Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Rechtsfriedon nicht verbessert, sondern im Gegenteil in hohem Grade verschlechtert, ist eine Rechtsfriedon nicht verbessert, sondern im Gegenteil in hohem Grade verschlechtert, ist eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323442"/> <fw type="header" place="top"> Rechtsfriedon</fw><lb/> <p xml:id="ID_1158" prev="#ID_1157" next="#ID_1159"> nicht verbessert, sondern im Gegenteil in hohem Grade verschlechtert, ist eine<lb/> Tatsache, deren Bedeutung die Staatsregierung in älterer Zeit sehr wohl erkannt<lb/> hat, die aber leider in der neueren Zeit viel zu wenig beachtet wird. Hierdurch<lb/> erklärt es sich, daß der deutsche Richter in älterer Zeit nicht selbst das Urteil sprach,<lb/> sondern nur die Verhandlungen der streitenden Parteiein leitete, während das Urteil<lb/> selbst von den Volks-, Stammes- oder Gemeindegenossen, später von den aus ihrer<lb/> Zahl erwählten Rachimburgen, Schöffen oder Bürgern, den sogenannten Urteilsfindern<lb/> gesprochen wurde. Damit schob der Staat das mit jedem Urteil in den Augen<lb/> des unterliegenden Teils verbundene oäium in kluger Weise von dem die Staats¬<lb/> gewalt vertretenden Richter ab. Als später Handel und Wandel zunahmen,<lb/> die Inanspruchnahme des einzelnen Bürgers durch seine eigenen Angelegenheiten<lb/> wuchs und infolgedessen die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten besonderen<lb/> Richtern als Beamten des Staats und der Gemeinde anvertraut werden<lb/> mußte, erkannte der Staat, daß es nur daraus ankam, möglichst unabhängige<lb/> Richter anzustellen, und so wurden die Richter nicht nur auf festes Ge¬<lb/> halt gesetzt, sondern es wurden ihnen auch noch weitere Attribute ihrer<lb/> richterlichen Unabhängigkeit beigelegt. Zu allen Zeiten wurde dem deutschen<lb/> Richter von der Staatsgewalt und dem Gesetzgeber, zum Teil unter Strafan¬<lb/> drohung, zur ganz besonderen und vornehmsten Pflicht gemacht, in allen Rechts-<lb/> streitigkeiten zunächst den Versuch zu machen, die Parteien im Wege gütlicher<lb/> Aufklärung und Verhandlung über das streitige Verhältnis zu einigen. Erst<lb/> etwa um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde aus der früheren<lb/> Pflicht nur noch eine Befugnis des Richters, als man aus triftigen Gründen<lb/> dazu überging, dem Richter die wichtige Prozeßinstruktion zu nehmen, um sie<lb/> in die Hände der Rechtsanwälte zu legen. Damit war, so sehr man anerkennen<lb/> muß, daß auch viele Rechtsanwälte sich bemühen, wenn möglich eine gütliche<lb/> Schlichtung des Streitfalls zuwege zu bringen — ein Bemühen, das sich<lb/> allerdings nicht vor der Öffentlichkeit abzuspielen pflegt und daher manchen<lb/> Laien nicht bekannt ist —, naturgemäß ein starker und mit der stets wachsenden<lb/> Zahl der Rechtsanwälte zunehmender Rückgang in den Güteverhandlungen und<lb/> den gütlichen Schlichtungen verbunden. Zwar hat die Staatsregierung auch<lb/> heute noch Einrichtungen bestehen lassen — ich erinnere an den § 510c Z. P. O.<lb/> und die Schiedsmänner oder Friedensrichter in vielen deutschen Bundesstaaten —,<lb/> die der gütlichen Schlichtung von Rechtssteitigkeiten dienen sollen, aber ein Blick<lb/> auf die Statistik zeigt doch auch, in wie verschwindend wenigen Fällen gerade<lb/> diese Einrichtungen vom Publikum benutzt werden. Während zum Beispiel<lb/> im Jahre 1882 die sämtlichen Preußischen Amtsgerichte auf Grund des<lb/> § 510e noch in 6117 bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten als Einigungsamt angerufen<lb/> wurden — die höchste überhaupt vorgekommene Zahl —, ist die Zahl dieser<lb/> Fälle im Jahre 1913 auf 2438 zurückgegangen, von denen 757 gütlich ge¬<lb/> schlichtet wurden; und während die preußischen Schiedsmänner im Jahre<lb/> 1881 doch noch in 90760 Fällen zur Schlichtung bürgerlicher Rechtsstreitig-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0345]
