Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Grundzüge für den Wiederaufbau Gstproußens

jeder Weise die Interessen der geflüchteten Landwirte wahrnahmen, soweit dies
militärisch zulässig erschien. Die Landwirtschaftskammer richtete Vermittlungs-
stellen für den An- und Verkauf von Pferden, Zucht-, Zug- und Schlachtvieh
ein, bemühte sich um die Verwertung von Erntevorräten usw., rettete also ohne
ausdrückliches Mandat des rechtsmäßigen Besitzers an lebendem und totem In¬
ventar, was überhaupt noch zu retten war. Aus den wenigen angeführten
Beispielen erhellt, daß der kerngesunde Organismus der ostpreußischen Land¬
wirtschaft nach der Überwindung der vorübergehenden schweren Krankheit sich
ganz von selbst wieder zu der alten bewunderungswerten Kraft erheben und entfalten
wird, während ein über die genannte Beihilfe hinausgehendes Eingreifen des
Staates nur störend und komplizierend auf den Heilungsprozeß einwirken müßte.
Für den Wiederaufbau auf dem platten Lande ist der Fundamentalsatz der
Nationalökonomie maßgebend, daß der Erfolg des landwirtschaftlichen Betriebes
wesentlich von der Größe, Ausdehnung und Ausführung der landwirtschaftlichen
Gebäude abhängig ist. Vor allen? liegt es im Interesse des Landwirth, die
Baukosten durch Beschränkung der Anzahl und Ausdehnung der Gebäude, durch
ihre zweckmäßige Einrichtung, Bauart und Zusammenstellung um den Wirt-
schaftshof herum niedrig zu halten. Während einerseits räumlich unzu¬
reichende und unzweckmäßig eingerichtete Gebäude den Gutswert erheblich
beeinträchtigen, sind anderseits überzählige und luxuriös ausgeführte Ge¬
bäude eine schwere, drückende Last, selbst wenn sie mit Staatsbeihilfen
erbaut wären I Bei kostspielige" Bauten kann die gesamte Gutsrente durch die
Gebäudemiete verschlungen werden. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu
beachten, daß uach unwiderleglicher statistischen Berechnungen gerade bei land¬
wirtschaftlichen Bauten die leichtere Bauart der massiven vorzuziehen ist.
Aus Kraffts "Betriebslehre" (Berlin 1904) sei dafür folgendes Beispiel, das
für sich selbst spricht, wiedergegeben: Wenn eine massive, hundert und mehr
Jahre benutzungsfühige Scheune 6000 Mark kostet, dagegen eine nur fünfzig Jahre
haltbare Fachwerkscheune 4000 Mark, so würden im letzteren Falle 2000 Mark
erspart, die nur zu 3 Prozent Zinssszinsen in fünfzig Jahren auf 8768 Mark an¬
wachsen würden, von denen nicht nur eine neue Fachwerkscheune für 4000 Mark
erbaut werden könnte, sondern noch 2768 Mark übrig blieben. Für die Re¬
gierung verbietet es sich daher ganz von selbst, über das Maß des unbedingt
notwendigen hinauszugehen, weil sie andernfalls den Landwirten anstatt der
überaus segensreich wirkenden Beihilfe ein verhängnisvolles Danaergeschenk bieten
würde.

