Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Deutschland und die Schweiz Analyse eine zulängliche Erklärung sich nicht gewinnen läßt. Da ist zunächst Wesen und Wirken der Neutralität der Schweiz findet in einer Botschaft Wenn die offizielle Schweiz sich auch mühte, korrekte Neutralität zu wahren, In den Wiener Verträgen war der Schweiz das Recht zugestanden worden, Deutschland und die Schweiz Analyse eine zulängliche Erklärung sich nicht gewinnen läßt. Da ist zunächst Wesen und Wirken der Neutralität der Schweiz findet in einer Botschaft Wenn die offizielle Schweiz sich auch mühte, korrekte Neutralität zu wahren, In den Wiener Verträgen war der Schweiz das Recht zugestanden worden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323431"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und die Schweiz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1137" prev="#ID_1136"> Analyse eine zulängliche Erklärung sich nicht gewinnen läßt. Da ist zunächst<lb/> die Erinnerung angebracht, daß die marmorkalte Neutralität der Schweiz uns<lb/> gegenüber kein neues Ereignis darstellt. Auch während der deutschen Einigungs¬<lb/> kriege vor vierundvierzig Jahren war die öffentliche Meinung der Schweiz,<lb/> soweit sie sich in der Presse dokumentierte, uns gegenüber sehr zurückhaltend.<lb/> Das gab Anlaß zu einer Preßfehde süddeutscher und schweizer Blätter, die teils<lb/> mit leidenschaftlicher Heftigkeit geführt wurde, ohne eine andere Wirkung zu<lb/> erzielen, als daß man aneinander vorbeiredete. Wir möchten das Urteil eines<lb/> zeitgenössischen Schweizer Historikers über diesen Zeitungskampf, daß er eine<lb/> neuzeitliche Auflage des „Schwabenkrieges" gewesen sei, ausdrücklich abweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1138"> Wesen und Wirken der Neutralität der Schweiz findet in einer Botschaft<lb/> des Bundesrates, die nach dem Kriege erschien, beredte Darlegung. Es heißt<lb/> da: Die Stellung der Neutralen ist zu allen Zeiten eine sehr schwierige gewesen;<lb/> der Neutrale soll sein eigenes Recht schirmen und es gleichzeitig zwei Gegnern,<lb/> die auf den Tod gegeneinander erbittert sind, recht machen. Diese Aufgabe<lb/> übersteigt beinahe die menschlichen Kräfte. Seit den ältesten bis auf die<lb/> neuesten Zeiten suchen die Kämpfenden selbst die unsterblichen Götter mit in<lb/> den Kampf zu ziehen und zu verflechten. Die neutrale Stellung der Schweiz<lb/> war in diesem Kriege noch mit eigentümlichen Schwierigkeiten verbunden. Es<lb/> waren ihre nächsten Nachbarn im Kampf; dieser nahm im Verlauf, nachdem er<lb/> den dynastischen Charakter verloren hatte, den Charakter eines Rassenkampfes<lb/> an und zwar zwischen den zwei Rassen, aus denen die Schweiz zusammengesetzt<lb/> ist. Gerade, weil Rasse, Religion und Interesse in ihrem Innern so geteilt<lb/> sind, muß jede offensive Einmischung in einem Krieg Dritter ihr im eigenen<lb/> Innern die tiefsten Wunden reißen und ihre Kraft lähmen, während sie im<lb/> Verteidigungskrieg deshalb so stark ist, weil alle Elemente sich gegen den gemein¬<lb/> samen Feind zusammenschließen. Wenn die Botschaft dann zum Schluß meint,<lb/> die verschiedenen Rassen brauchten nicht notwendig in feindlichem Gegensatz zu<lb/> stehen, die Entwicklung dränge auf eine Konföderation Europas hin, wofür die<lb/> rassenmäßig geteilte Zusammensetzung der Schweiz das Vorbild sei — so stehen<lb/> wir gegenwärtig noch weit von diesem Ziele.</p><lb/> <p xml:id="ID_1139"> Wenn die offizielle Schweiz sich auch mühte, korrekte Neutralität zu wahren,<lb/> so fiel es der romanischen Schweiz damals schon nicht ein, Kritik und Haltung<lb/> zu beobachten. Zwar hatte der Bundesrat der Presse gegenüber durchaus kein<lb/> Recht zum Einschreiten; er hinderte aber auch nicht nachdrücklich die offen betriebenen<lb/> Werbungen Frankreichs in den romanischen Kantonen. Vielleicht erkürt sich<lb/> das aus der Schwenkung der eidgenössischen Politik unter Beruf Führung zu¬<lb/> gunsten des Romanismus. Scharf hebt sich dies wenigstens aus den Ereignissen<lb/> heraus, die zusammen die Savoyische Frage bilden. Es ist notwendig, darauf<lb/> zurückzukommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1140" next="#ID_1141"> In den Wiener Verträgen war der Schweiz das Recht zugestanden worden,<lb/> Savoyen unter bestimmten Verhältnissen zu besetzen. Auf die nordsavoyischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
Deutschland und die Schweiz
Analyse eine zulängliche Erklärung sich nicht gewinnen läßt. Da ist zunächst
die Erinnerung angebracht, daß die marmorkalte Neutralität der Schweiz uns
gegenüber kein neues Ereignis darstellt. Auch während der deutschen Einigungs¬
kriege vor vierundvierzig Jahren war die öffentliche Meinung der Schweiz,
soweit sie sich in der Presse dokumentierte, uns gegenüber sehr zurückhaltend.