Rechtsfriedon
nicht verbessert, sondern im Gegenteil in hohem Grade verschlechtert, ist eine
Tatsache, deren Bedeutung die Staatsregierung in älterer Zeit sehr wohl erkannt
hat, die aber leider in der neueren Zeit viel zu wenig beachtet wird. Hierdurch
erklärt es sich, daß der deutsche Richter in älterer Zeit nicht selbst das Urteil sprach,
sondern nur die Verhandlungen der streitenden Parteiein leitete, während das Urteil
selbst von den Volks-, Stammes- oder Gemeindegenossen, später von den aus ihrer
Zahl erwählten Rachimburgen, Schöffen oder Bürgern, den sogenannten Urteilsfindern
gesprochen wurde. Damit schob der Staat das mit jedem Urteil in den Augen
des unterliegenden Teils verbundene oäium in kluger Weise von dem die Staats¬
gewalt vertretenden Richter ab. Als später Handel und Wandel zunahmen,
die Inanspruchnahme des einzelnen Bürgers durch seine eigenen Angelegenheiten
wuchs und infolgedessen die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten besonderen
Richtern als Beamten des Staats und der Gemeinde anvertraut werden
mußte, erkannte der Staat, daß es nur daraus ankam, möglichst unabhängige
Richter anzustellen, und so wurden die Richter nicht nur auf festes Ge¬
halt gesetzt, sondern es wurden ihnen auch noch weitere Attribute ihrer
richterlichen Unabhängigkeit beigelegt. Zu allen Zeiten wurde dem deutschen
Richter von der Staatsgewalt und dem Gesetzgeber, zum Teil unter Strafan¬
drohung, zur ganz besonderen und vornehmsten Pflicht gemacht, in allen Rechts-
streitigkeiten zunächst den Versuch zu machen, die Parteien im Wege gütlicher
Aufklärung und Verhandlung über das streitige Verhältnis zu einigen. Erst
etwa um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde aus der früheren
Pflicht nur noch eine Befugnis des Richters, als man aus triftigen Gründen
dazu überging, dem Richter die wichtige Prozeßinstruktion zu nehmen, um sie
in die Hände der Rechtsanwälte zu legen. Damit war, so sehr man anerkennen
muß, daß auch viele Rechtsanwälte sich bemühen, wenn möglich eine gütliche
Schlichtung des Streitfalls zuwege zu bringen — ein Bemühen, das sich
allerdings nicht vor der Öffentlichkeit abzuspielen pflegt und daher manchen
Laien nicht bekannt ist —, naturgemäß ein starker und mit der stets wachsenden
Zahl der Rechtsanwälte zunehmender Rückgang in den Güteverhandlungen und
den gütlichen Schlichtungen verbunden. Zwar hat die Staatsregierung auch
heute noch Einrichtungen bestehen lassen — ich erinnere an den § 510c Z. P. O.
und die Schiedsmänner oder Friedensrichter in vielen deutschen Bundesstaaten —,
die der gütlichen Schlichtung von Rechtssteitigkeiten dienen sollen, aber ein Blick
auf die Statistik zeigt doch auch, in wie verschwindend wenigen Fällen gerade
diese Einrichtungen vom Publikum benutzt werden. Während zum Beispiel
im Jahre 1882 die sämtlichen Preußischen Amtsgerichte auf Grund des
§ 510e noch in 6117 bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten als Einigungsamt angerufen
wurden — die höchste überhaupt vorgekommene Zahl —, ist die Zahl dieser
Fälle im Jahre 1913 auf 2438 zurückgegangen, von denen 757 gütlich ge¬
schlichtet wurden; und während die preußischen Schiedsmänner im Jahre
1881 doch noch in 90760 Fällen zur Schlichtung bürgerlicher Rechtsstreitig-
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