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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Italien am Scheidewege

seinen eigenen Staat über Albanien, Alt-Serbien, Mazedonien bis nach
Saloniki auszudehnen, wie man den Italienern jetzt glauben machen
will. Wir haben uns nicht einmal auf Vorschläge von Kompromissen ein¬
gelassen, denn unsere Haltung soll so korrekt bleiben, wie sie von Beginn
der Verhandlungen an gewesen ist. was auch italienischerseits von allen Gruppen
gern anerkannt wird. Wir verlangen als Gegengeschenk nur das volle Ver¬
trauen, daß wir später die diplomatischen Fragen ebenso gut und geschickt
ordnen werden, wie gegenwärtig die strategischen. Wir erwarten von der
öffentlichen Meinung vor allem, daß unseren Meldungen zum mindesten eben¬
soviel Glauben beigemessen wird, wie den Lügen und Entstellungen, die unsere
Feinde verbrenen. Wir warnen Italien vor dem Irrtum, daß es möglich sein
könnte, Ungarn gegen Österreich auszuspielen. Wir haben, mit einem Worte,
Italien gegenüber unsere Schuldigkeit als ehrlicher Freund getan. Es möge
nun sich selbst an unserem Maßstabe messen. Es soll dem Manne Glauben
schenken, den wir nach Rom gesandt haben, um Italien Geduld und Vorsicht
zu lehren, und befolgen, was er gelegentlich einmal mit den Worten aus¬
gedrückt hat: "Ich glaube, daß zwischen zwei männlichen Völkern Offen¬
heit und Gradheit die beste Politik sind." Es ist kürzlich ein deutsches Buch
absichtlich mißverstanden und alle Augenblicke gegen uns ausgespielt worden,
nämlich das des Generals Bernhardt "Deutschland und der nächste Krieg".
Man hat in dem uns feindlichen Auslande, ja selbst im neutralen, die
einzig und allein auf Deutschland zugeschnittenen, persönlichen, militärischen
und staatsmännischen Äußerungen, die selbst bei uns vielfach ernste Bedenken
hervorgerufen haben, auf die Allgemeinheit übertragen. Nun. eines schickt sich
nicht für alle. Glaubt, zum Beispiel, Italien den Ausspruch Bernhardts auf
sich anwenden zu können, den selbst wir nur unter ausdrücklichen Vorbehalte
gutheißen können, "daß die Aufrechterhaltung des Friedens nie das Ziel einer
Politik sein darf", will es also, mit anderen Worten, seinen äußeren und inneren
Frieden gefährden, weil es den Augenblick für geeignet hält, um Rückeroberungen
als notwendiges Ziel seiner gegenwärtigen Politik zu bezeichnen, so wird es sehr
bald bemerken müssen, daß unsere Politik alle Hebel in Bewegung setzen wird,
um Italien freundschaftlich oder mit Waffengemalt zu zwingen, das Ziel seiner
Wünsche nicht in einem Kriege, sondern im Frieden zu erblicken.

Wenn am Gedenktage der Hinrichtung eines beinahe zum Kaisermörder
gewordenen irredentischen Fanatikers, wie Oberdank, der Sohn des alten Garibaldi
mit den Krücken, an denen er sich schleppen muß, nach Caprera weist und damit
die Menge fortreißt, so ist deren Begeisterung bezeichnend, aber noch nicht ein
Anzeichen dafür, daß der Krieg gegen Österreich schon morgen beginnen wird.
Ihn für den Augenblick zu verhüten, wird am Ende nicht gar so schwer sein
und der Überredungsgabe des Fürsten von Bülow hoffentlich gelingen, namentlich
wenn er gewichtige Gründe in die Wagschale werfen, mehr noch, wenn ihm der
Gang der nächsten Ereignisse solche liefern wird. Die Wolken, die sich über


Italien am Scheidewege

seinen eigenen Staat über Albanien, Alt-Serbien, Mazedonien bis nach
Saloniki auszudehnen, wie man den Italienern jetzt glauben machen
will. Wir haben uns nicht einmal auf Vorschläge von Kompromissen ein¬
gelassen, denn unsere Haltung soll so korrekt bleiben, wie sie von Beginn
der Verhandlungen an gewesen ist. was auch italienischerseits von allen Gruppen
gern anerkannt wird. Wir verlangen als Gegengeschenk nur das volle Ver¬
trauen, daß wir später die diplomatischen Fragen ebenso gut und geschickt
ordnen werden, wie gegenwärtig die strategischen. Wir erwarten von der
öffentlichen Meinung vor allem, daß unseren Meldungen zum mindesten eben¬
soviel Glauben beigemessen wird, wie den Lügen und Entstellungen, die unsere
Feinde verbrenen. Wir warnen Italien vor dem Irrtum, daß es möglich sein
könnte, Ungarn gegen Österreich auszuspielen. Wir haben, mit einem Worte,
Italien gegenüber unsere Schuldigkeit als ehrlicher Freund getan. Es möge
nun sich selbst an unserem Maßstabe messen. Es soll dem Manne Glauben
schenken, den wir nach Rom gesandt haben, um Italien Geduld und Vorsicht
zu lehren, und befolgen, was er gelegentlich einmal mit den Worten aus¬
gedrückt hat: „Ich glaube, daß zwischen zwei männlichen Völkern Offen¬
heit und Gradheit die beste Politik sind." Es ist kürzlich ein deutsches Buch
absichtlich mißverstanden und alle Augenblicke gegen uns ausgespielt worden,
nämlich das des Generals Bernhardt „Deutschland und der nächste Krieg".
Man hat in dem uns feindlichen Auslande, ja selbst im neutralen, die
einzig und allein auf Deutschland zugeschnittenen, persönlichen, militärischen
und staatsmännischen Äußerungen, die selbst bei uns vielfach ernste Bedenken
hervorgerufen haben, auf die Allgemeinheit übertragen. Nun. eines schickt sich
nicht für alle. Glaubt, zum Beispiel, Italien den Ausspruch Bernhardts auf
sich anwenden zu können, den selbst wir nur unter ausdrücklichen Vorbehalte
gutheißen können, „daß die Aufrechterhaltung des Friedens nie das Ziel einer
Politik sein darf", will es also, mit anderen Worten, seinen äußeren und inneren
Frieden gefährden, weil es den Augenblick für geeignet hält, um Rückeroberungen
als notwendiges Ziel seiner gegenwärtigen Politik zu bezeichnen, so wird es sehr
bald bemerken müssen, daß unsere Politik alle Hebel in Bewegung setzen wird,
um Italien freundschaftlich oder mit Waffengemalt zu zwingen, das Ziel seiner
Wünsche nicht in einem Kriege, sondern im Frieden zu erblicken.

Wenn am Gedenktage der Hinrichtung eines beinahe zum Kaisermörder
gewordenen irredentischen Fanatikers, wie Oberdank, der Sohn des alten Garibaldi
mit den Krücken, an denen er sich schleppen muß, nach Caprera weist und damit
die Menge fortreißt, so ist deren Begeisterung bezeichnend, aber noch nicht ein
Anzeichen dafür, daß der Krieg gegen Österreich schon morgen beginnen wird.
Ihn für den Augenblick zu verhüten, wird am Ende nicht gar so schwer sein
und der Überredungsgabe des Fürsten von Bülow hoffentlich gelingen, namentlich
wenn er gewichtige Gründe in die Wagschale werfen, mehr noch, wenn ihm der
Gang der nächsten Ereignisse solche liefern wird. Die Wolken, die sich über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/19>, abgerufen am 27.09.2024.