Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr..Zur Genesis des Weltkrieges zu decken. England kennt diese Schwäche; wenn es trotzdem unternimmt, die .Zur Genesis des Weltkrieges zu decken. England kennt diese Schwäche; wenn es trotzdem unternimmt, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/361948"/> <fw type="header" place="top"> .Zur Genesis des Weltkrieges</fw><lb/> <p xml:id="ID_166" prev="#ID_165" next="#ID_167"> zu decken. England kennt diese Schwäche; wenn es trotzdem unternimmt, die<lb/> deutschen Handelsverbindungen zu stören, so ist die Furcht vor dem deutschen<lb/> Wettbewerb dabei nur mittelbar wirksam. Stärker greift die Sorge durch, das<lb/> methodisch sichere und unbeirrte Vordringen der Deutschen auf dem Weltmarkt<lb/> werde die Maschen des goldenen Netzes zerreißen, das England über die Völker<lb/> der Erde geworfen hat. Dies goldene Netz sind die Milliarden, die das britische<lb/> >>nselreich in ausländischen Staatsanleihen und Unternehmungen angelegt hat.<lb/> Ihretwegen ist ihm die halbe Welt tributpflichtig, sie haben den Charakter der<lb/> britischen Volkswirtschaft gewandelt und England zum Rentnerstaat gemacht,<lb/> von einem Ausmaß, für den es in geschichtlicher Zeit an jedem Beispiel fehlt.<lb/> Nicht einmal der sagenhafte Reichtum Karthagos im Altertum, nicht Spaniens,<lb/> nicht Hollands gold- und silberdurchwirkte Weltherrschaft der neueren Zeit<lb/> Zeichen da heran. Allein die britische kapitalistische Weltherrschaft ist nicht<lb/> gesicherter Eigenbau. Es sind nicht die stählernen Glieder einer Kette, die<lb/> hier ineinandergreifen, sondern ein wildes und unruhiges Zusammenraffen,<lb/> um den Rentenbezug des Mutterlandes außerhalb jeder Gefahrzone zu rücken.<lb/> Das englische Problem ist, um es noch einmal zu wiederholen, dies: der<lb/> industrielle Export des Jnselreiches genügt längst nicht mehr, um die Ein¬<lb/> fuhr notwendiger Lebensmittel und Rohstoffe zu bezahlen. Den Ausgleich<lb/> muß England in den Überschüssen seiner Forderungsbilanz suchen. Diese setzen<lb/> sich zusammen aus Schiffahrtspesen, aus Renten und Zinsen der im Auslande<lb/> angelegten Kapitalien. Vornehmlich war und ist es die britische Handelsflotte,<lb/> die auf allen Hochstraßen des Weltverkehrs die reichsten Ernten einheimst. Diese<lb/> Flotte umfaßt 4.5 von Hundert der schwimmenden Tonnage der gesamten Welt-<lb/> Handelsflotte. Der Seeverkehr Großbritanniens und Irlands ist allein größer<lb/> als der der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Deutschlands zusammen.<lb/> In deutschen Häfen sind im Jahre 1912 rund 13 000 Schiffe angekommen,<lb/> gegen 44 000 in Häfen des britischen Jnselreichs. Ängstlich muß England<lb/> besorgt sein, dies Übergewicht seiner Handelsflotte zu behaupten, da es sonst<lb/> nicht imstande wäre, die notwendige Einfuhr zu bezahlen. Würde dies Über¬<lb/> gewicht ernstlich bedroht, so stünde Großbritannien vor seiner Schicksalswende.<lb/> Verschürft wurde das Problem durch die innerpolitische Entwicklung. Der<lb/> Plutokratisch verseuchten Aristokratie drohte durch den beginnenden Prozeß der<lb/> Demokratisierung Gefahr. Zwar ist England noch immer eine Aristokratie,<lb/> trotz aller Verfassungsreformen des viktorianischen Zeitalters. Indessen gab es<lb/> doch einsichtige Köpfe, die in schweigendem Egoismus erkannten, daß Gro߬<lb/> britannien gerade wegen seiner imperialistischen Energie in einer Weltkrisis<lb/> scheitern müßte, wenn nicht die eigenwirtschaslliche Grundlage des Jnselreiches<lb/> erweitert und stärker untermauert werden würde. Zu diesen Köpfen gehörte<lb/> auch der des demokratischen Brandfeuerwerkers Llovd George. Deshalb die<lb/> staatssozialistischen Versuche, die doch letzten Endes in der Agrarreform ihre<lb/> Krönung finden sollten, um die Ernährung Englands vom Auslande etwas</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
.Zur Genesis des Weltkrieges
zu decken. England kennt diese Schwäche; wenn es trotzdem unternimmt, die
deutschen Handelsverbindungen zu stören, so ist die Furcht vor dem deutschen
Wettbewerb dabei nur mittelbar wirksam. Stärker greift die Sorge durch, das
methodisch sichere und unbeirrte Vordringen der Deutschen auf dem Weltmarkt
werde die Maschen des goldenen Netzes zerreißen, das England über die Völker
der Erde geworfen hat. Dies goldene Netz sind die Milliarden, die das britische
>>nselreich in ausländischen Staatsanleihen und Unternehmungen angelegt hat.