Das gab Anlaß zu einer Preßfehde süddeutscher und schweizer Blätter, die teils
mit leidenschaftlicher Heftigkeit geführt wurde, ohne eine andere Wirkung zu
erzielen, als daß man aneinander vorbeiredete. Wir möchten das Urteil eines
zeitgenössischen Schweizer Historikers über diesen Zeitungskampf, daß er eine
neuzeitliche Auflage des „Schwabenkrieges" gewesen sei, ausdrücklich abweisen.
Wesen und Wirken der Neutralität der Schweiz findet in einer Botschaft
des Bundesrates, die nach dem Kriege erschien, beredte Darlegung. Es heißt
da: Die Stellung der Neutralen ist zu allen Zeiten eine sehr schwierige gewesen;
der Neutrale soll sein eigenes Recht schirmen und es gleichzeitig zwei Gegnern,
die auf den Tod gegeneinander erbittert sind, recht machen. Diese Aufgabe
übersteigt beinahe die menschlichen Kräfte. Seit den ältesten bis auf die
neuesten Zeiten suchen die Kämpfenden selbst die unsterblichen Götter mit in
den Kampf zu ziehen und zu verflechten. Die neutrale Stellung der Schweiz
war in diesem Kriege noch mit eigentümlichen Schwierigkeiten verbunden. Es
waren ihre nächsten Nachbarn im Kampf; dieser nahm im Verlauf, nachdem er
den dynastischen Charakter verloren hatte, den Charakter eines Rassenkampfes
an und zwar zwischen den zwei Rassen, aus denen die Schweiz zusammengesetzt
ist. Gerade, weil Rasse, Religion und Interesse in ihrem Innern so geteilt
sind, muß jede offensive Einmischung in einem Krieg Dritter ihr im eigenen
Innern die tiefsten Wunden reißen und ihre Kraft lähmen, während sie im
Verteidigungskrieg deshalb so stark ist, weil alle Elemente sich gegen den gemein¬
samen Feind zusammenschließen. Wenn die Botschaft dann zum Schluß meint,
die verschiedenen Rassen brauchten nicht notwendig in feindlichem Gegensatz zu
stehen, die Entwicklung dränge auf eine Konföderation Europas hin, wofür die
rassenmäßig geteilte Zusammensetzung der Schweiz das Vorbild sei — so stehen
wir gegenwärtig noch weit von diesem Ziele.
Wenn die offizielle Schweiz sich auch mühte, korrekte Neutralität zu wahren,
so fiel es der romanischen Schweiz damals schon nicht ein, Kritik und Haltung
zu beobachten. Zwar hatte der Bundesrat der Presse gegenüber durchaus kein
Recht zum Einschreiten; er hinderte aber auch nicht nachdrücklich die offen betriebenen
Werbungen Frankreichs in den romanischen Kantonen. Vielleicht erkürt sich
das aus der Schwenkung der eidgenössischen Politik unter Beruf Führung zu¬
gunsten des Romanismus. Scharf hebt sich dies wenigstens aus den Ereignissen
heraus, die zusammen die Savoyische Frage bilden. Es ist notwendig, darauf
zurückzukommen.
In den Wiener Verträgen war der Schweiz das Recht zugestanden worden,
Savoyen unter bestimmten Verhältnissen zu besetzen. Auf die nordsavoyischen
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