Enthält auch nach alledem die baulich-technische Wiederherstellung eine un¬
absehbare Fülle äußerst schwer lösbarer Probleme, so ist und bleibt doch der
landwirtschaftliche, soziale und allgemeine wirtschaftliche Wiederaufbau der Ost¬
mari die Kardinalfrage, denn schon in jahrzehntelangen Friedenszeiten war in
dieser Hinsicht eine nach jeder Richtung hin gefahrdrohende Kalamität einge¬
treten, die alle eingeweihten Kreise mit stetig wachsender Sorge erfüllte. Die


Grundzüge für den Wiederaufbau Gstproußens

jeder Weise die Interessen der geflüchteten Landwirte wahrnahmen, soweit dies
militärisch zulässig erschien. Die Landwirtschaftskammer richtete Vermittlungs-
stellen für den An- und Verkauf von Pferden, Zucht-, Zug- und Schlachtvieh
ein, bemühte sich um die Verwertung von Erntevorräten usw., rettete also ohne
ausdrückliches Mandat des rechtsmäßigen Besitzers an lebendem und totem In¬
ventar, was überhaupt noch zu retten war. Aus den wenigen angeführten
Beispielen erhellt, daß der kerngesunde Organismus der ostpreußischen Land¬
wirtschaft nach der Überwindung der vorübergehenden schweren Krankheit sich
ganz von selbst wieder zu der alten bewunderungswerten Kraft erheben und entfalten
wird, während ein über die genannte Beihilfe hinausgehendes Eingreifen des
Staates nur störend und komplizierend auf den Heilungsprozeß einwirken müßte.
Für den Wiederaufbau auf dem platten Lande ist der Fundamentalsatz der
Nationalökonomie maßgebend, daß der Erfolg des landwirtschaftlichen Betriebes
wesentlich von der Größe, Ausdehnung und Ausführung der landwirtschaftlichen
Gebäude abhängig ist. Vor allen? liegt es im Interesse des Landwirth, die
Baukosten durch Beschränkung der Anzahl und Ausdehnung der Gebäude, durch
ihre zweckmäßige Einrichtung, Bauart und Zusammenstellung um den Wirt-
schaftshof herum niedrig zu halten. Während einerseits räumlich unzu¬
reichende und unzweckmäßig eingerichtete Gebäude den Gutswert erheblich
beeinträchtigen, sind anderseits überzählige und luxuriös ausgeführte Ge¬
bäude eine schwere, drückende Last, selbst wenn sie mit Staatsbeihilfen
erbaut wären I Bei kostspielige« Bauten kann die gesamte Gutsrente durch die
Gebäudemiete verschlungen werden. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu
beachten, daß uach unwiderleglicher statistischen Berechnungen gerade bei land¬
wirtschaftlichen Bauten die leichtere Bauart der massiven vorzuziehen ist.
Aus Kraffts „Betriebslehre" (Berlin 1904) sei dafür folgendes Beispiel, das
für sich selbst spricht, wiedergegeben: Wenn eine massive, hundert und mehr
Jahre benutzungsfühige Scheune 6000 Mark kostet, dagegen eine nur fünfzig Jahre
haltbare Fachwerkscheune 4000 Mark, so würden im letzteren Falle 2000 Mark
erspart, die nur zu 3 Prozent Zinssszinsen in fünfzig Jahren auf 8768 Mark an¬
wachsen würden, von denen nicht nur eine neue Fachwerkscheune für 4000 Mark
erbaut werden könnte, sondern noch 2768 Mark übrig blieben. Für die Re¬
gierung verbietet es sich daher ganz von selbst, über das Maß des unbedingt
notwendigen hinauszugehen, weil sie andernfalls den Landwirten anstatt der
überaus segensreich wirkenden Beihilfe ein verhängnisvolles Danaergeschenk bieten
würde.

