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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Solches Aussprechen von Selbstverständlichkeiten, die unsere Brüder in
diesem Augenblick erleben und erleiden, soll uns zu der Frage führen, ob denn
der Krieg notwendig und in alle Zukunft aus dieselbe Weise geführt werden
muß, nämlich durch den Kampf auf Tod und Leben, durch Vernichtung und
Zerstörung. Wäre es nicht möglich, die Kräfte auf andere, unblutige Weise
zu messen, wäre es nicht möglich zu zwingen, ohne zu töten? Der Gedanke
liegt heute sehr nahe, da wir sehen, daß durch Vervollkommnung der Waffen
die Fronten so stark geworden sind, daß die Parteien fast nichts mehr gegen¬
einander auszurichten vermögen und eine Schlacht im hergebrachten Sinne kaum
noch stattfindet. Ist es durchaus undenkbar, daß nach weiterer Verstärkung der
Waffenwirkung die Grenzen so geschützt sind, daß sie überhaupt nicht mehr
gewaltsam überschritten werden können? Warum sollen die Kampfmittel nicht
eines Tages derart sein, daß der Staat unangreifbar und unbesiegbar wird?

Dieser Gedanke wäre richtig, wenn es nur einen Staat auf Erden gäbe
oder wenn nur ein einziger Staat technisch fortschritte, während die anderen
zurückblieben. Dieser eine Staat hätte, nach dem Wesen des Staates, die
Tendenz zu wachsen, bis er die ganze Erde umfaßte. Aber weil er nicht allein
da ist und weil der andere Staat über dieselben Gewaltmittel verfügen wird
wie er, darum werden ihre technischen Mittel sich gegenseitig aufheben, und
genau am Ende ihrer technischen Weisheit steht der Kampf der Menschen, und
das ist dann wieder der Kampf auf Leben und Tod. Der pommersche Bauern¬
knecht, dem man ein modernes Gewehr in die Hand gibt, ist ein kleiner Gott;
er ist mit seiner wundervollen Waffe imstande, sich alle Bauernknechte der Welt
auf sechshundert Meter vom Leibe zu halten. Aber weil sie dort drüben genau
dieselbe kunstvolle und mächtige Waffe in Händen haben, darum ist er wieder
nur der pommersche Bauernknecht, der zu seinen Gunsten nichts besitzt als den
robusten Körper, helle Augen und Kaltblütigkeit, dem Tod in die Augen zu
sehen. Weil also ganz Europa, und bald die ganze Welt, in friedlicher Arbeit
gleichmäßig fortschreitet, in dieser Tatsache, eben in der sogenannten Kultur,
stecke die Gefahr und der Zwang zum Kriege, zum Kampf auf Leben und Tod.
Soweit die technischen Mittel gleich sind, entscheidet die Bereitschaft zu sterben;
wo sie aber nicht gleich sind, da beweist die kleine technische Überlegenheit des
einen seine größere Macht, wie jetzt die deutschen Zweiuudvierzig - Zentimeter"
Geschütze; sie beweisen und sie entscheiden: sie sind die Machtüberlegenheit.

Solange es also Staaten gibt, wird es Kriege geben. Weil der Staat die
höchste Organisation ist, die wir erreichen, weil wir keine größere Aufgabe
haben als den vollkommenen Staat, darum ist der Krieg das größte Erlebnis
der Menschheit. Weil wir über den Staat nicht hinaus gelangen und weil er
etwas Menschliches ist und bleibt, darum ist der Krieg furchtbar und grausam,
eine Unterbrechung menschlicher Kultur und ihr Widerspiel. Und das Problem
des ewigen Friedens wäre denn die Frage, ob wir über den Staat hinaus
gelangen werden. Aber das ist gleichbedeutend mit der Frage, ob wir den


Grenzboten I 191S 10
Ultima rhein» reZis

Solches Aussprechen von Selbstverständlichkeiten, die unsere Brüder in
diesem Augenblick erleben und erleiden, soll uns zu der Frage führen, ob denn
der Krieg notwendig und in alle Zukunft aus dieselbe Weise geführt werden
muß, nämlich durch den Kampf auf Tod und Leben, durch Vernichtung und
Zerstörung. Wäre es nicht möglich, die Kräfte auf andere, unblutige Weise
zu messen, wäre es nicht möglich zu zwingen, ohne zu töten? Der Gedanke
liegt heute sehr nahe, da wir sehen, daß durch Vervollkommnung der Waffen
die Fronten so stark geworden sind, daß die Parteien fast nichts mehr gegen¬
einander auszurichten vermögen und eine Schlacht im hergebrachten Sinne kaum
noch stattfindet. Ist es durchaus undenkbar, daß nach weiterer Verstärkung der
Waffenwirkung die Grenzen so geschützt sind, daß sie überhaupt nicht mehr
gewaltsam überschritten werden können? Warum sollen die Kampfmittel nicht
eines Tages derart sein, daß der Staat unangreifbar und unbesiegbar wird?

