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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Scckriegsrcchts

Die Pariser Deklaration von 1856 entsprach in völkerrechtlicher Hinsicht
der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung der kontinentalen Staaten und be¬
deutete in der seekriegsrechtlichen Entwicklung einen gewaltigen Schritt vorwärts.
Bis auf den heutigen Tag ist sie der bedeutsamste Vertrag, der von England
ratifiziert wurde, und vieles wäre schon erreicht gewesen, wenn England sich
an die Pariser Deklaraton nur hätte halten wollen. Es hat sich aber während
dieses Krieges herausgestellt, daß England weder die Pariser Deklaration noch
die zweite Haager Konferenz von 1907 und auch die allerdings nicht ratifizierte
Londoner Deklaration beachtet. In dem VI. und Xi. Abkommen der zweiten
Haager Friedenskonferenz wurden gewisse Einschränkungen in der Ausübung
des Seebeuterechtes gemacht. So wurde als erwünscht bezeichnet, daß feind¬
lichen Schiffen eine Frist zum Auslaufen aus einem feindlichen Hafen gewährt
werde. Ebenso sollten Schiffe, die in Unkenntnis des Kriegsausbruches auf
hoher See angetroffen werden, nicht der Einziehung, sondern nur der Beschlag¬
nahme unterliegen. Es ließ sich über diese Frage keine Einigung erzielen
und England hat sich deshalb nur ausnahmsweise an diese Bestimmungen
gehalten. Bald nach Ausbruch des Krieges kamen Nachrichten, daß England
sich an den Wortlaut der Londoner Deklaration halten würde. In der Order
in counLil vom 20. August führte England dann aber das Prinzip der ein¬
heitlichen Reise für relative Konterbande ein. Hierzu war es nach der Londoner
Deklaration nicht berechtigt. Für England kam es aber darauf an, relative
Konterbande, hierzu gehören nach der Londoner Deklaration auch Lebensmittel,
bestimmt nach einem neutralen Hafen, auch wie absolute Konterbande behandeln
zu können. Durch das Verhalten Englands zur Konterbandefrage wurde diese
zur wichtigsten des ganzen Seerechtsgebietes. England bestimmt heute diktatorisch,
was es für Konterbande hält, und alle übrigen Mächte haben sich damit ab¬
zufinden und wenn durch das Verhalten Englands selbst die Rechtssätze der
Pariser Deklaration illusorisch werden. Allerdings ist in der Pariser Deklaration
keine Erklärung abgegeben, welche Gegenstände als Konterbande gelten sollen.
Es hieße aber den Sinn der Pariser Deklaration verkennen, wenn man
annehmen wollte, England sei allein befugt, autonom den Begriff der Konter¬
bande festzusetzen. Daß England sich dieses Recht anmaßt und dazu in der
Praxis seine Flotte so handeln läßt, wie es ihr beliebt, beweist, wie weit es
gegenwärtig noch außerhalb des Kreises der Nationen steht, die gemeinsam in
völkerrechtlichen Verträgen über das zukünftige Seerecht zu bestimmen haben.

Wird aber England seine bisherige Stellungnahme zu seekriegsrechtlichen
Abmachungen nicht verlassen müssen? Kann England seine alle weltwirtschaftliche
Entwicklung ignorierende Stellung, von der es selbst am stärksten betroffen ist,
noch länger bewahren? Schon häufig ist im Laufe der letzten Monate der Krieg
mit seinen vielen Überraschungen (namentlich den Unterseebootserfolgen) als
Kulturförderer angesprochen worden. Er wird schließlich auch in England die
Macht der Kreise brechen, die für die Erhaltung des jetzigen Rechtszustandes


Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Scckriegsrcchts

Die Pariser Deklaration von 1856 entsprach in völkerrechtlicher Hinsicht
der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung der kontinentalen Staaten und be¬
deutete in der seekriegsrechtlichen Entwicklung einen gewaltigen Schritt vorwärts.
Bis auf den heutigen Tag ist sie der bedeutsamste Vertrag, der von England
ratifiziert wurde, und vieles wäre schon erreicht gewesen, wenn England sich
an die Pariser Deklaraton nur hätte halten wollen. Es hat sich aber während
dieses Krieges herausgestellt, daß England weder die Pariser Deklaration noch
die zweite Haager Konferenz von 1907 und auch die allerdings nicht ratifizierte
Londoner Deklaration beachtet. In dem VI. und Xi. Abkommen der zweiten
Haager Friedenskonferenz wurden gewisse Einschränkungen in der Ausübung
des Seebeuterechtes gemacht. So wurde als erwünscht bezeichnet, daß feind¬
lichen Schiffen eine Frist zum Auslaufen aus einem feindlichen Hafen gewährt
werde. Ebenso sollten Schiffe, die in Unkenntnis des Kriegsausbruches auf
hoher See angetroffen werden, nicht der Einziehung, sondern nur der Beschlag¬
nahme unterliegen. Es ließ sich über diese Frage keine Einigung erzielen
und England hat sich deshalb nur ausnahmsweise an diese Bestimmungen
gehalten. Bald nach Ausbruch des Krieges kamen Nachrichten, daß England
sich an den Wortlaut der Londoner Deklaration halten würde. In der Order
in counLil vom 20. August führte England dann aber das Prinzip der ein¬
heitlichen Reise für relative Konterbande ein. Hierzu war es nach der Londoner
Deklaration nicht berechtigt. Für England kam es aber darauf an, relative
Konterbande, hierzu gehören nach der Londoner Deklaration auch Lebensmittel,
bestimmt nach einem neutralen Hafen, auch wie absolute Konterbande behandeln
zu können. Durch das Verhalten Englands zur Konterbandefrage wurde diese
zur wichtigsten des ganzen Seerechtsgebietes. England bestimmt heute diktatorisch,
was es für Konterbande hält, und alle übrigen Mächte haben sich damit ab¬
zufinden und wenn durch das Verhalten Englands selbst die Rechtssätze der
Pariser Deklaration illusorisch werden. Allerdings ist in der Pariser Deklaration
keine Erklärung abgegeben, welche Gegenstände als Konterbande gelten sollen.
Es hieße aber den Sinn der Pariser Deklaration verkennen, wenn man
annehmen wollte, England sei allein befugt, autonom den Begriff der Konter¬
bande festzusetzen. Daß England sich dieses Recht anmaßt und dazu in der
Praxis seine Flotte so handeln läßt, wie es ihr beliebt, beweist, wie weit es
gegenwärtig noch außerhalb des Kreises der Nationen steht, die gemeinsam in
völkerrechtlichen Verträgen über das zukünftige Seerecht zu bestimmen haben.

