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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die Begründung des Königreichs Belgien

die junge Königin Viktoria mit einem Mitgliede seines Hauses, dem Prinzen
Albert von Sachsen-Koburg und Gotha, zu vermählen. Das belgische und das
englische Königshaus waren seitdem gewissermaßen nur eine große Familie.
Dagegen mußten sich die dynastischen Beziehungen zu Frankreich von selbst
lockern, nachdem das Haus Orleans 1848 des französischen Thrones verlustig
gegangen war.

So blieb den Mächten denn nur noch die Aufgabe, die Auseinandersetzung
ihres Schützlings mit den feindlichen Niederlanden und ihrem stets noch grollenden
König Wilhelm dem Ersten herbeizuführen.

Da der belgische Nationalkongreß trotz heftigsten Widerspruchs der Klerikalen
die englischen Wünsche bei der Königswahl erfüllt hatte, beeilte sich auch die
Londoner Konferenz der Großmächte, Belgien so weit als möglich entgegen"
zukommen. Am 27. Juni setzte das Londoner Protokoll die 18 Artikel fest.
Darin war von einer Teilung der Staatsschuld abgesehen, Maestricht Belgien
zugesprochen, der bestehende Zustand in Luxemburg, das mit Ausnahme der
von Preußen besetzten Bundesfestung ganz mit Belgien vereinigt war. wurde
weiter geduldet. Während der belgische Nationalkongreß die 18 Artikel
annahm, erhob der König der Niederlande den heftigsten Widerspruch, und die
Ostmächte erklärten unter diesen Umständen, die Anerkennung des neuen Königs
noch zurückhalten zu müssen.

Und nun kam die Überraschung. Während König Leopold noch mit
Einzugsfesten beschäftigt war, rückten im August die Niederländer unter dem
Prinzen von Oranien wieder ein, warfen das revolutionär zerrüttete belgische
Heer über den Haufen, und der belgische König selbst holte sich die schmählichste
Niederlage bei Tieren. Jetzt konnten nur noch die beiden Schutzmächte helfen.
Eine englische Flotte lief in die Scheide ein, ein französisches Heer unter
Marschall G6rard überschritt die Grenzen und zerstörte als eine seiner ersten
Siegestaten das preußische Schlachtdenkmal bei Belle-Alliance. Die Niederländer
gingen schleunigst auf einen Waffenstillstand ein.

Da aber inzwischen Warschau gefallen und der polnische Aufstand im
Verlöschen war, erreichten sie wenigstens bessere Bedingungen für die Trennung.
Am 15. Oktober 1831 kam ein neues Protokoll von 24 Artikeln zustande.
Danach sollte Belgien einen Teil von Luxemburg und Limburg verlieren und
einen Anteil an der Staatsschuld übernehmen. Den Belgiern blieb nichts
anderes übrig, als sich zu fügen, aber König Wilhelm der Niederlande erhob
weiter Einspruch.

Nachdem König Leopold Hochzeit gefeiert, rückte im Einverständnisse mit den
Großmächten ein französisches Heer zum zweiten Male in Belgien ein und begann
am 14. November die Belagerung der noch von den Niederländern besetzten
Zitadelle von Antwerpen, die von General Chassö verteidigt wurde. Doch
sollte das um Himmels willen kein Krieg sein, sondern nur eine europäische
Zwangsvollstreckung. Die Belagerung hieß daher "Maßregel", die holländischen


Die Begründung des Königreichs Belgien

die junge Königin Viktoria mit einem Mitgliede seines Hauses, dem Prinzen
Albert von Sachsen-Koburg und Gotha, zu vermählen. Das belgische und das
englische Königshaus waren seitdem gewissermaßen nur eine große Familie.
Dagegen mußten sich die dynastischen Beziehungen zu Frankreich von selbst
lockern, nachdem das Haus Orleans 1848 des französischen Thrones verlustig
gegangen war.

So blieb den Mächten denn nur noch die Aufgabe, die Auseinandersetzung
ihres Schützlings mit den feindlichen Niederlanden und ihrem stets noch grollenden
König Wilhelm dem Ersten herbeizuführen.

Da der belgische Nationalkongreß trotz heftigsten Widerspruchs der Klerikalen
die englischen Wünsche bei der Königswahl erfüllt hatte, beeilte sich auch die
Londoner Konferenz der Großmächte, Belgien so weit als möglich entgegen»
zukommen. Am 27. Juni setzte das Londoner Protokoll die 18 Artikel fest.
Darin war von einer Teilung der Staatsschuld abgesehen, Maestricht Belgien
zugesprochen, der bestehende Zustand in Luxemburg, das mit Ausnahme der
von Preußen besetzten Bundesfestung ganz mit Belgien vereinigt war. wurde
weiter geduldet. Während der belgische Nationalkongreß die 18 Artikel
annahm, erhob der König der Niederlande den heftigsten Widerspruch, und die
Ostmächte erklärten unter diesen Umständen, die Anerkennung des neuen Königs
noch zurückhalten zu müssen.

