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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Napoleons Plan einer Invasion Englands ;8<ZS-->göö

Pferde ermöglichten, es sofort nach der Landung auf feindlichem Gebiete in
Tätigkeit zu bringen. Die Bedienung jedes dieser Boote erforderte nur sechs
Matrosen; weitere Munition und der Rest der Bespannung mußte auf
Transportschiffen folgen. Die dritte Art Fahrzeuge, leichter und mobiler, mit
nur zwei Fuß Tiefgang, bestand aus großen, schmalen, sechzig Fuß langen
Kähnen oder "Kriegsbooten" (psniLdes); sie hatten sechzig Ruder, leichtes
Segelwerk und fuhren ziemlich schnell. Diese trugen etwa sechzig Soldaten, die
auch als Ruderer ausgebildet waren, und nur zwei oder drei Seeleute; Angriffe
abzuwehren, stand eine kleine Haubitze zur Verfügung. Da insgesamt mehr
als 150000 Mann, daneben 400 Geschütze und 10000 Pferde übergesetzt
werden sollten, berechnete man die Kriegsflotte auf rund 1200 und die Zahl
der Transportschiffe auf etwa 1000 Boote. Das ganze Geschwader umfaßte
also ungefähr 2200 Fahrzeuge. Man mußte in die Zeiten des Xerxes zurückgehen,
um Ähnliches zu finden.

In den Seehäfen allein konnte dieser enorme Bedarf nicht hergestellt
werden, da es dort an hinreichenden Werften wie an Holz und Arbeitskräften
mangelte; daher bedeckten sich die Ufer der größeren französischen Flüsse mit
improvisierten Anlagen für Schiffsbau. Tausende von Arbeitern holzten die
nahen Wälder ab, überall wurde gezimmert und gehämmert (in Paris allein
lagen gegen hundert Kanonenschaluppen auf Stapel), und nach verhältnismäßig
kurzer Zeit fuhren die flachen Boote ohne Schwierigkeit die Flüsse abwärts dem
Meere zu. Für die Transportflotte, die den Kriegsfahrzeugen Lebensmittel,
Waffen, Pferde, einen Belagerungspark und manches andere nachführen sollte,
wurden auch Fischerkähne, die man am Meeresufer zu Genüge bekommen konnte,
angekauft. Manche Departements wie auch die größeren Städte stellten der
Regierung nach Maßgabe ihrer Mittel Flachboote zur Verfügung; ja es griff
eine allgemeine Begeisterung Platz, und die in Paris zirkulierenden Subskriptions¬
listen bedeckten sich bald mit einer Menge Unterschriften. Dazu wurden ganz
Frankreichs Gießereien stark in Anspruch genommen durch die Herstellung von
Schiffskanonen; das Departement Code d'or allein lieferte hundert in Creusot
verfertigte derartige Geschütze. Mit Hilfe der Binnenschiffahrt wurde dann
Mehl zur Herstellung von Zwieback beschafft, ferner Reis, Hafer, Pökelfleisch,
Wein und Branntwein, aus Holland auch große Mengen Käse. Und nun kam,
September 1803, der Augenblick, wo alle diese Schiffe, die weit zerstreut in
den Flußmündungen lagen und durch die Engländer scharf beobachtet wurden,
in Boulogne und einigen kleinen Nachbarhäfen konzentriert werden mußten.
Die Aufgabe schien nicht leicht zu lösen, aber Napoleon wußte Rat. Er befahl,
dicht am Ufer hinzufahren und die Boote auf den Strand laufen zu lassen,
falls sie von englischen Kreuzern bedrängt würden; allzusehr durften diese
der Sandbänke wegen sich dem Gestade nicht nähern, und die Boote machte
das nächste Hochwasser wieder flott. Dazu verteilte er über die ganze Küste
hin Kavallerieabteilungen, denen leichte Artillerie beigegeben wurde; zur


Napoleons Plan einer Invasion Englands ;8<ZS—>göö

Pferde ermöglichten, es sofort nach der Landung auf feindlichem Gebiete in
Tätigkeit zu bringen. Die Bedienung jedes dieser Boote erforderte nur sechs
Matrosen; weitere Munition und der Rest der Bespannung mußte auf
Transportschiffen folgen. Die dritte Art Fahrzeuge, leichter und mobiler, mit
nur zwei Fuß Tiefgang, bestand aus großen, schmalen, sechzig Fuß langen
Kähnen oder „Kriegsbooten" (psniLdes); sie hatten sechzig Ruder, leichtes
Segelwerk und fuhren ziemlich schnell. Diese trugen etwa sechzig Soldaten, die
auch als Ruderer ausgebildet waren, und nur zwei oder drei Seeleute; Angriffe
abzuwehren, stand eine kleine Haubitze zur Verfügung. Da insgesamt mehr
als 150000 Mann, daneben 400 Geschütze und 10000 Pferde übergesetzt
werden sollten, berechnete man die Kriegsflotte auf rund 1200 und die Zahl
der Transportschiffe auf etwa 1000 Boote. Das ganze Geschwader umfaßte
also ungefähr 2200 Fahrzeuge. Man mußte in die Zeiten des Xerxes zurückgehen,
um Ähnliches zu finden.

