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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Schweiz

Frankreich" kann man nachlesen, daß Bonaparte schon als Konsul, besonders
aber als Kaiser, den Staat als Maschine zur Erziehung von Truppen ein¬
richtete, daß sogar der Bildungsplan der Volksschulen darauf eingestellt war,
Soldaten und nichts als Soldaten für die Feldheere des Korsen zu liefern.
Erst nach seinem Zusammenbruch 1807 hat Preußen seine Wehrmacht auf die
Wehrpflicht des Volkes gegründet, zu keinem andern Zweck, als sich von der
napoleonischen Herrschaft zu befreien. Allein Preußen, das im geeinigten Deutsch¬
land aufging, ist immer nur ein Volk in Waffen gewesen, das keine andern
Kriege führte, als sie die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches erforderten.
Sieht man schärfer zu, so ist es allein die napoleonische Epoche, die während
eines Jahrhunderts über Europa den latenten Kriegszustand verhängt hat,
denn in dieser Epoche löste sich der Sinn des Nationalstaates aus dem
dynastischen System, das bis dahin geherrscht hatte. Gewiß war das nicht
Napoleons Absicht; daß er die Völker zu den Waffen rief, war seine und des
ruhmbegierigen Frankreichs Schuld. Die Einigung Deutschlands war dagegen
eine geschichtliche und kulturpolitische Notwendigkeit. Daß das Reich nach voll¬
zogener staatlicher Einigung feine Wehrmacht unablässig aufbaute und stärkte,
das wurde ihm aufgezwungen durch die unablässig geschürten Rachegedanken
der französischen Republik. Das war das große Ziel Gambettas und es ist
kein Zufall, daß die Staatsmänner, die nach Gambettas Tode die Republik
leiteten, im engern Sinne Schüler des leidenschaftlichen Mannes waren, unter
ihnen der alte Ribot, der heute die Finanzen Frankreichs betreut. Wie sehr
das Unglück Frankreichs und der Wille zur Vergeltung die Gedankenwelt der
französischen Republik beherrschte und beherrscht, das lehrt eindringlich die
zur Verherrlichung Gambettas geschriebene Geschichte des zeitgenössischen Frank¬
reichs von Gabriel Hanotoux. Es steht auf einem andern Blatte, daß die
französischen Nachepolitiker von den britischen Staatsmännern geschoben wurden.
Das Ziel stimmte überein: die Zertrümmerung Deutschlands. So wurde die
militärische Bereitschaft Deutschlands eine Pflicht, wie der Krieg ein unabwend¬
bares Schicksal war. solange es französische Minister gab, die das unverdiente
Unglück Frankreichs beklagten. Daß der Krieg, die Niederwerfung Belgiens
nicht ohne Blut und Feuer zu führen waren, das wußten jene, die diesen Krieg seit
vierzig Jahren unablässig vorbereiteten. Und wenn es englischer Heuchelei gelungen
ist, die Seele der Neutralen mit Abscheu vor "deutschen Grausamkeiten" zu
füllen, so vergessen die Briten wieder, daß ihr eiserner Herzog, das Muster und
der Spiegel eines Feldherrn im britischen Sinne, ein Vorbild geschaffen hat.
Auch er schützte seine Soldaten gegen Axt und Flinte rachsüchtiger Bauern, auch
er wich vor standrechtlichen Exempeln in solchen Fällen nicht zurück. Man möge
die Proklamationen nachlesen, die Wellington 1814 bei seinem Einrücken über
die spanisch-französische Grenze an die damaligen Franktireurs und Dorfschützen
erließ, die hinter Gräben und Hecken auf die englischen Rotröcke feuerten.
"Ich werde solche Personen aufhängen und die Dörfer, wo solches geschieht,