Und nun kam die Überraschung. Während König Leopold noch mit
Einzugsfesten beschäftigt war, rückten im August die Niederländer unter dem
Prinzen von Oranien wieder ein, warfen das revolutionär zerrüttete belgische
Heer über den Haufen, und der belgische König selbst holte sich die schmählichste
Niederlage bei Tieren. Jetzt konnten nur noch die beiden Schutzmächte helfen.
Eine englische Flotte lief in die Scheide ein, ein französisches Heer unter
Marschall G6rard überschritt die Grenzen und zerstörte als eine seiner ersten
Siegestaten das preußische Schlachtdenkmal bei Belle-Alliance. Die Niederländer
gingen schleunigst auf einen Waffenstillstand ein.

Da aber inzwischen Warschau gefallen und der polnische Aufstand im
Verlöschen war, erreichten sie wenigstens bessere Bedingungen für die Trennung.
Am 15. Oktober 1831 kam ein neues Protokoll von 24 Artikeln zustande.
Danach sollte Belgien einen Teil von Luxemburg und Limburg verlieren und
einen Anteil an der Staatsschuld übernehmen. Den Belgiern blieb nichts
anderes übrig, als sich zu fügen, aber König Wilhelm der Niederlande erhob
weiter Einspruch.

Nachdem König Leopold Hochzeit gefeiert, rückte im Einverständnisse mit den
Großmächten ein französisches Heer zum zweiten Male in Belgien ein und begann
am 14. November die Belagerung der noch von den Niederländern besetzten
Zitadelle von Antwerpen, die von General Chassö verteidigt wurde. Doch
sollte das um Himmels willen kein Krieg sein, sondern nur eine europäische
Zwangsvollstreckung. Die Belagerung hieß daher „Maßregel", die holländischen


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[0375] Die Begründung des Königreichs Belgien die junge Königin Viktoria mit einem Mitgliede seines Hauses, dem Prinzen Albert von Sachsen-Koburg und Gotha, zu vermählen. Das belgische und das englische Königshaus waren seitdem gewissermaßen nur eine große Familie. Dagegen mußten sich die dynastischen Beziehungen zu Frankreich von selbst lockern, nachdem das Haus Orleans 1848 des französischen Thrones verlustig gegangen war. So blieb den Mächten denn nur noch die Aufgabe, die Auseinandersetzung ihres Schützlings mit den feindlichen Niederlanden und ihrem stets noch grollenden König Wilhelm dem Ersten herbeizuführen. Da der belgische Nationalkongreß trotz heftigsten Widerspruchs der Klerikalen die englischen Wünsche bei der Königswahl erfüllt hatte, beeilte sich auch die Londoner Konferenz der Großmächte, Belgien so weit als möglich entgegen» zukommen. Am 27. Juni setzte das Londoner Protokoll die 18 Artikel fest. Darin war von einer Teilung der Staatsschuld abgesehen, Maestricht Belgien zugesprochen, der bestehende Zustand in Luxemburg, das mit Ausnahme der von Preußen besetzten Bundesfestung ganz mit Belgien vereinigt war. wurde weiter geduldet. Während der belgische Nationalkongreß die 18 Artikel annahm, erhob der König der Niederlande den heftigsten Widerspruch, und die Ostmächte erklärten unter diesen Umständen, die Anerkennung des neuen Königs noch zurückhalten zu müssen. Und nun kam die Überraschung. Während König Leopold noch mit Einzugsfesten beschäftigt war, rückten im August die Niederländer unter dem Prinzen von Oranien wieder ein, warfen das revolutionär zerrüttete belgische Heer über den Haufen, und der belgische König selbst holte sich die schmählichste Niederlage bei Tieren. Jetzt konnten nur noch die beiden Schutzmächte helfen. Eine englische Flotte lief in die Scheide ein, ein französisches Heer unter Marschall G6rard überschritt die Grenzen und zerstörte als eine seiner ersten Siegestaten das preußische Schlachtdenkmal bei Belle-Alliance. Die Niederländer gingen schleunigst auf einen Waffenstillstand ein. Da aber inzwischen Warschau gefallen und der polnische Aufstand im Verlöschen war, erreichten sie wenigstens bessere Bedingungen für die Trennung. Am 15. Oktober 1831 kam ein neues Protokoll von 24 Artikeln zustande. Danach sollte Belgien einen Teil von Luxemburg und Limburg verlieren und einen Anteil an der Staatsschuld übernehmen. Den Belgiern blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen, aber König Wilhelm der Niederlande erhob weiter Einspruch. Nachdem König Leopold Hochzeit gefeiert, rückte im Einverständnisse mit den Großmächten ein französisches Heer zum zweiten Male in Belgien ein und begann am 14. November die Belagerung der noch von den Niederländern besetzten Zitadelle von Antwerpen, die von General Chassö verteidigt wurde. Doch sollte das um Himmels willen kein Krieg sein, sondern nur eine europäische Zwangsvollstreckung. Die Belagerung hieß daher „Maßregel", die holländischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/375>, abgerufen am 27.09.2024.