Enthält auch nach alledem die baulich-technische Wiederherstellung eine un¬
absehbare Fülle äußerst schwer lösbarer Probleme, so ist und bleibt doch der
landwirtschaftliche, soziale und allgemeine wirtschaftliche Wiederaufbau der Ost¬
mari die Kardinalfrage, denn schon in jahrzehntelangen Friedenszeiten war in
dieser Hinsicht eine nach jeder Richtung hin gefahrdrohende Kalamität einge¬
treten, die alle eingeweihten Kreise mit stetig wachsender Sorge erfüllte. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323220"/>
          <fw type="header" place="top"> Grundzüge für den Wiederaufbau Gstproußens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_342" prev="#ID_341"> jeder Weise die Interessen der geflüchteten Landwirte wahrnahmen, soweit dies<lb/>
militärisch zulässig erschien.  Die Landwirtschaftskammer richtete Vermittlungs-<lb/>
stellen für den An- und Verkauf von Pferden, Zucht-, Zug- und Schlachtvieh<lb/>
ein, bemühte sich um die Verwertung von Erntevorräten usw., rettete also ohne<lb/>
ausdrückliches Mandat des rechtsmäßigen Besitzers an lebendem und totem In¬<lb/>
ventar, was überhaupt noch zu retten war.  Aus den wenigen angeführten<lb/>
Beispielen erhellt, daß der kerngesunde Organismus der ostpreußischen Land¬<lb/>
wirtschaft nach der Überwindung der vorübergehenden schweren Krankheit sich<lb/>
ganz von selbst wieder zu der alten bewunderungswerten Kraft erheben und entfalten<lb/>
wird, während ein über die genannte Beihilfe hinausgehendes Eingreifen des<lb/>
Staates nur störend und komplizierend auf den Heilungsprozeß einwirken müßte.<lb/>
Für den Wiederaufbau auf dem platten Lande ist der Fundamentalsatz der<lb/>
Nationalökonomie maßgebend, daß der Erfolg des landwirtschaftlichen Betriebes<lb/>
wesentlich von der Größe, Ausdehnung und Ausführung der landwirtschaftlichen<lb/>
Gebäude abhängig ist.  Vor allen? liegt es im Interesse des Landwirth, die<lb/>
Baukosten durch Beschränkung der Anzahl und Ausdehnung der Gebäude, durch<lb/>
ihre zweckmäßige Einrichtung, Bauart und Zusammenstellung um den Wirt-<lb/>
schaftshof herum niedrig zu halten.  Während einerseits räumlich unzu¬<lb/>
reichende und unzweckmäßig eingerichtete Gebäude den Gutswert erheblich<lb/>
beeinträchtigen, sind anderseits überzählige und luxuriös ausgeführte Ge¬<lb/>
bäude eine schwere, drückende Last, selbst wenn sie mit Staatsbeihilfen<lb/>
erbaut wären I Bei kostspielige« Bauten kann die gesamte Gutsrente durch die<lb/>
Gebäudemiete verschlungen werden.  Ferner ist in diesem Zusammenhang zu<lb/>
beachten, daß uach unwiderleglicher statistischen Berechnungen gerade bei land¬<lb/>
wirtschaftlichen Bauten die leichtere Bauart der massiven vorzuziehen ist.<lb/>
Aus Kraffts &#x201E;Betriebslehre" (Berlin 1904) sei dafür folgendes Beispiel, das<lb/>
für sich selbst spricht, wiedergegeben:  Wenn eine massive, hundert und mehr<lb/>
Jahre benutzungsfühige Scheune 6000 Mark kostet, dagegen eine nur fünfzig Jahre<lb/>
haltbare Fachwerkscheune 4000 Mark, so würden im letzteren Falle 2000 Mark<lb/>
erspart, die nur zu 3 Prozent Zinssszinsen in fünfzig Jahren auf 8768 Mark an¬<lb/>
wachsen würden, von denen nicht nur eine neue Fachwerkscheune für 4000 Mark<lb/>
erbaut werden könnte, sondern noch 2768 Mark übrig blieben.  Für die Re¬<lb/>
gierung verbietet es sich daher ganz von selbst, über das Maß des unbedingt<lb/>
notwendigen hinauszugehen, weil sie andernfalls den Landwirten anstatt der<lb/>
überaus segensreich wirkenden Beihilfe ein verhängnisvolles Danaergeschenk bieten<lb/>
würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_343" next="#ID_344"> Enthält auch nach alledem die baulich-technische Wiederherstellung eine un¬<lb/>
absehbare Fülle äußerst schwer lösbarer Probleme, so ist und bleibt doch der<lb/>