Ihretwegen ist ihm die halbe Welt tributpflichtig, sie haben den Charakter der
britischen Volkswirtschaft gewandelt und England zum Rentnerstaat gemacht,
von einem Ausmaß, für den es in geschichtlicher Zeit an jedem Beispiel fehlt.
Nicht einmal der sagenhafte Reichtum Karthagos im Altertum, nicht Spaniens,
nicht Hollands gold- und silberdurchwirkte Weltherrschaft der neueren Zeit
Zeichen da heran. Allein die britische kapitalistische Weltherrschaft ist nicht
gesicherter Eigenbau. Es sind nicht die stählernen Glieder einer Kette, die
hier ineinandergreifen, sondern ein wildes und unruhiges Zusammenraffen,
um den Rentenbezug des Mutterlandes außerhalb jeder Gefahrzone zu rücken.
Das englische Problem ist, um es noch einmal zu wiederholen, dies: der
industrielle Export des Jnselreiches genügt längst nicht mehr, um die Ein¬
fuhr notwendiger Lebensmittel und Rohstoffe zu bezahlen. Den Ausgleich
muß England in den Überschüssen seiner Forderungsbilanz suchen. Diese setzen
sich zusammen aus Schiffahrtspesen, aus Renten und Zinsen der im Auslande
angelegten Kapitalien. Vornehmlich war und ist es die britische Handelsflotte,
die auf allen Hochstraßen des Weltverkehrs die reichsten Ernten einheimst. Diese
Flotte umfaßt 4.5 von Hundert der schwimmenden Tonnage der gesamten Welt-
Handelsflotte. Der Seeverkehr Großbritanniens und Irlands ist allein größer
als der der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Deutschlands zusammen.
In deutschen Häfen sind im Jahre 1912 rund 13 000 Schiffe angekommen,
gegen 44 000 in Häfen des britischen Jnselreichs. Ängstlich muß England
besorgt sein, dies Übergewicht seiner Handelsflotte zu behaupten, da es sonst
nicht imstande wäre, die notwendige Einfuhr zu bezahlen. Würde dies Über¬
gewicht ernstlich bedroht, so stünde Großbritannien vor seiner Schicksalswende.
Verschürft wurde das Problem durch die innerpolitische Entwicklung. Der
Plutokratisch verseuchten Aristokratie drohte durch den beginnenden Prozeß der
Demokratisierung Gefahr. Zwar ist England noch immer eine Aristokratie,
trotz aller Verfassungsreformen des viktorianischen Zeitalters. Indessen gab es
doch einsichtige Köpfe, die in schweigendem Egoismus erkannten, daß Gro߬
britannien gerade wegen seiner imperialistischen Energie in einer Weltkrisis
scheitern müßte, wenn nicht die eigenwirtschaslliche Grundlage des Jnselreiches
erweitert und stärker untermauert werden würde. Zu diesen Köpfen gehörte
auch der des demokratischen Brandfeuerwerkers Llovd George. Deshalb die
staatssozialistischen Versuche, die doch letzten Endes in der Agrarreform ihre
Krönung finden sollten, um die Ernährung Englands vom Auslande etwas
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