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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Rechtsfrieden

noch zu beachten, daß 14 Prozent der fraglichen Fälle sich dadurch erledigt
haben, daß nach entsprechender Aufklärung und Belehrung der in Anspruch
genommene Schuldner den gegen ihn geltend gemachten Anspruch ohne weiteres
anerkannt hat, und ein "Vergleich" nur durch Stundung und Gewährung von
Ratenzahlungen seitens des Gläubigers zum Besten beider Teile zustande
gekommen ist.

Man wird nun natürlich nicht erwarten dürfen, daß ein derartig günstiges
Ergebnis sich auch in Friedenszeiten herausstellen wird; es wäre aber schon ein
sehr guter Erfolg, wenn es nur gelänge, die Zahl der heutigen Prozesse um ein
Viertel bis ein Drittel zu verringen. Das Ergebnis der Tätigkeit des Frank¬
furter Etnigungsamtes lehrt jedenfalls -- und die Tätigkeit anderer Friedensämter
wird das gleiche lehren --, daß der Einwand, das Volk selbst wünsche keine
Güteverhandlungen, völlig unbegründet und durch die Tatsachen völlig wider-
legt wird. Man wird danach annehmen dürfen, daß uns in der kommenden
Friedenszeit diese jetzt ins Leben gerufenen Einigungs- und Friedensämter er¬
halten bleiben werden, und die leider bisher stark vernachlässigte Frage eine
allgemeine gesetzliche Regelung von Staats wegen finden wird.

Wem soll die Leitung der neu einzurichtenden Einigungsämter übertragen
werden? Daß es -- wenigstens für alle bedeutenderen Streitsachen -- Juristen
sein müssen, die durch Ablegung beider Staatsprüfungen einen gehörigen Nach¬
weis zureichender Rechtskenntnis erbracht haben, ist wohl ohne weiteres klar,
da ein nicht unerheblicher Teil der Rechtsstreitigkeiten nur durch Unkenntnis
oder Mißverständnis unseres geltenden Rechts entsteht. Die Leiter dieser Ämter
müssen, schon weil zu einer solchen Wirksamkeit auch eine große Lebens- aber
auch Nechtserfahrung gehört, Personen sein, die in längerer praktischer Tätigkeit
im Rechtsleben gestanden und die Prozeßnot des Volkes selbst mit empfunden
und erkannt haben. Es liegt im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung
nahe, in erster Linie an bewährte ältere Richter zu denken, und sicherlich wird
sich auch unter ihnen mancher finden, der in besonderem Maße dazu geeignet
ist. Aber es darf doch nicht verkannt werden, daß. seitdem die Prozeßinstruktion
von den Richtern auf die Rechtsanwälte übergegangen ist. und jene damit dem
unmittelbaren Verkehr mit dem Publikum ganz sicherlich ohne irgend ein eigenes
Verschulden und anscheinend im Wesentlichen nur aus finanzpolitischen Gründen,
zum großen Teil entrückt sind, es vielen von ihnen an der erforderlichen
Gewandheit im Verkehr mit dem Publikum mangelt. Sie sind zwar nicht
weltfremd, aber doch mehr oder weniger volksfremd geworden, ein Entwicklungs¬
gang, den man bedauern muß, und der von vielen von ihnen persönlich am
meisten bedauert wird, aber doch nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden
kann. Das ist auch der Grund, warum ich mit aller Entschiedenheit gegen
den Vorschlag, die vormundschaftsgerichtliche Tätigkeit von den Gerichten auf
die Komunalbehörden zu übertragen, eintrete. Das wäre nur ein weiterer
unheilvoller Schritt, die Richter dem Volke zu entfremden. -- Da die Notare,


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noch zu beachten, daß 14 Prozent der fraglichen Fälle sich dadurch erledigt
haben, daß nach entsprechender Aufklärung und Belehrung der in Anspruch
genommene Schuldner den gegen ihn geltend gemachten Anspruch ohne weiteres
anerkannt hat, und ein „Vergleich" nur durch Stundung und Gewährung von
Ratenzahlungen seitens des Gläubigers zum Besten beider Teile zustande
gekommen ist.

Man wird nun natürlich nicht erwarten dürfen, daß ein derartig günstiges
Ergebnis sich auch in Friedenszeiten herausstellen wird; es wäre aber schon ein
sehr guter Erfolg, wenn es nur gelänge, die Zahl der heutigen Prozesse um ein
Viertel bis ein Drittel zu verringen. Das Ergebnis der Tätigkeit des Frank¬
furter Etnigungsamtes lehrt jedenfalls — und die Tätigkeit anderer Friedensämter
wird das gleiche lehren —, daß der Einwand, das Volk selbst wünsche keine
Güteverhandlungen, völlig unbegründet und durch die Tatsachen völlig wider-
legt wird. Man wird danach annehmen dürfen, daß uns in der kommenden
Friedenszeit diese jetzt ins Leben gerufenen Einigungs- und Friedensämter er¬
halten bleiben werden, und die leider bisher stark vernachlässigte Frage eine
allgemeine gesetzliche Regelung von Staats wegen finden wird.

