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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Napoleons Plan einer Invasion Englands ^803--1305

zeigte, daß die Ausführung eines solchen Planes keineswegs zu den Unmöglichkeiten
gehöre. Wie einst Julius Cäsars Legionäre den Briten die Überlegenheit
römischer Kriegskunst vor Augen geführt hatten, so machten sich später die
Angelsachsen, als Hilfsvölker gerufen, zu Herren des Landes, und wenn die
Dänen, die nach ihnen den Schrecken ihres Namens auf der ganzen Insel
verbreiteten, ihre Herrschaft den stammverwandten Normannen zu hinterlassen
vermochten, so wiesen diese selbst ihre Erbberechtigung 1066 bei Battie-Abbey
mit dem Schwerte in der Hand so intensiv nach, daß Herzog Wilhelm der
Eroberer sich bereits am Weihnachtsfeste desselben Jahres in Westminster zum
König krönen lassen konnte. Freilich, die britischen Kelten der cäsarianischen
Tage und die späteren Bewohner Englands bis ins zweite Jahrtausend nach
Christi Geburt hinein, waren noch nicht das an stolzer Kraft den kontinentalen
Nachbarn völlig ebenbürtige Volk, das Napoleon den Fehdehandschuh hinwarf;
gegen dieses neuzeitliche Britenreich, das sich im Vereine mit dem schützenden
Elemente seiner Feinde sehr wohl zu erwehren wußte, tollkühn vorzugehen,
warnte dringlich genug die Umschrift der bekannten Denkmünze: ,,/Mavit
vsus, et all88ipati sunt."

Aber der Konsul der stärksten Festlandsmacht traute sich die Kraft zu,
sein Letsrum censeo in die Tat umzusetzen; nur das war die Frage, wie
man es fertig bringen würde, den trennenden Graben zu nehmen. Ein Linien¬
schiff saßte für ein paar Tage 600 bis 700 Mann, eine Fregatte vielleicht die
Hälfte. Man hätte also neben den 40 Linienschiffen, über die man an Ort
und Stelle verfügte, noch etwa 200 Fregatten nötig gehabt, um eine Armee
von nur 100000 Mann überzusetzen; eine Anzahl Fahrzeuge, die zu stellen völlig
unmöglich war, ganz abgesehen davon, daß sich an der ganzen Küste von
Ostende bis Le Havre nicht ein einziger Hafen fand, der imstande gewesen
wäre, sie aufzunehmen. Man dachte unter diesen Umständen zunächst an
schwimmende Batterien, wie sie 1781 bei der Belagerung Gibraltars verwendet
worden waren, kam davon aber bald zurück und verfiel darauf, flache Boote
zu bauen, die der französischen Häfen wegen nur einen geringen Tiefgang haben
durften und das Stranden zur Ebbezeit vertragen konnten; solcher Fahrzeuge
wurden von Juli 1803 an drei Arten hergestellt. Es waren erstens große,
solide konstruierte "Kanonenschaluppen" (cKaloupsZ LÄNnonisi-es, scherzhaft
auch ,,coqullls8 6e noix" genannt); diese trugen je vier Geschütze groben
Kalibers, zwei vorn und zwei hinten, waren aufgetakelt wie Briggs, das heißt
mit zwei Masten versehen, wurden bedient durch vierundzwanzig Matrosen und
konnten eine Kompagnie Infanterie (100 Mann) mit allem Zubehör fassen.
Die Fahrzeuge der zweiten Art, die man "Kanonenboote" (batsaux eannonisl-s)
nannte, waren weniger stark bewaffnet und weniger härtlich; sie beförderten
außer einer Kompagnie Infanterie auch Feldartillerie. Von den zwei Kanonen,
mit denen man sie versah, war die eine ein Feldgeschütz, das auf einer Lafette
ruhte. Beigegebene Artilleriemunition wie zwei in einem Stalle untergebrachte


