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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Japans Presse und öffentliche Meinung während des Weltkrieges

japanischen Handelskreisen pflegen. Um zu verstehen, warum die anglo-japanische
Presse in Japan gegenüber der viel zahlreicheren national-japanischen Presse
so weitreichenden Einfluß besitzt, braucht man sich nur die sehr junge und kurze
Geschichte des japanischen Zeitungswesens überhaupt zu betrachten.

Nachdem bis 1872 nur vier bis fünf Blätter erschienen waren, die ent¬
weder nur Übersetzungen aus holländischen Zeitungen aus Batavia oder aus¬
schließlich Anzeigen brachten, begründete in jenem Jahre ein Engländer die
erste wirkliche Zeitung in modernem Sinne, die er "Schimbum sasschi" betitelte.
Von 1872 an nahm die Presse aber sowohl in der Residenz wie in der Provinz
einen großartigen, schnellen Aufschwung, an dem namentlich anglo-amerikanisches
Kapital sich beteiligte. 1880 zählte man bereits 284 Zeitungen und Zeitschriften;
1890 waren es schon 716, davon 316 in Tokio; 1897 zählte man 745 Blätter
mit einer Gesamtauflage von 432 Millionen Exemplaren jährlich; 1903 war
die Zahl auf 1520 gestiegen. Heute zählt die japanische Presse weit über
2100 Blätter, von denen etwa 415 in der Hauptstadt erscheinen.

Die Aufmachung der großen Tokioer Zeitungen ist ganz amerikanisch:
großes Format, sensationelle Überschriften, Riesenreklame. Auch inhaltlich nähert
sich die japanische Zeitung immer mehr ihrer amerikanischen Schwester: sie
liebt den Klatsch in jeder Schattierung und verschmäht es auch nicht, die fettesten
Enten ihren Lesern vorzusetzen. Technisch ist das Zeitungswesen durchaus auf
der Höhe. Die japanischen Handsetzer sind äußerst gewandt. Setzmaschinen
lassen sich wegen der Eigenart der japanischen Druckschrift, die heute nur noch
aus 47 Zeichen besteht, nicht verwenden. Dagegen verwendet man große
modernste Rotationsmaschinen, die zum Teil in Japan erfunden und gebaut sind.

Unter den großen Tokioer Blättern erreicht eines, "Sadi-fehl Simpo", zu
deutsch: "Die neue Zeit", eine tägliche Auflage von 450 000 Exemplaren und
erscheint dreimal am Tage. Die nächstgrößten haben Auflagen von 100 000
bis 300 000 Exemplaren und erscheinen täglich zwei- und dreimal. Die soziale
Stellung der Redakteure und Journalisten ist ähnlich der in Frankreich. Es
ist wiederholt vorgekommen, daß ein Minister früher Chefredakteur einer großen
Tokioer Tageszeitung war, wie es z. B. beim gegenwärtigen Minister des
Innern der Fall ist.

Die Presse in der Provinz ist reich entwickelt, wie wir es nur in den
Vereinigten Staaten wiederfinden. Jedoch macht sich unter dem direkten Einfluß
der anglo-amerikanischen Riesenpresse mehr und mehr ein Rückgang in der Bedeu¬
tung und Rentabilität der Provinzpresse bemerkbar. Dieser schädliche Einfluß
geht in seinen allerletzten Zielen dahin, mit Hilfe fremden, natürlich englischen
Kapitals, die starke Provinzpresse zu unterdrücken, der Tokioer Sensationspresse
finanziell und geistig anzugliedern. Gegenwärtig ist die Entwicklung soweit,
daß die Mehrzahl der anglo-amerikanischen Zeitungen Tokios außer ihrer Stadt¬
auflage noch eine an gedehnte Provinzausgabe mit gleichem Inhalt herstellen
und zu groß angelegten Propagandazwecken verwenden. Mit Kriegsausbruch


Japans Presse und öffentliche Meinung während des Weltkrieges

japanischen Handelskreisen pflegen. Um zu verstehen, warum die anglo-japanische
Presse in Japan gegenüber der viel zahlreicheren national-japanischen Presse
so weitreichenden Einfluß besitzt, braucht man sich nur die sehr junge und kurze
Geschichte des japanischen Zeitungswesens überhaupt zu betrachten.

