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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Lin holländischer Britcnspiegel

So gerät England nach und nach in eine wilde, zum Grundsatz, besser
zur Manie werdende "Ententenpolitik" hinein, die, zum Teil mitgetragen von
den verschiedensten außerenglischen Strömungen, aber dirigiert und genährt stets
von London aus, bald hierhin, bald dorthin ihre Spitzen wendend, als Haupt¬
ziel unverrückbar Deutschland, den verhaßten Nebenbuhler, im Auge behält.
Alle Mächte der Reihe nach werden in diese Politik, die unter den Auspizien
des großen Kriegsschürers, Eduard des Siebenten, ihre höchste Meisterschaft
erreichte, mitverstrickt. Japan muß Rußland niederwerfen, die Frage des Rasse-
prestiges, für alle in Asien interessierten europäischen Mächte, namentlich auch
die kleinen, von höchster Bedeutung, spielt natürlich für England keine Rolle.
Frankreich wird zur gegebenen Zeit (zum Beispiel 1904) durch "anderweitige"
englische Erdeulen und Halbententen oder Drohungen in Schach gehalten.
Deutschland wird bald durch englisch-französische, bald zugleich mit der Türkei
durch englisch-französisch-italienische, später durch englisch-französisch-russische
Erdeulen geschädigt und "eingekreist"; die Türkei durch alle möglichen anderen
Ränke; Spanien muß sich der englisch-amerikanischen Entente zuliebe mit den
Vereinigten Staaten schlagen; auf Österreich-Ungarn werden die ewig unruhigen
Slawen gehetzt, Belgien, früher durch England im Kongo bedroht, weiß England
mit in die Netze der Triple-Entente zu verstricken, Holland wird erst auf Schritt
und Tritt von Englands "wahrhaft macchiavellistischer Politik" geschädigt und später
mit Lockungen und Drohungen umgarnt, um ebenfalls in die deutschfeindliche
Entente hinübergezerrt zu werden ("glücklicherweise" ohne Erfolg, sagt Vatter) usw.
Kriege wurden auf Englands hetzerisches Betreiben leichtfertig entzündet, ohne
daß es ihm selbst auch nur einen Mann kostete, desto größer aber war der
Gewinn; Kriege standen zehnmal vor der Tür, die Temperatur stieg zehnmal
bis zum Siedepunkt, und wenn trotzdem kriegerische Verwicklungen noch so oft
vermieden wurden, so war es nie Englands Verdienst.

Die selbst von einem Engländer, Masstngham, einmal "erniedrigend und
herausfordernd, drohend und beleidigend" genannte britische Politik spielte
dauernd ein "hohes, unausbleiblich zu blutigem Kampf führendes" Spiel, und
"das allgemeine Resultat der zwischen 1877 und 1904 von England einge¬
fädelten Ententenpolitik", sagt Vatter, "war eine tiefgehende Störung der inter¬
nationalen Beziehungen ... Als Eduard der Siebente starb, glich Europa
einem einzigen von Waffen starrenden Lager." Den Höhepunkt der deutsch¬
feindlichen Machenschaften unter Englands Führung bildet die "perfide" Marokko-
Politik. Wenn im Gefolge aller, auch der späteren Ränke Englands im Bunde
mit den deutschfeindlichen Leidenschaften seiner Ententenbrüder der allgemeine
Krieg damals noch vermieden wurde, so gebührt nach Vatter das alleinige
Verdienst der "bewunderungswürdigen Ruhe der deutschen Politik", ihrer bis
zum äußersten getriebenen Taktik der Mäßigung und Versöhnlichkeit, einer
Politik des Friedens, die den Versuchungen unter für das Deutsche Reich
günstigen Konstellationen mehrfach ehrenhaft widerstand, und Treue gegen Verrat


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Lin holländischer Britcnspiegel

So gerät England nach und nach in eine wilde, zum Grundsatz, besser
zur Manie werdende „Ententenpolitik" hinein, die, zum Teil mitgetragen von
den verschiedensten außerenglischen Strömungen, aber dirigiert und genährt stets
von London aus, bald hierhin, bald dorthin ihre Spitzen wendend, als Haupt¬
ziel unverrückbar Deutschland, den verhaßten Nebenbuhler, im Auge behält.
Alle Mächte der Reihe nach werden in diese Politik, die unter den Auspizien
des großen Kriegsschürers, Eduard des Siebenten, ihre höchste Meisterschaft
erreichte, mitverstrickt. Japan muß Rußland niederwerfen, die Frage des Rasse-
prestiges, für alle in Asien interessierten europäischen Mächte, namentlich auch
die kleinen, von höchster Bedeutung, spielt natürlich für England keine Rolle.
Frankreich wird zur gegebenen Zeit (zum Beispiel 1904) durch „anderweitige"
englische Erdeulen und Halbententen oder Drohungen in Schach gehalten.
Deutschland wird bald durch englisch-französische, bald zugleich mit der Türkei
durch englisch-französisch-italienische, später durch englisch-französisch-russische
Erdeulen geschädigt und „eingekreist"; die Türkei durch alle möglichen anderen
Ränke; Spanien muß sich der englisch-amerikanischen Entente zuliebe mit den
Vereinigten Staaten schlagen; auf Österreich-Ungarn werden die ewig unruhigen
Slawen gehetzt, Belgien, früher durch England im Kongo bedroht, weiß England
mit in die Netze der Triple-Entente zu verstricken, Holland wird erst auf Schritt
und Tritt von Englands „wahrhaft macchiavellistischer Politik" geschädigt und später
mit Lockungen und Drohungen umgarnt, um ebenfalls in die deutschfeindliche
Entente hinübergezerrt zu werden („glücklicherweise" ohne Erfolg, sagt Vatter) usw.
Kriege wurden auf Englands hetzerisches Betreiben leichtfertig entzündet, ohne
daß es ihm selbst auch nur einen Mann kostete, desto größer aber war der
Gewinn; Kriege standen zehnmal vor der Tür, die Temperatur stieg zehnmal
bis zum Siedepunkt, und wenn trotzdem kriegerische Verwicklungen noch so oft
vermieden wurden, so war es nie Englands Verdienst.

