Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Kleine Hauskomödien mit Musik Wie ich bereits andeutete, bestehen die "kleinen Hauskomödien mit Musik" Es fragt sich nun vor allem: ist es überhaupt möglich, von einer Melodie Wir müssen uns des Opernbetriebes in früheren Zeiten entsinnen: da Kleine Hauskomödien mit Musik Wie ich bereits andeutete, bestehen die „kleinen Hauskomödien mit Musik" Es fragt sich nun vor allem: ist es überhaupt möglich, von einer Melodie Wir müssen uns des Opernbetriebes in früheren Zeiten entsinnen: da <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323390"/> <fw type="header" place="top"> Kleine Hauskomödien mit Musik</fw><lb/> <p xml:id="ID_926"> Wie ich bereits andeutete, bestehen die „kleinen Hauskomödien mit Musik"<lb/> aus kurzen, von zwei bis fünf songes- und spielfreudigen Personen (Erwachsenen<lb/> und auch Kindern) im Zimmer oder im Freien leicht und ohne lange Vor¬<lb/> bereitungen aufzuführenden Singspielen, die in der Regel einen heiteren, aus<lb/> Scherz und Ernst, Anmut und Ausgelassenheit bunt gewebten Stoff behandeln.<lb/> Der Dialog ist mit kurzen Gesangs- oder Tanznummern durchflochten, zu deren<lb/> Musik besonders geeignete, das heißt gefällige und volkstümliche Einzelstücke<lb/> aus älteren Opern und Singspielen verwendet werden, die in Vergessenheit<lb/> geraten sind, weil ihr Text oder ein großer Teil ihrer übrigen Musik keine<lb/> Wirkung zu erzielen vermochte. Gelegentlich werden auch unbekannte ältere<lb/> Tanzweisen und Liedmelodien herangezogen. Die Auswahl ist stets auf solche<lb/> Stücke beschränkt, die ein auch ungeschulter Sänger mühelos singen kann.<lb/> Ebenso ist die frei bearbeitete Begleitung auf dem Klavier (oder auf der Laute)<lb/> möglichst einfach gehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_927"> Es fragt sich nun vor allem: ist es überhaupt möglich, von einer Melodie<lb/> den ursprünglichen Text, auf den sie komponiert ist, abzulösen und an seine<lb/> Stelle einen neuen zu setzen, der sich mit der Tonweise ebensogut, ja, noch<lb/> besser verbindet als jener erste? In manchen Fällen — wir brauchen dabei<lb/> noch lange nicht an Richard Wagner zu denken — ist solches fraglos aus¬<lb/> geschlossen. Doch weitaus häufiger (bei der alten Singspiel- und Opernmusik<lb/> wird es fast zur Regel) kann eine geschickte Hand unbedenklich Textänderungen<lb/> vornehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_928" next="#ID_929"> Wir müssen uns des Opernbetriebes in früheren Zeiten entsinnen: da<lb/> bestellt ein Theaterdirektor eine Oper oder ein Singspiel bei einem geschätzten<lb/> Komponisten. Dieser bedarf nun zunächst eines Textbuches. Das kann er sich<lb/> von einem Dichter verschreiben oder von einem Theaterfachmann, der mit<lb/> berufsmäßiger Gewandtheit Operntexte fabriziert. Obgleich nun der Musiker<lb/> von letzterem genau weiß, daß er ihm einen Text liefern wird bar aller<lb/> seelischen Wärme und Gemütstiefe, künstlich aus einem erprobten Schema<lb/> herausgedrechselt und nur durch äußerliche, wohlberechnete Effekte wirkend, wird<lb/> er sich höchstwahrscheinlich dennoch an diesen wenden, da er anderseits weiß,<lb/> der Mann wird zur vereinbarten Frist einen Text verfertigt haben, mit dessen<lb/> Wirkung auf das Publikum der Theaterdirektor zufrieden sein wird, wogegen<lb/> der einzig für seine Kunst lebende und schaffende Dichter vielleicht ein ganz<lb/> bühnenunmögliches oder zur Vertonung völlig ungeeignetes Werk ersinnt —<lb/> und wer weiß, ob er es bis zum festgesetzten Termin vollendet hat. Was schiert<lb/> mich der Text! tröstet sich schließlich der Musiker. Er breitet seine Arme aus<lb/> und zieht das seltsame Geschöpf, das ihm der Textlieferant zusendet, fröhlich an<lb/> seine Brust, er umhüllt und beseelt es mit seiner nach Betätigung verlangenden<lb/> Liebe. Und siehe da! Wo zuvor in öden Windungen sich krüppelhafte Verse<lb/> und Reime qualvoll hinschleppten, rauscht es plötzlich auf. Überall sprudeln<lb/> in unbekümmerter Freude an sich selbst junge kräftige Quellen aus dem Erd-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
Kleine Hauskomödien mit Musik
Wie ich bereits andeutete, bestehen die „kleinen Hauskomödien mit Musik"
aus kurzen, von zwei bis fünf songes- und spielfreudigen Personen (Erwachsenen
und auch Kindern) im Zimmer oder im Freien leicht und ohne lange Vor¬
bereitungen aufzuführenden Singspielen, die in der Regel einen heiteren, aus
Scherz und Ernst, Anmut und Ausgelassenheit bunt gewebten Stoff behandeln.