Napoleons Plan einer Invasion Englands ^803—1305

zeigte, daß die Ausführung eines solchen Planes keineswegs zu den Unmöglichkeiten
gehöre. Wie einst Julius Cäsars Legionäre den Briten die Überlegenheit
römischer Kriegskunst vor Augen geführt hatten, so machten sich später die
Angelsachsen, als Hilfsvölker gerufen, zu Herren des Landes, und wenn die
Dänen, die nach ihnen den Schrecken ihres Namens auf der ganzen Insel
verbreiteten, ihre Herrschaft den stammverwandten Normannen zu hinterlassen
vermochten, so wiesen diese selbst ihre Erbberechtigung 1066 bei Battie-Abbey
mit dem Schwerte in der Hand so intensiv nach, daß Herzog Wilhelm der
Eroberer sich bereits am Weihnachtsfeste desselben Jahres in Westminster zum
König krönen lassen konnte. Freilich, die britischen Kelten der cäsarianischen
Tage und die späteren Bewohner Englands bis ins zweite Jahrtausend nach
Christi Geburt hinein, waren noch nicht das an stolzer Kraft den kontinentalen
Nachbarn völlig ebenbürtige Volk, das Napoleon den Fehdehandschuh hinwarf;
gegen dieses neuzeitliche Britenreich, das sich im Vereine mit dem schützenden
Elemente seiner Feinde sehr wohl zu erwehren wußte, tollkühn vorzugehen,
warnte dringlich genug die Umschrift der bekannten Denkmünze: ,,/Mavit
vsus, et all88ipati sunt."

Aber der Konsul der stärksten Festlandsmacht traute sich die Kraft zu,
sein Letsrum censeo in die Tat umzusetzen; nur das war die Frage, wie
man es fertig bringen würde, den trennenden Graben zu nehmen. Ein Linien¬
schiff saßte für ein paar Tage 600 bis 700 Mann, eine Fregatte vielleicht die
Hälfte. Man hätte also neben den 40 Linienschiffen, über die man an Ort
und Stelle verfügte, noch etwa 200 Fregatten nötig gehabt, um eine Armee
von nur 100000 Mann überzusetzen; eine Anzahl Fahrzeuge, die zu stellen völlig
unmöglich war, ganz abgesehen davon, daß sich an der ganzen Küste von
Ostende bis Le Havre nicht ein einziger Hafen fand, der imstande gewesen
wäre, sie aufzunehmen. Man dachte unter diesen Umständen zunächst an
schwimmende Batterien, wie sie 1781 bei der Belagerung Gibraltars verwendet
worden waren, kam davon aber bald zurück und verfiel darauf, flache Boote
zu bauen, die der französischen Häfen wegen nur einen geringen Tiefgang haben
durften und das Stranden zur Ebbezeit vertragen konnten; solcher Fahrzeuge
wurden von Juli 1803 an drei Arten hergestellt. Es waren erstens große,
solide konstruierte „Kanonenschaluppen" (cKaloupsZ LÄNnonisi-es, scherzhaft
auch ,,coqullls8 6e noix" genannt); diese trugen je vier Geschütze groben
Kalibers, zwei vorn und zwei hinten, waren aufgetakelt wie Briggs, das heißt
mit zwei Masten versehen, wurden bedient durch vierundzwanzig Matrosen und
konnten eine Kompagnie Infanterie (100 Mann) mit allem Zubehör fassen.
Die Fahrzeuge der zweiten Art, die man „Kanonenboote" (batsaux eannonisl-s)
nannte, waren weniger stark bewaffnet und weniger härtlich; sie beförderten
außer einer Kompagnie Infanterie auch Feldartillerie. Von den zwei Kanonen,
mit denen man sie versah, war die eine ein Feldgeschütz, das auf einer Lafette
ruhte. Beigegebene Artilleriemunition wie zwei in einem Stalle untergebrachte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/152>, abgerufen am 22.07.2024.