Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Die litauisch-baltische Frage Dr. Gaigalcit, von Mitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten n seinem im Herbst 1914 in Königsberg über "die ostpreußischen Die litauisch-baltische Frage Dr. Gaigalcit, von Mitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten n seinem im Herbst 1914 in Königsberg über „die ostpreußischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323313"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_323097/figures/grenzboten_341901_323097_323313_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Die litauisch-baltische Frage<lb/><note type="byline"> Dr. Gaigalcit,</note> von Mitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten</head><lb/> <p xml:id="ID_687"> n seinem im Herbst 1914 in Königsberg über „die ostpreußischen<lb/> Grenzlande" gehaltenen Vortrage hat Geheimrat Bezzenberger<lb/> auch die Frage der nach einer eventuellen Niederlage Rußlands<lb/> notwendig werdenden Neugestaltung der politischen Lage der<lb/> baltischen Völker berührt. Er führte aus, daß die Litauer und<lb/> Letten in einem neuen Staatengebilde zusammengehören sollten, wenn auch die<lb/> Letten in Sprache und Kulturstand von den Litauern nicht unbeträchtlich ver¬<lb/> schieden wären. Dieses gemeinsame Staatsgefüge könnte noch durch Hinzunahme<lb/> der Ehlen komplettiert werden. Von manchen Seiten ist darauf hingewiesen<lb/> worden, daß es verfrüht sei, im Anfangsstadium eines Krieges bereits die<lb/> eventuell aus ihm resultierenden Folgen, zumal territoriale Veränderungen, einer<lb/> Erörterung zu unterziehen. Indessen ist es männiglich bekannt, daß im Volke<lb/> derartige Erörterungen einen weiten Raum einnehmen, und der Volkswille für<lb/> den Fall eines siegreichen Ausganges des Krieges Landerwerb als wünschens¬<lb/> wert voraussetzt, ohne allerdings dabei zu erwägen, ob nicht aus bis<lb/> dahin unbekannten und unerwogenen Gründen solch Gebietserwerb schädlich,<lb/> unheilvoll und mit großen Opfern für das stegreiche Volk verknüpft sein könnte.<lb/> Immerhin ist es nützlich und erforderlich, daß die Regierung eines kriegführenden<lb/> Staates, der Aussicht auf Sieg hat, schon rechtzeitig Erwägungen darüber anstellt,<lb/> was für Aufgaben ihr beim Friedensschluß entstehen, wie sie für die Zukunft<lb/> ihre Macht stärken und den Gegner, bei dem naturgemäß Revanchegelüste wach¬<lb/> gerufen worden sind, entsprechend schwächen könnte. Die Schwächung des<lb/> Gegners wird hauptsächlich dadurch erreicht, daß man Gebiete seiner Oberhoheit<lb/> entreißt und diese entweder dem eigenen Lande zufügt, oder aber aus ihnen<lb/> neue Staaten bildet, die in Abhängigkeit oder sonstige engere Beziehungen zum<lb/> eigenen Reiche gebracht werden. Bei der Lösung dieser Frage wird die<lb/> Nationalität, die Sprache und der Kulturstand der Bevölkerung, die wirt¬<lb/> schaftliche Bedeutung und anderes mehr der entrissenen Gebiete, von ganz<lb/> besonderer Wichtigkeit sein.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
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Die litauisch-baltische Frage
Dr. Gaigalcit, von Mitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten
n seinem im Herbst 1914 in Königsberg über „die ostpreußischen
Grenzlande" gehaltenen Vortrage hat Geheimrat Bezzenberger
auch die Frage der nach einer eventuellen Niederlage Rußlands
notwendig werdenden Neugestaltung der politischen Lage der
baltischen Völker berührt. Er führte aus, daß die Litauer und
Letten in einem neuen Staatengebilde zusammengehören sollten, wenn auch die
Letten in Sprache und Kulturstand von den Litauern nicht unbeträchtlich ver¬
schieden wären. Dieses gemeinsame Staatsgefüge könnte noch durch Hinzunahme
der Ehlen komplettiert werden. Von manchen Seiten ist darauf hingewiesen
worden, daß es verfrüht sei, im Anfangsstadium eines Krieges bereits die
eventuell aus ihm resultierenden Folgen, zumal territoriale Veränderungen, einer
Erörterung zu unterziehen. Indessen ist es männiglich bekannt, daß im Volke
derartige Erörterungen einen weiten Raum einnehmen, und der Volkswille für
den Fall eines siegreichen Ausganges des Krieges Landerwerb als wünschens¬
wert voraussetzt, ohne allerdings dabei zu erwägen, ob nicht aus bis
dahin unbekannten und unerwogenen Gründen solch Gebietserwerb schädlich,
unheilvoll und mit großen Opfern für das stegreiche Volk verknüpft sein könnte.
Immerhin ist es nützlich und erforderlich, daß die Regierung eines kriegführenden
Staates, der Aussicht auf Sieg hat, schon rechtzeitig Erwägungen darüber anstellt,
was für Aufgaben ihr beim Friedensschluß entstehen, wie sie für die Zukunft
ihre Macht stärken und den Gegner, bei dem naturgemäß Revanchegelüste wach¬
gerufen worden sind, entsprechend schwächen könnte. Die Schwächung des
Gegners wird hauptsächlich dadurch erreicht, daß man Gebiete seiner Oberhoheit
entreißt und diese entweder dem eigenen Lande zufügt, oder aber aus ihnen
neue Staaten bildet, die in Abhängigkeit oder sonstige engere Beziehungen zum
eigenen Reiche gebracht werden. Bei der Lösung dieser Frage wird die
Nationalität, die Sprache und der Kulturstand der Bevölkerung, die wirt¬
schaftliche Bedeutung und anderes mehr der entrissenen Gebiete, von ganz
besonderer Wichtigkeit sein.
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