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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

so daß das gewalttge durchaus tragisch anmutende Geschichtsbild in seiner
nunmehrigen fragmentarischen Fassung in eine halb idyllische, halb
ironische Schilderung, wie sie den Heldentaten dieser KrShwinkler entspricht,
ausklingt.

Es muß dahingestellt bleiben, ob nur äußere Gründe die Fortsetzung und
Vollendung dieser Denkwürdigkeiten verhindert oder ob auch innere Stimmungen
dazu mitgewirkt haben, daß sie liegen geblieben sind. Unwahrscheinlich ist
letzteres nicht. Gobineau macht in der Schrift selbst durchaus kein Hehl daraus,
daß nach seiner Ansicht schon nach den ersten Niederlagen, zum mindesten aber
nach Sedan, hätte Frieden geschlossen werden sollen. Diese Ansicht mag manchem
paradox erscheinen, hatte bet ihm aber jedenfalls einen tiefen Widerwillen gegen
den ganzen späteren Teil des Krieges im Gefolge, den er durchaus für Mache,
nicht für einen Ausfluß der Volksstimmung, für eine Regung und Leistung der
Volkskräfte hielt. Und noch größer war sein Widerwille gegen den Mann, der
die Seele dieser Kämpfe war, weil er an dessen Volkslieds und Patriotismus
nicht glaubte, ihn als durch kein echtes Band mit Frankreich verbunden anerkennen
mochte.

Wie dem auch sei, wir haben uns damit abzufinden, daß er eine seiner
bedeutsamsten Schriften -- denn das bleibt fie auch als Torso -- nicht ab¬
geschlossen hat. Was deren in vieler Beziehung einzigartige Bedeutung ausmacht
ist dies, daß, wiewohl jedes Wort darin mit dem ehernen Griffel des unerbittlichen
Richters niedergeschrieben scheint, dennoch gerade diese Unerbittlichkeit zugleich
die Gewähr allerhöchster Wahrhaftigkeit in sich trägt, einer Wahrhaftigkeit, die
dabei in solchem Grade mit einer vielfach an Urkundlichkeit grenzenden Sachlichkeit
gepaart ist, daß man auch ihre objektiven Erträgnisse als lautere Wahrheit wird
ansprechen dürfen, bei der allenfalls nur einmal ein dem Grade nach zu starkes
Auftragen, nie aber ein Vergreifen im Wesenhaften denkbar bliebe. Gobineau
hätte diese Dinge nie schreiben können, wenn er sich nicht in jedem Augenblicke
bewußt gewesen wäre, daß hier nichts Persönliches mitspreche, daß einzig ein
Höheres, daß die Geschichte selbst -- die geschichtliche Wahrheit -- aus ihm
rede. Dieser höheren Authentizität tut es auch keinen Abbruch, daß manche
Partien der Schrift mit bitterem Hohn durchsetzt sind: tragen die betreffenden
Tatsachen solchen nicht vielmehr in sich, wie zum Betspiel die Ausgeburten, zu denen
die preußischen Ulanen in der französischen Bolksphantaste geworden sind? Auch
find die Regungen des Schmerzes, ja des Ingrimms durchweg bewundernswert
unterdrückt; das "Werde hart!" ist hier an einer letzten, größten Probe dermaßen
durchgeführt, daß man die blutigen Tränen kaum mehr ahnt, die dieser Mann
dennoch geweint haben muß, ehe er fie bestand. Gewiß ist, daß sein menschliches
Teil nur sehr leise hier und da aus seinem düstern Bilde mit hervorlugt, am
ersten noch etwa da, wo er -- wiederholt -- es beklagt, daß seinem Volke alle
Seelenbande nach oben verloren gegangen seien oder in den wie ein Aufschrei
(anläßlich Saarbrückens) sich ihm entringenden Worten, daß Ehre und Edel-


Gobineau über Deutsche und Franzosen

so daß das gewalttge durchaus tragisch anmutende Geschichtsbild in seiner
nunmehrigen fragmentarischen Fassung in eine halb idyllische, halb
ironische Schilderung, wie sie den Heldentaten dieser KrShwinkler entspricht,
ausklingt.

Es muß dahingestellt bleiben, ob nur äußere Gründe die Fortsetzung und
Vollendung dieser Denkwürdigkeiten verhindert oder ob auch innere Stimmungen
dazu mitgewirkt haben, daß sie liegen geblieben sind. Unwahrscheinlich ist
letzteres nicht. Gobineau macht in der Schrift selbst durchaus kein Hehl daraus,
daß nach seiner Ansicht schon nach den ersten Niederlagen, zum mindesten aber
nach Sedan, hätte Frieden geschlossen werden sollen. Diese Ansicht mag manchem
paradox erscheinen, hatte bet ihm aber jedenfalls einen tiefen Widerwillen gegen
den ganzen späteren Teil des Krieges im Gefolge, den er durchaus für Mache,
nicht für einen Ausfluß der Volksstimmung, für eine Regung und Leistung der
Volkskräfte hielt. Und noch größer war sein Widerwille gegen den Mann, der
die Seele dieser Kämpfe war, weil er an dessen Volkslieds und Patriotismus
nicht glaubte, ihn als durch kein echtes Band mit Frankreich verbunden anerkennen
mochte.

Wie dem auch sei, wir haben uns damit abzufinden, daß er eine seiner
bedeutsamsten Schriften — denn das bleibt fie auch als Torso — nicht ab¬
geschlossen hat. Was deren in vieler Beziehung einzigartige Bedeutung ausmacht
ist dies, daß, wiewohl jedes Wort darin mit dem ehernen Griffel des unerbittlichen
Richters niedergeschrieben scheint, dennoch gerade diese Unerbittlichkeit zugleich
die Gewähr allerhöchster Wahrhaftigkeit in sich trägt, einer Wahrhaftigkeit, die
dabei in solchem Grade mit einer vielfach an Urkundlichkeit grenzenden Sachlichkeit
gepaart ist, daß man auch ihre objektiven Erträgnisse als lautere Wahrheit wird
ansprechen dürfen, bei der allenfalls nur einmal ein dem Grade nach zu starkes
Auftragen, nie aber ein Vergreifen im Wesenhaften denkbar bliebe. Gobineau
hätte diese Dinge nie schreiben können, wenn er sich nicht in jedem Augenblicke
bewußt gewesen wäre, daß hier nichts Persönliches mitspreche, daß einzig ein
Höheres, daß die Geschichte selbst — die geschichtliche Wahrheit — aus ihm
rede. Dieser höheren Authentizität tut es auch keinen Abbruch, daß manche
Partien der Schrift mit bitterem Hohn durchsetzt sind: tragen die betreffenden
Tatsachen solchen nicht vielmehr in sich, wie zum Betspiel die Ausgeburten, zu denen
die preußischen Ulanen in der französischen Bolksphantaste geworden sind? Auch
find die Regungen des Schmerzes, ja des Ingrimms durchweg bewundernswert
unterdrückt; das „Werde hart!" ist hier an einer letzten, größten Probe dermaßen
durchgeführt, daß man die blutigen Tränen kaum mehr ahnt, die dieser Mann
dennoch geweint haben muß, ehe er fie bestand. Gewiß ist, daß sein menschliches
Teil nur sehr leise hier und da aus seinem düstern Bilde mit hervorlugt, am
ersten noch etwa da, wo er — wiederholt — es beklagt, daß seinem Volke alle
Seelenbande nach oben verloren gegangen seien oder in den wie ein Aufschrei
(anläßlich Saarbrückens) sich ihm entringenden Worten, daß Ehre und Edel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/100>, abgerufen am 22.07.2024.