Die selbst von einem Engländer, Masstngham, einmal „erniedrigend und
herausfordernd, drohend und beleidigend" genannte britische Politik spielte
dauernd ein „hohes, unausbleiblich zu blutigem Kampf führendes" Spiel, und
„das allgemeine Resultat der zwischen 1877 und 1904 von England einge¬
fädelten Ententenpolitik", sagt Vatter, „war eine tiefgehende Störung der inter¬
nationalen Beziehungen ... Als Eduard der Siebente starb, glich Europa
einem einzigen von Waffen starrenden Lager." Den Höhepunkt der deutsch¬
feindlichen Machenschaften unter Englands Führung bildet die „perfide" Marokko-
Politik. Wenn im Gefolge aller, auch der späteren Ränke Englands im Bunde
mit den deutschfeindlichen Leidenschaften seiner Ententenbrüder der allgemeine
Krieg damals noch vermieden wurde, so gebührt nach Vatter das alleinige
Verdienst der „bewunderungswürdigen Ruhe der deutschen Politik", ihrer bis
zum äußersten getriebenen Taktik der Mäßigung und Versöhnlichkeit, einer
Politik des Friedens, die den Versuchungen unter für das Deutsche Reich
günstigen Konstellationen mehrfach ehrenhaft widerstand, und Treue gegen Verrat


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[0287] Lin holländischer Britcnspiegel So gerät England nach und nach in eine wilde, zum Grundsatz, besser zur Manie werdende „Ententenpolitik" hinein, die, zum Teil mitgetragen von den verschiedensten außerenglischen Strömungen, aber dirigiert und genährt stets von London aus, bald hierhin, bald dorthin ihre Spitzen wendend, als Haupt¬ ziel unverrückbar Deutschland, den verhaßten Nebenbuhler, im Auge behält. Alle Mächte der Reihe nach werden in diese Politik, die unter den Auspizien des großen Kriegsschürers, Eduard des Siebenten, ihre höchste Meisterschaft erreichte, mitverstrickt. Japan muß Rußland niederwerfen, die Frage des Rasse- prestiges, für alle in Asien interessierten europäischen Mächte, namentlich auch die kleinen, von höchster Bedeutung, spielt natürlich für England keine Rolle. Frankreich wird zur gegebenen Zeit (zum Beispiel 1904) durch „anderweitige" englische Erdeulen und Halbententen oder Drohungen in Schach gehalten. Deutschland wird bald durch englisch-französische, bald zugleich mit der Türkei durch englisch-französisch-italienische, später durch englisch-französisch-russische Erdeulen geschädigt und „eingekreist"; die Türkei durch alle möglichen anderen Ränke; Spanien muß sich der englisch-amerikanischen Entente zuliebe mit den Vereinigten Staaten schlagen; auf Österreich-Ungarn werden die ewig unruhigen Slawen gehetzt, Belgien, früher durch England im Kongo bedroht, weiß England mit in die Netze der Triple-Entente zu verstricken, Holland wird erst auf Schritt und Tritt von Englands „wahrhaft macchiavellistischer Politik" geschädigt und später mit Lockungen und Drohungen umgarnt, um ebenfalls in die deutschfeindliche Entente hinübergezerrt zu werden („glücklicherweise" ohne Erfolg, sagt Vatter) usw. Kriege wurden auf Englands hetzerisches Betreiben leichtfertig entzündet, ohne daß es ihm selbst auch nur einen Mann kostete, desto größer aber war der Gewinn; Kriege standen zehnmal vor der Tür, die Temperatur stieg zehnmal bis zum Siedepunkt, und wenn trotzdem kriegerische Verwicklungen noch so oft vermieden wurden, so war es nie Englands Verdienst. Die selbst von einem Engländer, Masstngham, einmal „erniedrigend und herausfordernd, drohend und beleidigend" genannte britische Politik spielte dauernd ein „hohes, unausbleiblich zu blutigem Kampf führendes" Spiel, und „das allgemeine Resultat der zwischen 1877 und 1904 von England einge¬ fädelten Ententenpolitik", sagt Vatter, „war eine tiefgehende Störung der inter¬ nationalen Beziehungen ... Als Eduard der Siebente starb, glich Europa einem einzigen von Waffen starrenden Lager." Den Höhepunkt der deutsch¬ feindlichen Machenschaften unter Englands Führung bildet die „perfide" Marokko- Politik. Wenn im Gefolge aller, auch der späteren Ränke Englands im Bunde mit den deutschfeindlichen Leidenschaften seiner Ententenbrüder der allgemeine Krieg damals noch vermieden wurde, so gebührt nach Vatter das alleinige Verdienst der „bewunderungswürdigen Ruhe der deutschen Politik", ihrer bis zum äußersten getriebenen Taktik der Mäßigung und Versöhnlichkeit, einer Politik des Friedens, die den Versuchungen unter für das Deutsche Reich günstigen Konstellationen mehrfach ehrenhaft widerstand, und Treue gegen Verrat 18"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/287>, abgerufen am 20.10.2024.