Dieser Gedanke wäre richtig, wenn es nur einen Staat auf Erden gäbe
oder wenn nur ein einziger Staat technisch fortschritte, während die anderen
zurückblieben. Dieser eine Staat hätte, nach dem Wesen des Staates, die
Tendenz zu wachsen, bis er die ganze Erde umfaßte. Aber weil er nicht allein
da ist und weil der andere Staat über dieselben Gewaltmittel verfügen wird
wie er, darum werden ihre technischen Mittel sich gegenseitig aufheben, und
genau am Ende ihrer technischen Weisheit steht der Kampf der Menschen, und
das ist dann wieder der Kampf auf Leben und Tod. Der pommersche Bauern¬
knecht, dem man ein modernes Gewehr in die Hand gibt, ist ein kleiner Gott;
er ist mit seiner wundervollen Waffe imstande, sich alle Bauernknechte der Welt
auf sechshundert Meter vom Leibe zu halten. Aber weil sie dort drüben genau
dieselbe kunstvolle und mächtige Waffe in Händen haben, darum ist er wieder
nur der pommersche Bauernknecht, der zu seinen Gunsten nichts besitzt als den
robusten Körper, helle Augen und Kaltblütigkeit, dem Tod in die Augen zu
sehen. Weil also ganz Europa, und bald die ganze Welt, in friedlicher Arbeit
gleichmäßig fortschreitet, in dieser Tatsache, eben in der sogenannten Kultur,
stecke die Gefahr und der Zwang zum Kriege, zum Kampf auf Leben und Tod.
Soweit die technischen Mittel gleich sind, entscheidet die Bereitschaft zu sterben;
wo sie aber nicht gleich sind, da beweist die kleine technische Überlegenheit des
einen seine größere Macht, wie jetzt die deutschen Zweiuudvierzig - Zentimeter»
Geschütze; sie beweisen und sie entscheiden: sie sind die Machtüberlegenheit.

Solange es also Staaten gibt, wird es Kriege geben. Weil der Staat die
höchste Organisation ist, die wir erreichen, weil wir keine größere Aufgabe
haben als den vollkommenen Staat, darum ist der Krieg das größte Erlebnis
der Menschheit. Weil wir über den Staat nicht hinaus gelangen und weil er
etwas Menschliches ist und bleibt, darum ist der Krieg furchtbar und grausam,
eine Unterbrechung menschlicher Kultur und ihr Widerspiel. Und das Problem
des ewigen Friedens wäre denn die Frage, ob wir über den Staat hinaus
gelangen werden. Aber das ist gleichbedeutend mit der Frage, ob wir den


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[0157] Ultima rhein» reZis Solches Aussprechen von Selbstverständlichkeiten, die unsere Brüder in diesem Augenblick erleben und erleiden, soll uns zu der Frage führen, ob denn der Krieg notwendig und in alle Zukunft aus dieselbe Weise geführt werden muß, nämlich durch den Kampf auf Tod und Leben, durch Vernichtung und Zerstörung. Wäre es nicht möglich, die Kräfte auf andere, unblutige Weise zu messen, wäre es nicht möglich zu zwingen, ohne zu töten? Der Gedanke liegt heute sehr nahe, da wir sehen, daß durch Vervollkommnung der Waffen die Fronten so stark geworden sind, daß die Parteien fast nichts mehr gegen¬ einander auszurichten vermögen und eine Schlacht im hergebrachten Sinne kaum noch stattfindet. Ist es durchaus undenkbar, daß nach weiterer Verstärkung der Waffenwirkung die Grenzen so geschützt sind, daß sie überhaupt nicht mehr gewaltsam überschritten werden können? Warum sollen die Kampfmittel nicht eines Tages derart sein, daß der Staat unangreifbar und unbesiegbar wird? Dieser Gedanke wäre richtig, wenn es nur einen Staat auf Erden gäbe oder wenn nur ein einziger Staat technisch fortschritte, während die anderen zurückblieben. Dieser eine Staat hätte, nach dem Wesen des Staates, die Tendenz zu wachsen, bis er die ganze Erde umfaßte. Aber weil er nicht allein da ist und weil der andere Staat über dieselben Gewaltmittel verfügen wird wie er, darum werden ihre technischen Mittel sich gegenseitig aufheben, und genau am Ende ihrer technischen Weisheit steht der Kampf der Menschen, und das ist dann wieder der Kampf auf Leben und Tod. Der pommersche Bauern¬ knecht, dem man ein modernes Gewehr in die Hand gibt, ist ein kleiner Gott; er ist mit seiner wundervollen Waffe imstande, sich alle Bauernknechte der Welt auf sechshundert Meter vom Leibe zu halten. Aber weil sie dort drüben genau dieselbe kunstvolle und mächtige Waffe in Händen haben, darum ist er wieder nur der pommersche Bauernknecht, der zu seinen Gunsten nichts besitzt als den robusten Körper, helle Augen und Kaltblütigkeit, dem Tod in die Augen zu sehen. Weil also ganz Europa, und bald die ganze Welt, in friedlicher Arbeit gleichmäßig fortschreitet, in dieser Tatsache, eben in der sogenannten Kultur, stecke die Gefahr und der Zwang zum Kriege, zum Kampf auf Leben und Tod. Soweit die technischen Mittel gleich sind, entscheidet die Bereitschaft zu sterben; wo sie aber nicht gleich sind, da beweist die kleine technische Überlegenheit des einen seine größere Macht, wie jetzt die deutschen Zweiuudvierzig - Zentimeter» Geschütze; sie beweisen und sie entscheiden: sie sind die Machtüberlegenheit. Solange es also Staaten gibt, wird es Kriege geben. Weil der Staat die höchste Organisation ist, die wir erreichen, weil wir keine größere Aufgabe haben als den vollkommenen Staat, darum ist der Krieg das größte Erlebnis der Menschheit. Weil wir über den Staat nicht hinaus gelangen und weil er etwas Menschliches ist und bleibt, darum ist der Krieg furchtbar und grausam, eine Unterbrechung menschlicher Kultur und ihr Widerspiel. Und das Problem des ewigen Friedens wäre denn die Frage, ob wir über den Staat hinaus gelangen werden. Aber das ist gleichbedeutend mit der Frage, ob wir den Grenzboten I 191S 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/157>, abgerufen am 28.09.2024.