Deutschland und die Schweiz

Frankreich" kann man nachlesen, daß Bonaparte schon als Konsul, besonders
aber als Kaiser, den Staat als Maschine zur Erziehung von Truppen ein¬
richtete, daß sogar der Bildungsplan der Volksschulen darauf eingestellt war,
Soldaten und nichts als Soldaten für die Feldheere des Korsen zu liefern.
Erst nach seinem Zusammenbruch 1807 hat Preußen seine Wehrmacht auf die
Wehrpflicht des Volkes gegründet, zu keinem andern Zweck, als sich von der
napoleonischen Herrschaft zu befreien. Allein Preußen, das im geeinigten Deutsch¬
land aufging, ist immer nur ein Volk in Waffen gewesen, das keine andern
Kriege führte, als sie die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches erforderten.
Sieht man schärfer zu, so ist es allein die napoleonische Epoche, die während
eines Jahrhunderts über Europa den latenten Kriegszustand verhängt hat,
denn in dieser Epoche löste sich der Sinn des Nationalstaates aus dem
dynastischen System, das bis dahin geherrscht hatte. Gewiß war das nicht
Napoleons Absicht; daß er die Völker zu den Waffen rief, war seine und des
ruhmbegierigen Frankreichs Schuld. Die Einigung Deutschlands war dagegen
eine geschichtliche und kulturpolitische Notwendigkeit. Daß das Reich nach voll¬
zogener staatlicher Einigung feine Wehrmacht unablässig aufbaute und stärkte,
das wurde ihm aufgezwungen durch die unablässig geschürten Rachegedanken
der französischen Republik. Das war das große Ziel Gambettas und es ist
kein Zufall, daß die Staatsmänner, die nach Gambettas Tode die Republik
leiteten, im engern Sinne Schüler des leidenschaftlichen Mannes waren, unter
ihnen der alte Ribot, der heute die Finanzen Frankreichs betreut. Wie sehr
das Unglück Frankreichs und der Wille zur Vergeltung die Gedankenwelt der
französischen Republik beherrschte und beherrscht, das lehrt eindringlich die
zur Verherrlichung Gambettas geschriebene Geschichte des zeitgenössischen Frank¬
reichs von Gabriel Hanotoux. Es steht auf einem andern Blatte, daß die
französischen Nachepolitiker von den britischen Staatsmännern geschoben wurden.
Das Ziel stimmte überein: die Zertrümmerung Deutschlands. So wurde die
militärische Bereitschaft Deutschlands eine Pflicht, wie der Krieg ein unabwend¬
bares Schicksal war. solange es französische Minister gab, die das unverdiente
Unglück Frankreichs beklagten. Daß der Krieg, die Niederwerfung Belgiens
nicht ohne Blut und Feuer zu führen waren, das wußten jene, die diesen Krieg seit
vierzig Jahren unablässig vorbereiteten. Und wenn es englischer Heuchelei gelungen
ist, die Seele der Neutralen mit Abscheu vor „deutschen Grausamkeiten" zu
füllen, so vergessen die Briten wieder, daß ihr eiserner Herzog, das Muster und
der Spiegel eines Feldherrn im britischen Sinne, ein Vorbild geschaffen hat.
Auch er schützte seine Soldaten gegen Axt und Flinte rachsüchtiger Bauern, auch
er wich vor standrechtlichen Exempeln in solchen Fällen nicht zurück. Man möge
die Proklamationen nachlesen, die Wellington 1814 bei seinem Einrücken über
die spanisch-französische Grenze an die damaligen Franktireurs und Dorfschützen
erließ, die hinter Gräben und Hecken auf die englischen Rotröcke feuerten.
„Ich werde solche Personen aufhängen und die Dörfer, wo solches geschieht,


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[0339] Deutschland und die Schweiz Frankreich" kann man nachlesen, daß Bonaparte schon als Konsul, besonders aber als Kaiser, den Staat als Maschine zur Erziehung von Truppen ein¬ richtete, daß sogar der Bildungsplan der Volksschulen darauf eingestellt war, Soldaten und nichts als Soldaten für die Feldheere des Korsen zu liefern. Erst nach seinem Zusammenbruch 1807 hat Preußen seine Wehrmacht auf die Wehrpflicht des Volkes gegründet, zu keinem andern Zweck, als sich von der napoleonischen Herrschaft zu befreien. Allein Preußen, das im geeinigten Deutsch¬ land aufging, ist immer nur ein Volk in Waffen gewesen, das keine andern Kriege führte, als sie die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches erforderten. Sieht man schärfer zu, so ist es allein die napoleonische Epoche, die während eines Jahrhunderts über Europa den latenten Kriegszustand verhängt hat, denn in dieser Epoche löste sich der Sinn des Nationalstaates aus dem dynastischen System, das bis dahin geherrscht hatte. Gewiß war das nicht Napoleons Absicht; daß er die Völker zu den Waffen rief, war seine und des ruhmbegierigen Frankreichs Schuld. Die Einigung Deutschlands war dagegen eine geschichtliche und kulturpolitische Notwendigkeit. Daß das Reich nach voll¬ zogener staatlicher Einigung feine Wehrmacht unablässig aufbaute und stärkte, das wurde ihm aufgezwungen durch die unablässig geschürten Rachegedanken der französischen Republik. Das war das große Ziel Gambettas und es ist kein Zufall, daß die Staatsmänner, die nach Gambettas Tode die Republik leiteten, im engern Sinne Schüler des leidenschaftlichen Mannes waren, unter ihnen der alte Ribot, der heute die Finanzen Frankreichs betreut. Wie sehr das Unglück Frankreichs und der Wille zur Vergeltung die Gedankenwelt der französischen Republik beherrschte und beherrscht, das lehrt eindringlich die zur Verherrlichung Gambettas geschriebene Geschichte des zeitgenössischen Frank¬ reichs von Gabriel Hanotoux. Es steht auf einem andern Blatte, daß die französischen Nachepolitiker von den britischen Staatsmännern geschoben wurden. Das Ziel stimmte überein: die Zertrümmerung Deutschlands. So wurde die militärische Bereitschaft Deutschlands eine Pflicht, wie der Krieg ein unabwend¬ bares Schicksal war. solange es französische Minister gab, die das unverdiente Unglück Frankreichs beklagten. Daß der Krieg, die Niederwerfung Belgiens nicht ohne Blut und Feuer zu führen waren, das wußten jene, die diesen Krieg seit vierzig Jahren unablässig vorbereiteten. Und wenn es englischer Heuchelei gelungen ist, die Seele der Neutralen mit Abscheu vor „deutschen Grausamkeiten" zu füllen, so vergessen die Briten wieder, daß ihr eiserner Herzog, das Muster und der Spiegel eines Feldherrn im britischen Sinne, ein Vorbild geschaffen hat. Auch er schützte seine Soldaten gegen Axt und Flinte rachsüchtiger Bauern, auch er wich vor standrechtlichen Exempeln in solchen Fällen nicht zurück. Man möge die Proklamationen nachlesen, die Wellington 1814 bei seinem Einrücken über die spanisch-französische Grenze an die damaligen Franktireurs und Dorfschützen erließ, die hinter Gräben und Hecken auf die englischen Rotröcke feuerten. „Ich werde solche Personen aufhängen und die Dörfer, wo solches geschieht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/339>, abgerufen am 27.09.2024.