Nachdem bis 1872 nur vier bis fünf Blätter erschienen waren, die ent¬
weder nur Übersetzungen aus holländischen Zeitungen aus Batavia oder aus¬
schließlich Anzeigen brachten, begründete in jenem Jahre ein Engländer die
erste wirkliche Zeitung in modernem Sinne, die er „Schimbum sasschi" betitelte.
Von 1872 an nahm die Presse aber sowohl in der Residenz wie in der Provinz
einen großartigen, schnellen Aufschwung, an dem namentlich anglo-amerikanisches
Kapital sich beteiligte. 1880 zählte man bereits 284 Zeitungen und Zeitschriften;
1890 waren es schon 716, davon 316 in Tokio; 1897 zählte man 745 Blätter
mit einer Gesamtauflage von 432 Millionen Exemplaren jährlich; 1903 war
die Zahl auf 1520 gestiegen. Heute zählt die japanische Presse weit über
2100 Blätter, von denen etwa 415 in der Hauptstadt erscheinen.

Die Aufmachung der großen Tokioer Zeitungen ist ganz amerikanisch:
großes Format, sensationelle Überschriften, Riesenreklame. Auch inhaltlich nähert
sich die japanische Zeitung immer mehr ihrer amerikanischen Schwester: sie
liebt den Klatsch in jeder Schattierung und verschmäht es auch nicht, die fettesten
Enten ihren Lesern vorzusetzen. Technisch ist das Zeitungswesen durchaus auf
der Höhe. Die japanischen Handsetzer sind äußerst gewandt. Setzmaschinen
lassen sich wegen der Eigenart der japanischen Druckschrift, die heute nur noch
aus 47 Zeichen besteht, nicht verwenden. Dagegen verwendet man große
modernste Rotationsmaschinen, die zum Teil in Japan erfunden und gebaut sind.

Unter den großen Tokioer Blättern erreicht eines, „Sadi-fehl Simpo", zu
deutsch: „Die neue Zeit", eine tägliche Auflage von 450 000 Exemplaren und
erscheint dreimal am Tage. Die nächstgrößten haben Auflagen von 100 000
bis 300 000 Exemplaren und erscheinen täglich zwei- und dreimal. Die soziale
Stellung der Redakteure und Journalisten ist ähnlich der in Frankreich. Es
ist wiederholt vorgekommen, daß ein Minister früher Chefredakteur einer großen
Tokioer Tageszeitung war, wie es z. B. beim gegenwärtigen Minister des
Innern der Fall ist.

Die Presse in der Provinz ist reich entwickelt, wie wir es nur in den
Vereinigten Staaten wiederfinden. Jedoch macht sich unter dem direkten Einfluß
der anglo-amerikanischen Riesenpresse mehr und mehr ein Rückgang in der Bedeu¬
tung und Rentabilität der Provinzpresse bemerkbar. Dieser schädliche Einfluß
geht in seinen allerletzten Zielen dahin, mit Hilfe fremden, natürlich englischen
Kapitals, die starke Provinzpresse zu unterdrücken, der Tokioer Sensationspresse
finanziell und geistig anzugliedern. Gegenwärtig ist die Entwicklung soweit,
daß die Mehrzahl der anglo-amerikanischen Zeitungen Tokios außer ihrer Stadt¬
auflage noch eine an gedehnte Provinzausgabe mit gleichem Inhalt herstellen
und zu groß angelegten Propagandazwecken verwenden. Mit Kriegsausbruch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/382>, abgerufen am 27.09.2024.