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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Staat im Ganzen will und seinen Bestand nach Möglichkeit stützt und fördert, dafür
liegt der Grund, schlicht ausgedrückt, offenbar darin, daß er seinen Vorteil dabei
findet. Seine und der Seinigen Existenz, Möglichkeit des Erwerbs, Sicherheit,
Behaglichkeit, Ansehen, Ehre, Einfluß, alles hängt davon ab, daß ein Staat
vorhanden ist, eine Organisation aller Kräfte, die er zu seinem eigenen Vorteil
benutzen kann. Um diese Abhängigkeit einzusehen, braucht man durchaus nicht
in irgendeiner Form Beamter zu sein und also ohne Umwege vom Staat das
Brot zu beziehen. Sondern auch der Kaufmann etwa, der seine Waren umsetzt,
kann ohne die zahlreichen und mannigfachen Institutionen des Staates seine
Geschäfte nicht in Gang bringen. Längst ist ja nun freilich dieser ganze Apparat
so kompliziert und unser Abstand von der einfachen Existenz des naturnahen
Jägers oder Hirten so groß geworden, daß wir, im Staat geboren, für den Staat
erzogen, fast verlernt haben, ohne den Staat auch nur einen Schritt zu tun.

Da dem nun einmal so ist, so ergibt sich von selbst ein Gesamtinteresse,
das nun dem einzelnen, neben und über seinem Privatinteresse, als Autorität
und höhere, fast göttliche Gewalt gegenübertritt, ein Gesamtwille, der die Einzel¬
willen in seinen Bann zieht, emporzieht und über sich selbst hinaufreißt. Es
entstehen Vaterlandsliebe, Opfersinn, Nationalgeist. Nun wird es Pflicht, den
eigenen Vorteil dem des Ganzen unterzuordnen, nun wird von jedem gefordert,
daß er nicht nur sich selbst, sondern auch den Staat fördere, nun entsteht die
Bereitschaft. Existenz und Leben für das Vaterland hinzugeben.




Man wird einräumen, daß die staatliche Macht nicht etwa Gewalt ist;
sondern was die Form des Staates, den Apparat anlangt, so wird sein
Funktionieren gewährleistet durch Einsicht und guten Willen, durch Achtung vor
der Staatsautorität und Pflichtgefühl, und mehr dergleichen persönliche und
ethische Antriebe; was aber den Inhalt dieser Form betrifft, so beruht die
Macht des Staates offenbar auf seinen produktiven Kräften, auf Menge und
Qualität der Bevölkerung, auf den Schätzen des Bodens und ihrer Gewinnung,
auf der Geldkraft des Landes, auf seiner wissenschaftlichen, künstlerischen und
allgemein kulturellen Bedeutung. Dies alles zusammen, nicht aber rohe Gewalt,
macht die wirkliche und eigentliche Kraft und Macht des Staates aus. Aber
ebensowenig kann bezweifelt werden, daß es ohne die Möglichkeit der Gewalt
keinen Staat geben würde. Seine Voraussetzung ist die Fähigkeit, Gewalt zu
üben, zu zwingen. Die Autorität des Schutzmanns beruht darauf, daß ihm,
wenn er keinen Gehorsam findet, hundert Schutzleute zu Hilfe kommen, und
wenn das nicht reicht, ein Bataillon Soldaten, und wenn das nicht reicht, ein
Armeekorps. Und ebenso ist die Voraussetzung dafür, daß die Macht des
Staates sich nach außen Geltung verschaffe, die Tatsache, daß ein Feldheer
bereit steht, wenn seinen produktiven Kräften der notwendige Raum nicht mehr
gegönnt wird.


Aula» istio re^is

Staat im Ganzen will und seinen Bestand nach Möglichkeit stützt und fördert, dafür
liegt der Grund, schlicht ausgedrückt, offenbar darin, daß er seinen Vorteil dabei
findet. Seine und der Seinigen Existenz, Möglichkeit des Erwerbs, Sicherheit,
Behaglichkeit, Ansehen, Ehre, Einfluß, alles hängt davon ab, daß ein Staat
vorhanden ist, eine Organisation aller Kräfte, die er zu seinem eigenen Vorteil
benutzen kann. Um diese Abhängigkeit einzusehen, braucht man durchaus nicht
in irgendeiner Form Beamter zu sein und also ohne Umwege vom Staat das
Brot zu beziehen. Sondern auch der Kaufmann etwa, der seine Waren umsetzt,
kann ohne die zahlreichen und mannigfachen Institutionen des Staates seine
Geschäfte nicht in Gang bringen. Längst ist ja nun freilich dieser ganze Apparat
so kompliziert und unser Abstand von der einfachen Existenz des naturnahen
Jägers oder Hirten so groß geworden, daß wir, im Staat geboren, für den Staat
erzogen, fast verlernt haben, ohne den Staat auch nur einen Schritt zu tun.

Da dem nun einmal so ist, so ergibt sich von selbst ein Gesamtinteresse,
das nun dem einzelnen, neben und über seinem Privatinteresse, als Autorität
und höhere, fast göttliche Gewalt gegenübertritt, ein Gesamtwille, der die Einzel¬
willen in seinen Bann zieht, emporzieht und über sich selbst hinaufreißt. Es
entstehen Vaterlandsliebe, Opfersinn, Nationalgeist. Nun wird es Pflicht, den
eigenen Vorteil dem des Ganzen unterzuordnen, nun wird von jedem gefordert,
daß er nicht nur sich selbst, sondern auch den Staat fördere, nun entsteht die
Bereitschaft. Existenz und Leben für das Vaterland hinzugeben.




Man wird einräumen, daß die staatliche Macht nicht etwa Gewalt ist;
sondern was die Form des Staates, den Apparat anlangt, so wird sein
Funktionieren gewährleistet durch Einsicht und guten Willen, durch Achtung vor
der Staatsautorität und Pflichtgefühl, und mehr dergleichen persönliche und
ethische Antriebe; was aber den Inhalt dieser Form betrifft, so beruht die
Macht des Staates offenbar auf seinen produktiven Kräften, auf Menge und
Qualität der Bevölkerung, auf den Schätzen des Bodens und ihrer Gewinnung,
auf der Geldkraft des Landes, auf seiner wissenschaftlichen, künstlerischen und
allgemein kulturellen Bedeutung. Dies alles zusammen, nicht aber rohe Gewalt,
macht die wirkliche und eigentliche Kraft und Macht des Staates aus. Aber
ebensowenig kann bezweifelt werden, daß es ohne die Möglichkeit der Gewalt
keinen Staat geben würde. Seine Voraussetzung ist die Fähigkeit, Gewalt zu
üben, zu zwingen. Die Autorität des Schutzmanns beruht darauf, daß ihm,
wenn er keinen Gehorsam findet, hundert Schutzleute zu Hilfe kommen, und
wenn das nicht reicht, ein Bataillon Soldaten, und wenn das nicht reicht, ein
Armeekorps. Und ebenso ist die Voraussetzung dafür, daß die Macht des
Staates sich nach außen Geltung verschaffe, die Tatsache, daß ein Feldheer
bereit steht, wenn seinen produktiven Kräften der notwendige Raum nicht mehr
gegönnt wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/151>, abgerufen am 28.09.2024.