In den Seehäfen allein konnte dieser enorme Bedarf nicht hergestellt
werden, da es dort an hinreichenden Werften wie an Holz und Arbeitskräften
mangelte; daher bedeckten sich die Ufer der größeren französischen Flüsse mit
improvisierten Anlagen für Schiffsbau. Tausende von Arbeitern holzten die
nahen Wälder ab, überall wurde gezimmert und gehämmert (in Paris allein
lagen gegen hundert Kanonenschaluppen auf Stapel), und nach verhältnismäßig
kurzer Zeit fuhren die flachen Boote ohne Schwierigkeit die Flüsse abwärts dem
Meere zu. Für die Transportflotte, die den Kriegsfahrzeugen Lebensmittel,
Waffen, Pferde, einen Belagerungspark und manches andere nachführen sollte,
wurden auch Fischerkähne, die man am Meeresufer zu Genüge bekommen konnte,
angekauft. Manche Departements wie auch die größeren Städte stellten der
Regierung nach Maßgabe ihrer Mittel Flachboote zur Verfügung; ja es griff
eine allgemeine Begeisterung Platz, und die in Paris zirkulierenden Subskriptions¬
listen bedeckten sich bald mit einer Menge Unterschriften. Dazu wurden ganz
Frankreichs Gießereien stark in Anspruch genommen durch die Herstellung von
Schiffskanonen; das Departement Code d'or allein lieferte hundert in Creusot
verfertigte derartige Geschütze. Mit Hilfe der Binnenschiffahrt wurde dann
Mehl zur Herstellung von Zwieback beschafft, ferner Reis, Hafer, Pökelfleisch,
Wein und Branntwein, aus Holland auch große Mengen Käse. Und nun kam,
September 1803, der Augenblick, wo alle diese Schiffe, die weit zerstreut in
den Flußmündungen lagen und durch die Engländer scharf beobachtet wurden,
in Boulogne und einigen kleinen Nachbarhäfen konzentriert werden mußten.
Die Aufgabe schien nicht leicht zu lösen, aber Napoleon wußte Rat. Er befahl,
dicht am Ufer hinzufahren und die Boote auf den Strand laufen zu lassen,
falls sie von englischen Kreuzern bedrängt würden; allzusehr durften diese
der Sandbänke wegen sich dem Gestade nicht nähern, und die Boote machte
das nächste Hochwasser wieder flott. Dazu verteilte er über die ganze Küste
hin Kavallerieabteilungen, denen leichte Artillerie beigegeben wurde; zur


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[0153] Napoleons Plan einer Invasion Englands ;8<ZS—>göö Pferde ermöglichten, es sofort nach der Landung auf feindlichem Gebiete in Tätigkeit zu bringen. Die Bedienung jedes dieser Boote erforderte nur sechs Matrosen; weitere Munition und der Rest der Bespannung mußte auf Transportschiffen folgen. Die dritte Art Fahrzeuge, leichter und mobiler, mit nur zwei Fuß Tiefgang, bestand aus großen, schmalen, sechzig Fuß langen Kähnen oder „Kriegsbooten" (psniLdes); sie hatten sechzig Ruder, leichtes Segelwerk und fuhren ziemlich schnell. Diese trugen etwa sechzig Soldaten, die auch als Ruderer ausgebildet waren, und nur zwei oder drei Seeleute; Angriffe abzuwehren, stand eine kleine Haubitze zur Verfügung. Da insgesamt mehr als 150000 Mann, daneben 400 Geschütze und 10000 Pferde übergesetzt werden sollten, berechnete man die Kriegsflotte auf rund 1200 und die Zahl der Transportschiffe auf etwa 1000 Boote. Das ganze Geschwader umfaßte also ungefähr 2200 Fahrzeuge. Man mußte in die Zeiten des Xerxes zurückgehen, um Ähnliches zu finden. In den Seehäfen allein konnte dieser enorme Bedarf nicht hergestellt werden, da es dort an hinreichenden Werften wie an Holz und Arbeitskräften mangelte; daher bedeckten sich die Ufer der größeren französischen Flüsse mit improvisierten Anlagen für Schiffsbau. Tausende von Arbeitern holzten die nahen Wälder ab, überall wurde gezimmert und gehämmert (in Paris allein lagen gegen hundert Kanonenschaluppen auf Stapel), und nach verhältnismäßig kurzer Zeit fuhren die flachen Boote ohne Schwierigkeit die Flüsse abwärts dem Meere zu. Für die Transportflotte, die den Kriegsfahrzeugen Lebensmittel, Waffen, Pferde, einen Belagerungspark und manches andere nachführen sollte, wurden auch Fischerkähne, die man am Meeresufer zu Genüge bekommen konnte, angekauft. Manche Departements wie auch die größeren Städte stellten der Regierung nach Maßgabe ihrer Mittel Flachboote zur Verfügung; ja es griff eine allgemeine Begeisterung Platz, und die in Paris zirkulierenden Subskriptions¬ listen bedeckten sich bald mit einer Menge Unterschriften. Dazu wurden ganz Frankreichs Gießereien stark in Anspruch genommen durch die Herstellung von Schiffskanonen; das Departement Code d'or allein lieferte hundert in Creusot verfertigte derartige Geschütze. Mit Hilfe der Binnenschiffahrt wurde dann Mehl zur Herstellung von Zwieback beschafft, ferner Reis, Hafer, Pökelfleisch, Wein und Branntwein, aus Holland auch große Mengen Käse. Und nun kam, September 1803, der Augenblick, wo alle diese Schiffe, die weit zerstreut in den Flußmündungen lagen und durch die Engländer scharf beobachtet wurden, in Boulogne und einigen kleinen Nachbarhäfen konzentriert werden mußten. Die Aufgabe schien nicht leicht zu lösen, aber Napoleon wußte Rat. Er befahl, dicht am Ufer hinzufahren und die Boote auf den Strand laufen zu lassen, falls sie von englischen Kreuzern bedrängt würden; allzusehr durften diese der Sandbänke wegen sich dem Gestade nicht nähern, und die Boote machte das nächste Hochwasser wieder flott. Dazu verteilte er über die ganze Küste hin Kavallerieabteilungen, denen leichte Artillerie beigegeben wurde; zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/153>, abgerufen am 24.08.2024.