Wird aber England seine bisherige Stellungnahme zu seekriegsrechtlichen
Abmachungen nicht verlassen müssen? Kann England seine alle weltwirtschaftliche
Entwicklung ignorierende Stellung, von der es selbst am stärksten betroffen ist,
noch länger bewahren? Schon häufig ist im Laufe der letzten Monate der Krieg
mit seinen vielen Überraschungen (namentlich den Unterseebootserfolgen) als
Kulturförderer angesprochen worden. Er wird schließlich auch in England die
Macht der Kreise brechen, die für die Erhaltung des jetzigen Rechtszustandes


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[0304] Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Scckriegsrcchts Die Pariser Deklaration von 1856 entsprach in völkerrechtlicher Hinsicht der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung der kontinentalen Staaten und be¬ deutete in der seekriegsrechtlichen Entwicklung einen gewaltigen Schritt vorwärts. Bis auf den heutigen Tag ist sie der bedeutsamste Vertrag, der von England ratifiziert wurde, und vieles wäre schon erreicht gewesen, wenn England sich an die Pariser Deklaraton nur hätte halten wollen. Es hat sich aber während dieses Krieges herausgestellt, daß England weder die Pariser Deklaration noch die zweite Haager Konferenz von 1907 und auch die allerdings nicht ratifizierte Londoner Deklaration beachtet. In dem VI. und Xi. Abkommen der zweiten Haager Friedenskonferenz wurden gewisse Einschränkungen in der Ausübung des Seebeuterechtes gemacht. So wurde als erwünscht bezeichnet, daß feind¬ lichen Schiffen eine Frist zum Auslaufen aus einem feindlichen Hafen gewährt werde. Ebenso sollten Schiffe, die in Unkenntnis des Kriegsausbruches auf hoher See angetroffen werden, nicht der Einziehung, sondern nur der Beschlag¬ nahme unterliegen. Es ließ sich über diese Frage keine Einigung erzielen und England hat sich deshalb nur ausnahmsweise an diese Bestimmungen gehalten. Bald nach Ausbruch des Krieges kamen Nachrichten, daß England sich an den Wortlaut der Londoner Deklaration halten würde. In der Order in counLil vom 20. August führte England dann aber das Prinzip der ein¬ heitlichen Reise für relative Konterbande ein. Hierzu war es nach der Londoner Deklaration nicht berechtigt. Für England kam es aber darauf an, relative Konterbande, hierzu gehören nach der Londoner Deklaration auch Lebensmittel, bestimmt nach einem neutralen Hafen, auch wie absolute Konterbande behandeln zu können. Durch das Verhalten Englands zur Konterbandefrage wurde diese zur wichtigsten des ganzen Seerechtsgebietes. England bestimmt heute diktatorisch, was es für Konterbande hält, und alle übrigen Mächte haben sich damit ab¬ zufinden und wenn durch das Verhalten Englands selbst die Rechtssätze der Pariser Deklaration illusorisch werden. Allerdings ist in der Pariser Deklaration keine Erklärung abgegeben, welche Gegenstände als Konterbande gelten sollen. Es hieße aber den Sinn der Pariser Deklaration verkennen, wenn man annehmen wollte, England sei allein befugt, autonom den Begriff der Konter¬ bande festzusetzen. Daß England sich dieses Recht anmaßt und dazu in der Praxis seine Flotte so handeln läßt, wie es ihr beliebt, beweist, wie weit es gegenwärtig noch außerhalb des Kreises der Nationen steht, die gemeinsam in völkerrechtlichen Verträgen über das zukünftige Seerecht zu bestimmen haben. Wird aber England seine bisherige Stellungnahme zu seekriegsrechtlichen Abmachungen nicht verlassen müssen? Kann England seine alle weltwirtschaftliche Entwicklung ignorierende Stellung, von der es selbst am stärksten betroffen ist, noch länger bewahren? Schon häufig ist im Laufe der letzten Monate der Krieg mit seinen vielen Überraschungen (namentlich den Unterseebootserfolgen) als Kulturförderer angesprochen worden. Er wird schließlich auch in England die Macht der Kreise brechen, die für die Erhaltung des jetzigen Rechtszustandes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/304>, abgerufen am 20.10.2024.