Wem soll die Leitung der neu einzurichtenden Einigungsämter übertragen
werden? Daß es — wenigstens für alle bedeutenderen Streitsachen — Juristen
sein müssen, die durch Ablegung beider Staatsprüfungen einen gehörigen Nach¬
weis zureichender Rechtskenntnis erbracht haben, ist wohl ohne weiteres klar,
da ein nicht unerheblicher Teil der Rechtsstreitigkeiten nur durch Unkenntnis
oder Mißverständnis unseres geltenden Rechts entsteht. Die Leiter dieser Ämter
müssen, schon weil zu einer solchen Wirksamkeit auch eine große Lebens- aber
auch Nechtserfahrung gehört, Personen sein, die in längerer praktischer Tätigkeit
im Rechtsleben gestanden und die Prozeßnot des Volkes selbst mit empfunden
und erkannt haben. Es liegt im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung
nahe, in erster Linie an bewährte ältere Richter zu denken, und sicherlich wird
sich auch unter ihnen mancher finden, der in besonderem Maße dazu geeignet
ist. Aber es darf doch nicht verkannt werden, daß. seitdem die Prozeßinstruktion
von den Richtern auf die Rechtsanwälte übergegangen ist. und jene damit dem
unmittelbaren Verkehr mit dem Publikum ganz sicherlich ohne irgend ein eigenes
Verschulden und anscheinend im Wesentlichen nur aus finanzpolitischen Gründen,
zum großen Teil entrückt sind, es vielen von ihnen an der erforderlichen
Gewandheit im Verkehr mit dem Publikum mangelt. Sie sind zwar nicht
weltfremd, aber doch mehr oder weniger volksfremd geworden, ein Entwicklungs¬
gang, den man bedauern muß, und der von vielen von ihnen persönlich am
meisten bedauert wird, aber doch nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden
kann. Das ist auch der Grund, warum ich mit aller Entschiedenheit gegen
den Vorschlag, die vormundschaftsgerichtliche Tätigkeit von den Gerichten auf
die Komunalbehörden zu übertragen, eintrete. Das wäre nur ein weiterer
unheilvoller Schritt, die Richter dem Volke zu entfremden. — Da die Notare,


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[0347] Rechtsfrieden noch zu beachten, daß 14 Prozent der fraglichen Fälle sich dadurch erledigt haben, daß nach entsprechender Aufklärung und Belehrung der in Anspruch genommene Schuldner den gegen ihn geltend gemachten Anspruch ohne weiteres anerkannt hat, und ein „Vergleich" nur durch Stundung und Gewährung von Ratenzahlungen seitens des Gläubigers zum Besten beider Teile zustande gekommen ist. Man wird nun natürlich nicht erwarten dürfen, daß ein derartig günstiges Ergebnis sich auch in Friedenszeiten herausstellen wird; es wäre aber schon ein sehr guter Erfolg, wenn es nur gelänge, die Zahl der heutigen Prozesse um ein Viertel bis ein Drittel zu verringen. Das Ergebnis der Tätigkeit des Frank¬ furter Etnigungsamtes lehrt jedenfalls — und die Tätigkeit anderer Friedensämter wird das gleiche lehren —, daß der Einwand, das Volk selbst wünsche keine Güteverhandlungen, völlig unbegründet und durch die Tatsachen völlig wider- legt wird. Man wird danach annehmen dürfen, daß uns in der kommenden Friedenszeit diese jetzt ins Leben gerufenen Einigungs- und Friedensämter er¬ halten bleiben werden, und die leider bisher stark vernachlässigte Frage eine allgemeine gesetzliche Regelung von Staats wegen finden wird. Wem soll die Leitung der neu einzurichtenden Einigungsämter übertragen werden? Daß es — wenigstens für alle bedeutenderen Streitsachen — Juristen sein müssen, die durch Ablegung beider Staatsprüfungen einen gehörigen Nach¬ weis zureichender Rechtskenntnis erbracht haben, ist wohl ohne weiteres klar, da ein nicht unerheblicher Teil der Rechtsstreitigkeiten nur durch Unkenntnis oder Mißverständnis unseres geltenden Rechts entsteht. Die Leiter dieser Ämter müssen, schon weil zu einer solchen Wirksamkeit auch eine große Lebens- aber auch Nechtserfahrung gehört, Personen sein, die in längerer praktischer Tätigkeit im Rechtsleben gestanden und die Prozeßnot des Volkes selbst mit empfunden und erkannt haben. Es liegt im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung nahe, in erster Linie an bewährte ältere Richter zu denken, und sicherlich wird sich auch unter ihnen mancher finden, der in besonderem Maße dazu geeignet ist. Aber es darf doch nicht verkannt werden, daß. seitdem die Prozeßinstruktion von den Richtern auf die Rechtsanwälte übergegangen ist. und jene damit dem unmittelbaren Verkehr mit dem Publikum ganz sicherlich ohne irgend ein eigenes Verschulden und anscheinend im Wesentlichen nur aus finanzpolitischen Gründen, zum großen Teil entrückt sind, es vielen von ihnen an der erforderlichen Gewandheit im Verkehr mit dem Publikum mangelt. Sie sind zwar nicht weltfremd, aber doch mehr oder weniger volksfremd geworden, ein Entwicklungs¬ gang, den man bedauern muß, und der von vielen von ihnen persönlich am meisten bedauert wird, aber doch nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden kann. Das ist auch der Grund, warum ich mit aller Entschiedenheit gegen den Vorschlag, die vormundschaftsgerichtliche Tätigkeit von den Gerichten auf die Komunalbehörden zu übertragen, eintrete. Das wäre nur ein weiterer unheilvoller Schritt, die Richter dem Volke zu entfremden. — Da die Notare,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/347>, abgerufen am 20.10.2024.