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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schweden und der Weltkrieg

erwogen haben und die Behörden sollen großes Interesse für den Plan be¬
kunden. Was soll in aller Welt, so wird man kopfschüttelnd fragen, das Thema
einer solchen Zusammenkunft bilden? Nichts Geringeres als die Zukunft Finn¬
lands. In "Social-Demokraten" selbst hat man eine Artikelserie veröffentlicht,
in der dargelegt wird, daß das finnische Volk selbst keine Hoffnung mehr hat.
bei Aufrechterhaltung der Zarenmacht seine Selbständigkeit und Freiheit zu be¬
wahren. Trotzdem hält man in der schwedischen Sozialdemokratie die Zeit für
gekommen, die Hindernisse, die "einer vertrauensvollen und freundschaftlichen
Verbindung der beiden Völker im Wege stehen, wegzuräumen". Merkwürdiger
Weise zitiert "Social-Demokraten" hier nicht die Stelle aus Ellen Keys oben¬
genannten Aufsatz, "daß jeder Blutstropfen in einem schwedischen Herzen den
Gedanken, die Hand über das niedergetretene Finnland unserm östlichen Nachbar
zu reichen, abweisen sollte". (Allerdings lehnt sie in diesem Zusammenhange
auch jede Waffenbrüderschaft mit dem südlichen Nachbar über das niedergetretene
Nordschleswig ab). Wir können uns nur wie ein rechtsstehendes schwedisches Blatt
wundern "über das Zusammenwirken des russischen Absolutismus und der schwedischen
Sozialdemokratie". Ob Finnlands Aussichten durch eine solche Konferenz wachsen
werden? "Svenska Dagbladet" erinnert mit Recht an den Besuch russischer
Dumamitglieder in England und macht darauf aufmerksam, daß die Fürsprecher
Finnlands in England seitdem verstummt find.

Mit diesen Ausführungen soll nun selbstverständlich nicht nachgewiesen
werden, daß jeder Sozialdemokrat der Meinung des Stockholmer Parteiorgans
wäre. Für die Sache Deutschlands hat der bekannte schwedische Revisionist
und Sozialdemokrat Gustav F. Steffen in schwedischen und deutschen Zeitungen
Partei ergriffen. Wegen seiner Stellungnahme zur Verletzung der belgischen
Neutralität in der "Vosstschen Zeitung" mußte er aus dem Vertrauensrat der
schwedischen Sozialdemokratie ausscheiden. Er hat in seinem Buche "Krieg und
Kultur" (Erster Band, deutsch, bei Eugen Diederichs, Jena, 1915), von dem
soeben auch der zweite Teil in schwedischer Sprache erschienen ist, sich
mit den deutschfeindlichen Äußerungen der Engländer und Russen ausein¬
andergesetzt und wichtige Dokumente für die ^Denkungsart unserer Feinde bei¬
gebracht. Besonderen Wert erhält seine Beurteilung durch die tiefgehende
Kenntnis, die er von der Kultur, insbesondere von der Volkswirtschaft Gro߬
britanniens besitzt; er hat mehr wie ein Jahrzehnt in England gelebt.
Mit feiner Ironie behandelt er die Art, mit der die Engländer versuchen, ihr
Bündnis mit Rußland zu rechtfertigen, den russisch-englischen Kampf für
"Demokratie und Freiheit" zu erklären. Allerdings halten es die meisten
Engländer für besser, über das Zusammenwirken beider Reiche kein Wort
zu verlieren, nur einige sprechen sich offen, sogar in Privatbriefen an Steffen
aus: man will mit Hilfe Rußlands den größten Konkurrenten, Deutschland,
niederzwingen, um nachher dem Koloß seine Friedensbedingungen zu diktieren.
Mit gutem Verständnis weist Steffen die englischen Anklagen gegen den deutschen


Schweden und der Weltkrieg

erwogen haben und die Behörden sollen großes Interesse für den Plan be¬
kunden. Was soll in aller Welt, so wird man kopfschüttelnd fragen, das Thema
einer solchen Zusammenkunft bilden? Nichts Geringeres als die Zukunft Finn¬
lands. In „Social-Demokraten" selbst hat man eine Artikelserie veröffentlicht,
in der dargelegt wird, daß das finnische Volk selbst keine Hoffnung mehr hat.
bei Aufrechterhaltung der Zarenmacht seine Selbständigkeit und Freiheit zu be¬
wahren. Trotzdem hält man in der schwedischen Sozialdemokratie die Zeit für
gekommen, die Hindernisse, die „einer vertrauensvollen und freundschaftlichen
Verbindung der beiden Völker im Wege stehen, wegzuräumen". Merkwürdiger
Weise zitiert „Social-Demokraten" hier nicht die Stelle aus Ellen Keys oben¬
genannten Aufsatz, „daß jeder Blutstropfen in einem schwedischen Herzen den
Gedanken, die Hand über das niedergetretene Finnland unserm östlichen Nachbar
zu reichen, abweisen sollte". (Allerdings lehnt sie in diesem Zusammenhange
auch jede Waffenbrüderschaft mit dem südlichen Nachbar über das niedergetretene
Nordschleswig ab). Wir können uns nur wie ein rechtsstehendes schwedisches Blatt
wundern „über das Zusammenwirken des russischen Absolutismus und der schwedischen
Sozialdemokratie". Ob Finnlands Aussichten durch eine solche Konferenz wachsen
werden? „Svenska Dagbladet" erinnert mit Recht an den Besuch russischer
Dumamitglieder in England und macht darauf aufmerksam, daß die Fürsprecher
Finnlands in England seitdem verstummt find.

Mit diesen Ausführungen soll nun selbstverständlich nicht nachgewiesen
werden, daß jeder Sozialdemokrat der Meinung des Stockholmer Parteiorgans
wäre. Für die Sache Deutschlands hat der bekannte schwedische Revisionist
und Sozialdemokrat Gustav F. Steffen in schwedischen und deutschen Zeitungen
Partei ergriffen. Wegen seiner Stellungnahme zur Verletzung der belgischen
Neutralität in der „Vosstschen Zeitung" mußte er aus dem Vertrauensrat der
schwedischen Sozialdemokratie ausscheiden. Er hat in seinem Buche „Krieg und
Kultur" (Erster Band, deutsch, bei Eugen Diederichs, Jena, 1915), von dem
soeben auch der zweite Teil in schwedischer Sprache erschienen ist, sich
mit den deutschfeindlichen Äußerungen der Engländer und Russen ausein¬
andergesetzt und wichtige Dokumente für die ^Denkungsart unserer Feinde bei¬
gebracht. Besonderen Wert erhält seine Beurteilung durch die tiefgehende
Kenntnis, die er von der Kultur, insbesondere von der Volkswirtschaft Gro߬
britanniens besitzt; er hat mehr wie ein Jahrzehnt in England gelebt.
Mit feiner Ironie behandelt er die Art, mit der die Engländer versuchen, ihr
Bündnis mit Rußland zu rechtfertigen, den russisch-englischen Kampf für
„Demokratie und Freiheit" zu erklären. Allerdings halten es die meisten
Engländer für besser, über das Zusammenwirken beider Reiche kein Wort
zu verlieren, nur einige sprechen sich offen, sogar in Privatbriefen an Steffen
aus: man will mit Hilfe Rußlands den größten Konkurrenten, Deutschland,
niederzwingen, um nachher dem Koloß seine Friedensbedingungen zu diktieren.
Mit gutem Verständnis weist Steffen die englischen Anklagen gegen den deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/116>, abgerufen am 24.08.2024.