Der Dialog ist mit kurzen Gesangs- oder Tanznummern durchflochten, zu deren
Musik besonders geeignete, das heißt gefällige und volkstümliche Einzelstücke
aus älteren Opern und Singspielen verwendet werden, die in Vergessenheit
geraten sind, weil ihr Text oder ein großer Teil ihrer übrigen Musik keine
Wirkung zu erzielen vermochte. Gelegentlich werden auch unbekannte ältere
Tanzweisen und Liedmelodien herangezogen. Die Auswahl ist stets auf solche
Stücke beschränkt, die ein auch ungeschulter Sänger mühelos singen kann.
Ebenso ist die frei bearbeitete Begleitung auf dem Klavier (oder auf der Laute)
möglichst einfach gehalten.
Es fragt sich nun vor allem: ist es überhaupt möglich, von einer Melodie
den ursprünglichen Text, auf den sie komponiert ist, abzulösen und an seine
Stelle einen neuen zu setzen, der sich mit der Tonweise ebensogut, ja, noch
besser verbindet als jener erste? In manchen Fällen — wir brauchen dabei
noch lange nicht an Richard Wagner zu denken — ist solches fraglos aus¬
geschlossen. Doch weitaus häufiger (bei der alten Singspiel- und Opernmusik
wird es fast zur Regel) kann eine geschickte Hand unbedenklich Textänderungen
vornehmen.
Wir müssen uns des Opernbetriebes in früheren Zeiten entsinnen: da
bestellt ein Theaterdirektor eine Oper oder ein Singspiel bei einem geschätzten
Komponisten. Dieser bedarf nun zunächst eines Textbuches. Das kann er sich
von einem Dichter verschreiben oder von einem Theaterfachmann, der mit
berufsmäßiger Gewandtheit Operntexte fabriziert. Obgleich nun der Musiker
von letzterem genau weiß, daß er ihm einen Text liefern wird bar aller
seelischen Wärme und Gemütstiefe, künstlich aus einem erprobten Schema
herausgedrechselt und nur durch äußerliche, wohlberechnete Effekte wirkend, wird
er sich höchstwahrscheinlich dennoch an diesen wenden, da er anderseits weiß,
der Mann wird zur vereinbarten Frist einen Text verfertigt haben, mit dessen
Wirkung auf das Publikum der Theaterdirektor zufrieden sein wird, wogegen
der einzig für seine Kunst lebende und schaffende Dichter vielleicht ein ganz
bühnenunmögliches oder zur Vertonung völlig ungeeignetes Werk ersinnt —
und wer weiß, ob er es bis zum festgesetzten Termin vollendet hat. Was schiert
mich der Text! tröstet sich schließlich der Musiker. Er breitet seine Arme aus
und zieht das seltsame Geschöpf, das ihm der Textlieferant zusendet, fröhlich an
seine Brust, er umhüllt und beseelt es mit seiner nach Betätigung verlangenden
Liebe. Und siehe da! Wo zuvor in öden Windungen sich krüppelhafte Verse
und Reime qualvoll hinschleppten, rauscht es plötzlich auf. Überall sprudeln
in unbekümmerter Freude an sich selbst junge kräftige Quellen aus dem Erd-
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