landwirtschaftliche, soziale und allgemeine wirtschaftliche Wiederaufbau der Ost¬<lb/>
mari die Kardinalfrage, denn schon in jahrzehntelangen Friedenszeiten war in<lb/>
dieser Hinsicht eine nach jeder Richtung hin gefahrdrohende Kalamität einge¬<lb/>
treten, die alle eingeweihten Kreise mit stetig wachsender Sorge erfüllte. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0123] Grundzüge für den Wiederaufbau Gstproußens jeder Weise die Interessen der geflüchteten Landwirte wahrnahmen, soweit dies militärisch zulässig erschien. Die Landwirtschaftskammer richtete Vermittlungs- stellen für den An- und Verkauf von Pferden, Zucht-, Zug- und Schlachtvieh ein, bemühte sich um die Verwertung von Erntevorräten usw., rettete also ohne ausdrückliches Mandat des rechtsmäßigen Besitzers an lebendem und totem In¬ ventar, was überhaupt noch zu retten war. Aus den wenigen angeführten Beispielen erhellt, daß der kerngesunde Organismus der ostpreußischen Land¬ wirtschaft nach der Überwindung der vorübergehenden schweren Krankheit sich ganz von selbst wieder zu der alten bewunderungswerten Kraft erheben und entfalten wird, während ein über die genannte Beihilfe hinausgehendes Eingreifen des Staates nur störend und komplizierend auf den Heilungsprozeß einwirken müßte. Für den Wiederaufbau auf dem platten Lande ist der Fundamentalsatz der Nationalökonomie maßgebend, daß der Erfolg des landwirtschaftlichen Betriebes wesentlich von der Größe, Ausdehnung und Ausführung der landwirtschaftlichen Gebäude abhängig ist. Vor allen? liegt es im Interesse des Landwirth, die Baukosten durch Beschränkung der Anzahl und Ausdehnung der Gebäude, durch ihre zweckmäßige Einrichtung, Bauart und Zusammenstellung um den Wirt- schaftshof herum niedrig zu halten. Während einerseits räumlich unzu¬ reichende und unzweckmäßig eingerichtete Gebäude den Gutswert erheblich beeinträchtigen, sind anderseits überzählige und luxuriös ausgeführte Ge¬ bäude eine schwere, drückende Last, selbst wenn sie mit Staatsbeihilfen erbaut wären I Bei kostspielige« Bauten kann die gesamte Gutsrente durch die Gebäudemiete verschlungen werden. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß uach unwiderleglicher statistischen Berechnungen gerade bei land¬ wirtschaftlichen Bauten die leichtere Bauart der massiven vorzuziehen ist. Aus Kraffts „Betriebslehre" (Berlin 1904) sei dafür folgendes Beispiel, das für sich selbst spricht, wiedergegeben: Wenn eine massive, hundert und mehr Jahre benutzungsfühige Scheune 6000 Mark kostet, dagegen eine nur fünfzig Jahre haltbare Fachwerkscheune 4000 Mark, so würden im letzteren Falle 2000 Mark erspart, die nur zu 3 Prozent Zinssszinsen in fünfzig Jahren auf 8768 Mark an¬ wachsen würden, von denen nicht nur eine neue Fachwerkscheune für 4000 Mark erbaut werden könnte, sondern noch 2768 Mark übrig blieben. Für die Re¬ gierung verbietet es sich daher ganz von selbst, über das Maß des unbedingt notwendigen hinauszugehen, weil sie andernfalls den Landwirten anstatt der überaus segensreich wirkenden Beihilfe ein verhängnisvolles Danaergeschenk bieten würde. Enthält auch nach alledem die baulich-technische Wiederherstellung eine un¬ absehbare Fülle äußerst schwer lösbarer Probleme, so ist und bleibt doch der landwirtschaftliche, soziale und allgemeine wirtschaftliche Wiederaufbau der Ost¬ mari die Kardinalfrage, denn schon in jahrzehntelangen Friedenszeiten war in dieser Hinsicht eine nach jeder Richtung hin gefahrdrohende Kalamität einge¬ treten, die alle eingeweihten Kreise mit stetig wachsender Sorge erfüllte. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/123
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/123>, abgerufen am 28.09.2024.