe und
vier Fregatten befreien und dann dem Kanäle zustreben, um die in den
dortigen Häfen liegende Flottille nach England zu geleiten -- von den vielen,
stets wechselnden Projekten vielleicht das verständigste. Da traf den Kaiser ein
harter Schlag. Mitte August rief der Tod Latouche-Treville ab, den kühnsten
und vielleicht bedeutendsten der damaligen französischen Seeoffiziere. Der bald
ernannte Nachfolger, Villeneuve, mußte sich erst einleben, konnte vor Oktober
nicht aussegeln und vor November nicht im Kanal sein. So ruhten einstweilen
notgedrungen die Vorbereitungen zu dem Übergange nach England, nicht aber
der rastlose Geist des Kaisers, der einen neuen Plan entwarf. Demzufolge
sollten drei Expeditionen nach verschiedenen Richtungen hin auslaufen und in
der Verwirrung, die diese voraussichtlich britische Kolonien bedrohenden
Maßnahmen, wie man meinte, in den leitenden Londoner Kreisen hervorrufen
dürften, französische Truppen nach Irland geworfen werden, wo dann ein
Aufstand gegen die englische Herrschaft mit Sicherheit zu erwarten war. Diesem
Zwecke zu dienen, wurde die unter Ganteaume stehende Flotte von Brest
bestimmt, die sich allerdings erst dem sie blockierenden Cornwallis entziehen
mußte. Sie sollte 18000 Mann auf die eine französische Invasion sehnsüchtig
erwartende Insel hinüberführen und dann zurückkehren, um das Boulogner
Geschwader bei seiner Fahrt über die Meerenge zu eskortieren. Aber auch auf
die Realisierung dieses Septemberplanes mußte verzichtet werden, weil es
Ganteaume nicht glückte, sich den Händen des ihn belagernden Feindes zu
entwinden. Für den Rest des Jahres 1804 nahmen dann andere Ereignisse,
zumal die Vorbereitungen zur Krönungsfeier, den Kaiser so sehr in Anspruch,
daß er von der englischen Unternehmung abgelenkt wurde; doch fiel in diese
Zeit ein ihm hoch willkommenes Ereignis. Spanien hatte sich zur Zahlung


Napoleons Plan einer Invasion Englands zsoz—;so5

gemachten Versuche den Anforderungen, die man an das Beförderungsmittel
stellte, nicht entsprochen Hatten. „Der Herkules des neunzehnten Jahrhunderts"
— der Dampf — lag eben noch in der Wiege. Auch ein von demselben
Erfinder konstruiertes Unterseebot mit Torpedoladung erwies sich als unzulänglich
für den Kampf gegen englische Schiffe, die der angreifenden Flotte etwa den
Weg verlegen könnten. Ein wenig später erwog man, Truppen durch riesige
Luftballons, von Gan-Lussac verbesserte Montgolsteren, hinüberschaffen zu lassen.
Doch auch dieser Plan wurde bald wieder aufgegeben.

So kam der Hochsommer 1804 mit seinen kurzen, hellen Nächten heran,
in denen eine heimliche Überfahrt, wie sie der Winter begünstigte, nicht gut
denkbar war; man mußte auf Kampf und Abwehr gefaßt sein, und dazu eben
bedürfte man einer Kriegsflotte. Auf Grund solcher Erwägungen bestimmte
ein das Datum des 2. Juli tragender Plan Napoleons, der in Toulon
kommandierende Admiral Latouche-Treville solle das ihn beobachtende feindliche
Geschwader zu durchbrechen suchen und mit seinen zehn Linienschiffen und vier
Fregatten in See stechen, ein in Cadiz liegendes französisches Kriegsschiff an
sich ziehen, die in Rochefort von Collingwood blockierten fünf Linienschiffe und
vier Fregatten befreien und dann dem Kanäle zustreben, um die in den
dortigen Häfen liegende Flottille nach England zu geleiten — von den vielen,
stets wechselnden Projekten vielleicht das verständigste. Da traf den Kaiser ein
harter Schlag. Mitte August rief der Tod Latouche-Treville ab, den kühnsten
und vielleicht bedeutendsten der damaligen französischen Seeoffiziere. Der bald
ernannte Nachfolger, Villeneuve, mußte sich erst einleben, konnte vor Oktober
nicht aussegeln und vor November nicht im Kanal sein. So ruhten einstweilen
notgedrungen die Vorbereitungen zu dem Übergange nach England, nicht aber
der rastlose Geist des Kaisers, der einen neuen Plan entwarf. Demzufolge
sollten drei Expeditionen nach verschiedenen Richtungen hin auslaufen und in
der Verwirrung, die diese voraussichtlich britische Kolonien bedrohenden
Maßnahmen, wie man meinte, in den leitenden Londoner Kreisen hervorrufen
dürften, französische Truppen nach Irland geworfen werden, wo dann ein
Aufstand gegen die englische Herrschaft mit Sicherheit zu erwarten war. Diesem
Zwecke zu dienen, wurde die unter Ganteaume stehende Flotte von Brest
bestimmt, die sich allerdings erst dem sie blockierenden Cornwallis entziehen
mußte. Sie sollte 18000 Mann auf die eine französische Invasion sehnsüchtig
erwartende Insel hinüberführen und dann zurückkehren, um das Boulogner
Geschwader bei seiner Fahrt über die Meerenge zu eskortieren. Aber auch auf
die Realisierung dieses Septemberplanes mußte verzichtet werden, weil es
Ganteaume nicht glückte, sich den Händen des ihn belagernden Feindes zu
entwinden. Für den Rest des Jahres 1804 nahmen dann andere Ereignisse,
zumal die Vorbereitungen zur Krönungsfeier, den Kaiser so sehr in Anspruch,
daß er von der englischen Unternehmung abgelenkt wurde; doch fiel in diese
Zeit ein ihm hoch willkommenes Ereignis. Spanien hatte sich zur Zahlung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/155>, abgerufen am 24.08.2024.